Die Beteiligtenstellung Minderjähriger in Kindschaftssachen führt nicht pauschal zur Notwendigkeit der Bestellung eines Ergänzungspflegers in Sorgerechtsverfahren.
Bei erheblichen Interessengegensätzen zwischen Kind und vertretungsberechtigten Eltern kann die Bestellung eines Verfahrensbeistandes ein milderes Mittel zur Sicherung der Verfahrensrechte des Kindes darstellen.
Auf die Beschwerde des Kindes wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Waiblingen vom 09.09.2009 (11 F 928/09) aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden niedergeschlagen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 1.500.- EUR
Gründe
I.
Das am … 2002 geborene Kind X ist das Kind der nicht miteinander verheirateten Beteiligten X und Y. Der Vater hat die Vaterschaft urkundlich anerkannt, eine Sorgeerklärung wurde nicht abgegeben.
Da die Mutter zur Versorgung des schwer verhaltensauffälligen Kindes wegen eigener Probleme nicht in der Lage ist, findet seit Januar 2008 eine Fremdbetreuung statt, zunächst bis zum 07.08.2009 im Pestalozzi-Kinderdorf in … und danach in einer Pflegefamilie. Während der gesamten Zeit in … war die Mutter für die Einrichtung und das Jugendamt nicht erreichbar. Sie selbst meldete sich lediglich ein Mal bei ihrem Kind.
Wegen der Durchführung anstehender medizinischer Untersuchungen und der für erforderlich gehaltenen Suche nach einer anderen geeigneten Einrichtung für das Kind beantragte das Jugendamt am 08.09.2009, der Mutter Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen, nämlich das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Unterschriftsbefugnis zur Stellung von Jugendhilfeanträgen, die Mitwirkungsbefugnis in Jugendhilfemaßnahmen und die Gesundheitsfürsorge. Diese Teile sollten nach dem Antrag auf das Kreisjugendamt … als Pfleger übertragen werden.
Durch Beschluss von 09.09.2009 bestimmte der Familienrichter Termin zur Anhörung der Beteiligten und bestellte das Kreisjugendamt …, Abteilung Vormundschaften ohne Begründung zum Ergänzungspfleger.
Gegen diesen Beschluss legte der Ergänzungspfleger als Vertreter des Kindes und in dessen Interesse Beschwerde ein. Das Familiengericht half der Beschwerde nicht ab und legte das Verfahren unter Bezugnahme auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses dem Senat zur Entscheidung vor.
Im Anhörungstermin vom 22.09.2009 gab die Mutter an, dass sie die gesamte Situation überfordere und widersprach dem teilweisen Entzug der elterlichen Sorge nicht. Daraufhin entzog das Familiengericht der Mutter antragsgemäß Teilbereiche der elterlichen Sorge und bestellte insoweit das Kreisjugendamt …, Abteilung Vormundschaften, zum Pfleger.
II.
Die Beschwerde des Kindes, im Verfahren auf Grund des Beschlusses des Familiengerichts vom 09.09.2009 gesetzlich vertreten durch das Kreisjugendamt …, ist zulässig.
Gemäß § 58 FamFG findet die Beschwerde gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen statt. Eine solche liegt inhaltlich vor, da der angefochtene Beschluss das Ergebnis eines Verfahrens nach §§ 1629 II S. 3, 1796, 1909 BGB darstellt, welches bei ordnungsgemäßer Behandlung mit einer Endentscheidung schließt, welche anfechtbar ist (Unger in Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, Rn. 13 zu § 58) Die Tatsache, dass das Familiengericht dieses Verfahren lediglich verkürzt betrieben und zudem seine Entscheidung inhaltlich nicht begründet hat, führt nach dem Prinzip der Meistbegünstigung nicht zum Verlust des Rechtsmittels (Musielak/Ball vor § 511 ZPO, Rn 34 mwN).
