OLG Brandenburg: Mangelnde Kommunikation rechtfertigt alleiniges Sorgerecht

Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 29. Juli 2010 – Az. 22 F 152/10 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Kindesvater.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 3.000,00 EUR.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe

I.

Die (weiteren) Beteiligten zu 1. und 2. sind die – durch Urteil des Amtsgerichts Naumburg vom 17. Februar 2004 rechtskräftig geschiedenen – Eltern der am …. November 1997 geborenen, heute also 13-jährigen R… W…. Auch nach der Ehescheidung bestand das gemeinsame elterliche Sorgerecht fort. Die Tochter lebt seit der Trennung der Eltern im Haushalt der Kindesmutter.

Aus Anlass von Unstimmigkeiten darüber, welche weiterführende Schule die Tochter ab Sommer 2010 – R… wollte wegen der dortigen Spezialklasse Reitsport einen Schulwechsel nach Neustadt/Dosse vornehmen, hat die Kindesmutter am 18. Februar 2010 auf alleinige Übertragung des elterlichen Sorgerechts angetragen. Zur Begründung hat sie auf erhebliche Abstimmungsprobleme mit dem Kindesvater über Belange des Kindes in der Vergangenheit verwiesen und ihrer Erwartung Ausdruck verliehen, dass es auch zukünftig immer wieder zu Unstimmigkeiten kommen werde, die zu Lasten des Kindes gingen.

Der Kindesvater hat das Anmeldeformular für die von der Tochter gewünschte Schule sodann unterzeichnet und ist dem Antrag der Kindesmutter im Übrigen entgegengetreten. Er hat ausgeführt, weiterhin elterliche Verantwortung für das gemeinsame Kind übernehmen zu wollen; er hat Unstimmigkeiten, die ihm anzulasten seien, bestritten.

Im Anhörungstermin am 23. Juni 2010 haben die Kindeseltern sich – nichtförmlich – auf eine regelmäßige Umgangsregelung für die Zeit ab dem Schulwechsel verständigt. Außerdem hat der Kindesvater seine grundsätzliche Zustimmung zu Turnierteilnahmen des Kindes und zu Auslandsreisen erklärt und die Kindesmutter ermächtigt, einen Reisepass zu beantragen und das sonst Notwendige zu veranlassen. Unter dem Eindruck der mündlichen Anhörung, in der die Eltern als sehr strittig erlebt worden seien, ist der Verfahrensbeistand nach einer zunächst zurückhaltenden schriftlichen Empfehlung dann dem Antrag der Kindesmutter beigetreten. Auch das Jugendamt hat die Belastung des Kindes durch die Streitigkeiten der Eltern betont, die es nicht schafften, dem Kind die erforderliche Ruhe und Entlastung zu verschaffen. Deshalb solle dem Antrag der Kindesmutter stattgegeben werden.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2010 hat das Amtsgericht die elterliche Sorge insgesamt auf die Kindesmutter allein übertragen, weil davon auszugehen sei, dass dies dem Wohle von R… am besten entspricht. Zur Begründung wird der Hergang der sehr schwierigen Entscheidungsfindung zum anstehenden Schulwechsel herangezogen und im Ergebnis der Aktenlage und des Anhörungstermins festgestellt, dass auch künftig nicht zu erwarten sei, dass die Eltern die erforderlichen Informationen über die Belange der Tochter auszutauschen und zu konstruktiven Lösungen gelangen (wollten). Die vorangegangenen Auseinandersetzungen ließen eine Fortsetzung in entsprechender Form erkennen, etwa für die demnächst anstehende wesentliche Entscheidung über Jugendweihe oder Konfirmation oder auch in weiteren Fragen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch. Das Kind sei durch die Spannungen der Eltern bereits belastet, wirke etwa bedrückt in ihren Erzählungen darüber oder übernehme elterliche Verantwortung in der Organisation des Umgangs. Im Ergebnis der danach gebotenen Aufhebung des gemeinsamen elterlichen Sorgerechts sei die Übertragung desselben auf die dies beantragende Kindesmutter allein vorzunehmen. Diese beziehe die Wünsche der Tochter in ihre Entscheidungsfindung ein, während der Vater sich selbst nach der Zustimmung zum Schulwechsel noch ambivalent geäußert habe und notwendige Mitwirkungshandlungen nicht mit dem erforderlichen Nachdruck ausführe. Nach dem Eindruck des Gerichtes werde der Kindesvater in erheblichem Maße von eigenen Bedürfnissen geleitet, während Belange des Kindes in den Hintergrund träten.