Das Kind ist auch beschwerdeberechtigt (§ 59 FamFG), da jeder Eingriff in die elterliche Sorge sein eigenes Recht auf Ausübung dieser Sorge durch den hierfür von Gesetzes wegen bestimmten Elternteil beeinträchtigen kann (so bereits zum alten Recht Philippi in Zöller, ZPO*, 27. Aufl., Rn. 14a zu § 621e).
Das Kind war bei Einlegung des Rechtsmittels wirksam durch das Kreisjugendamt … vertreten, da die Übertragung der elterlichen Sorge mit dem Wirkungskreis „Vertretung in dem Verfahren auf teilweisen Entzug der elterlichen Sorge“ mit Bekanntgabe wirksam wurde (§ 40 FamFG). Das gesetzwidrige Verfahren führt zur Anfechtbarkeit, nicht aber zur Nichtigkeit der familiengerichtlichen Entscheidung. Der Pfleger führt das Rechtsmittel auch für das Kind und nicht für sich selbst (was unzulässig wäre), wie sich aus der Begründung ergibt, in welcher nicht auf Rechte des Pflegers, sondern auf solche des Kindes abgestellt wird. Darüber hinaus hat der Pfleger auch ausdrücklich erklärt, dass die Beschwerde im Namen und Interesse des Kindes und nicht des Pflegers erhoben sei.
Die Beschwerde ist auch begründet, da die Voraussetzungen für einen Eingriff in die elterliche Sorge betreffend der gesetzlichen Vertretung im anhängigen Verfahren nicht vorliegen.
Der Beschluss ist bereits formell nicht ordnungsgemäß zustande gekommen, da elementare Verfahrensvorschriften nicht beachtet wurden.
Der Familienrichter hat das Verfahren nach § 1796 BGB, welches grundsätzlich in die Zuständigkeit des Rechtspflegers fällt, an sich gezogen, ohne jedoch überhaupt ein entsprechendes Prüfungsverfahren durchzuführen.
Er hat unmittelbar nach Eingang des Antrags des Jugendamts der sorgeberechtigten Mutter einen Teil der elterlichen Sorge entzogen, ohne ihr zuvor rechtliches Gehör zu gewähren.
Obwohl es sich hierbei um eine anfechtbare Entscheidung handelt, hat er weder im angefochtenen Beschluss noch in seiner Rechtsmittelvorlage überhaupt ein Wort zur Begründung seiner Entscheidung verloren und auch entgegen § 39 FamFG keine Rechtsmittelbelehrung für das Kind und die Eltern erteilt.
Materiellrechtlich kann die Entscheidung ebenfalls keinen Bestand haben.
Das Kind ist in einem Verfahren, welches die Entziehung der elterlichen Sorge betrifft, Verfahrensbeteiligter im Sinne des § 7 FamFG, da seine Rechte auf Ausübung der elterlichen Sorge durch die dazu vom Gesetz vorgesehene Person betroffen sind (Schöpflin in Schulte-Brunert/Weinreich, FamFG, Rn. 17 zu § 7; Schael, FamRZ 2009, 265; unklar Musielak/Borth, Familiengerichtliches Verfahren, Rn 4 zu § 7).
Als Verfahrensbeteiligter bedarf das Kind in einem gerichtlichen Verfahren grundsätzlich der gesetzlichen Vertretung. Diese steht bei Eingang des Verfahrens gemäß § 1616a II BGB der Mutter allein zu. Da in einem Kindschaftsverfahren zweifelsfrei kein Fall des § 1795 BGB vorliegt, ist sie auch nicht von Gesetzes wegen an der Ausübung der elterlichen Sorge gehindert, was das Familiengericht von Amts wegen zur Einleitung eines Verfahrens auf Bestellung eines Ergänzungspflegers hätte veranlassen können. Die gewählte Vorgehensweise lässt allerdings vermuten, dass das Familiengericht fälschlich von einer solchen Konstellation ausgegangen ist, was sich wegen der fehlenden Begründung jedoch nicht verifizieren lässt.
In Betracht kommt somit allenfalls die Entziehung der Vertretungsmacht gemäß § 1796 BGB wegen Vorliegens von erheblichen Interessengegensätzen zwischen Kind und vertretungsberechtigter Mutter, welche konkret festzustellen sind und nicht allgemein vermutet werden dürfen. Hieran fehlt es im vorliegenden Verfahren vollständig.
Das Jugendamt äußert in seinem Antrag die Meinung, dass die Mutter nicht in der Lage ist, sich um die gesundheitlichen und schulischen Dinge des Kindes ausreichend zu kümmern und die dem Kindeswohl entsprechenden staatlichen Angebote der Jugendhilfe zu beantragen. Die vertretungsberechtigte Mutter bestätigt diese Auffassung in ihrer gerichtlichen Anhörung und tritt dem Antrag auf teilweisen Sorgerechtsentzug insoweit nicht entgegen. Damit unterstützt sie den im Interesse des Kindes gestellten Antrag des Jugendamtes, weshalb Interessenkonflikte nicht ersichtlich sind.
Selbst bei Vorliegen von erheblichen Interessengegensätzen würde sich die Frage stellen, ob ausdrücklich zur Vertretung im Kindschaftsverfahren ein Eingriff in das Sorgerecht in Form der gesetzlichen Vertretung und die Bestellung eines Ergänzungspflegers erforderlich ist. Dies wäre im Hinblick auf das verfassungsmäßige Gebot des geringstmöglichen Eingriffs zulässig und notwendig, wenn das Kind in diesem Verfahren entweder konkrete eigene materiellrechtliche Rechte wahrzunehmen hätte oder aber der Interessenkonflikt die Wahrnehmung von Verfahrensrechten erfasst und dementsprechend eine Verfahrensfähigkeit im Sinne des § 9 FamFG sicherzustellen ist. Eine solche Erforderlichkeit ist in jedem Einzelfall festzustellen, wobei insbesondere in Verfahren nach § 1666 BGB darauf hinzuweisen ist, dass hier lediglich Eingriffsbefugnisse des Gerichts und keine subjektiven Rechte der beteiligten Kinder nach bürgerlichem Recht zur Prüfung anstehen (Zimmermann in Keidel, FamFG*, Rn. 11 zu § 9; Heiter, FamRZ 2009, 85). Unter Beachtung dieser Grundsätze wird es nur in einer äußerst geringen Anzahl von Ausnahmefällen gerechtfertigt sein, in einem Sorgerechtsverfahren einen Entzug der Vertretungsmacht und die Bestellung eines Ergänzungspflegers vorzunehmen, wenn beispielsweise die Entgegennahme von Zustellungen, die Bestellung eines Rechtsanwaltes oder die Einlegung von Rechtsmitteln von dem oder den zunächst vertretungsberechtigten Elternteilen nicht dem Interesse des Kindes gemäß vorgenommen werden können.
Auch in den letztgenannten Verfahren wird aus Verhältnismäßigkeitsgründen stets abschließend zu prüfen sein, ob ein Eingriff in das Sorgerecht durch die Bestellung eines Verfahrensbeistandes nach 158 FamFG verhindert werden kann (so auch Schael, FamRZ 2009, 265, 269), da das FamFG und auch die Gesetzesbegründung keine Hinweise darauf erkennen lassen, dass die Neuregelung zu einer erheblichen Verringerung der Bestellung von Verfahrensbeiständen zugunsten von Eingriffstatbeständen in ein bestehendes Sorgerecht und damit zu einer Verschärfung der richterlichen Eingriffe führen sollte.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 81 FamFG, 20 FamGKG.
OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.10.2009
18 WF 229/09
AG Waiblingen, Beschluss vom 09.09.2009
11 F 928/09