Gegen diese ihm am 4. August 2010 zugestellte Entscheidung hat der Kindesvater mit einem am 16. August 2010 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz Beschwerde eingelegt und diese mit weiterem Schriftsatz vom 2. September 2010 begründet. Er erstrebt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und will am gemeinsamen elterlichen Sorgerecht festhalten. Er betont den gesetzgeberisch gewollten Vorrang der gemeinsamen elterlichen Sorge, so dass selbst der Umstand, dass Eltern nicht miteinander reden könnten und Absprachen nur mit Hilfe von Anwälten zu erreichen seien, für sich betrachtet keinen Grund für die Aufhebung desselben bieten könne. Die Tatsache, dass die Kindesmutter vom Konflikt mit ihm genervt sei, trage ihren Antrag deshalb nicht. Das vom Gericht als ambivalent gewertete Verhalten des Vaters im Zusammenhang mit dem Schulwechsel, biete gerade keinen Anlass zu Beanstandungen; dies sei vielmehr Ausdruck einer verantwortungsvollen, von sorgfältigem Abwägen des Für und Wider getragenen Entscheidungsfindung. Im Übrigen sei die Annahme des Gerichts, die Eltern seien zu einvernehmlichen Lösungen nicht in der Lage, eine durch nichts begründete Vermutung und werde durch die ausdrücklich erklärten Zustimmungen des Vaters im Verhandlungstermin tatsächlich widerlegt. Nach alledem entspreche es dem Wohl des Kindes am besten, wenn an der gemeinsamen elterlichen Sorge festgehalten werde.

Die Kindesmutter verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Darlegung.

Der Senat hat im Termin am 20. Januar 2011 sämtliche Verfahrensbeteiligte ausführlich angehört und sich sowohl von dem Kind wie auch von den Kindeseltern einen persönlichen Eindruck verschaffen können.

II.

Die gemäß §§ 58 Abs. 1, 59 Abs. 1 FamFG statthafte Beschwerde des Kindesvaters ist gemäß §§ 59 Abs. 1, 63 Abs. 1, 64 und 65 Abs. 1 und 2 FamFG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das danach zulässige Rechtsmittel des Kindesvaters bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg; das Amtsgericht hat zu Recht das gemeinsame elterliche Sorgerecht der Beteiligten zu 1. und 2. aufgehoben und dieses auf die Kindesmutter allein übertragen.

Nach § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BGB kann einem Elternteil auf seinen Antrag und ohne die Zustimmung des anderen Elternteils die elterliche Sorge bzw. Teile davon allein übertragen werden, wenn die Kindeseltern – wie hier – nicht nur vorübergehend getrennt voneinander leben und außerdem zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen.

Entgegen der Auffassung des Kindesvaters hat die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge keinen prinzipiellen Vorrang gegenüber der Einzelsorge (BVerfG FamRZ 2004, 354; BGH NJW 2000, 203); es besteht auch keine gesetzliche Vermutung dahin, dass die gemeinsame Sorge nach der Trennung weiterhin die für das Kind beste Form der Wahrnehmung elterlicher Verantwortung ist (BGH NJW 2008, 994). Daran hat sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 21. Juli 2010, Az. 1 BvR 420/09, abgedruckt u.a. in FamRZ 2010, 1403 – zitiert nach juris) zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Alleinentscheidungsbefugnis der Mutter über eine Mitsorgeberechtigung des nichtehelichen Kindesvaters tatsächlich auch nichts geändert.

Nach gefestigter und bis heute bestätigter verfassungsgerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung dient das den Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich gegenüber dem Staat gewährleistete Recht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist (vgl. BVerfGE 61, 358; 75, 201; BVerfG FF 2009, 416). Dabei setzt die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus, erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge und hat sich am Kindeswohl auszurichten (BVerfG FamRZ 2004, 354/355 und 1015/1016; FF 2009, 416; FamRZ 2010, 1413 – zitiert nach juris, dort. Rdnr. 50/64; BGH FamRZ 1982, 1179; 2008, 592).

Im Streitfall fehlt es an diesen Mindestvoraussetzungen für das Festhalten am gemeinsamen elterlichen Sorgerecht. Schon nach den Protokollen der erstinstanzlichen Anhörungstermine, insbesondere aber im Rahmen der persönlichen Anhörung der Kindeseltern und von R… im Senatstermin am 20. Januar 2011 ist sehr deutlich geworden, dass gegenwärtig und auf absehbare Zeit keine tragfähige Kommunikations- und Kooperationsbasis für die Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht.

Die Kindesmutter hat zuletzt, auch vor dem Senat unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie sich nicht mehr in der Lage sieht, mit dem Kindesvater ins Gespräch und insbesondere zu einer Verständigung über Belange der gemeinsamen Tochter R… zu gelangen. Unbestritten war R… schon in der Vergangenheit im Zusammenhang mit notwendigen Absprachen bei der Umgangsausübung als Mittler bzw. Organisatorin zwischen den Elternteilen eingesetzt, weil diese zu vernünftigen Absprachen nicht in der Lage waren. Darüber hinaus gab und gibt es Streitigkeiten zwischen den Kindeseltern, die jedenfalls ohne Anrufung des Gerichts nicht beizulegen waren. Dies galt für die Frage, in welchem Krankenhaus R… die ärztliche Behandlung nach einer Armfraktur durchführen lassen sollte ebenso wie für die das hiesige Verfahren auslösende Frage, welche weiterführende Schule R… ab dem Schuljahr 2010/2011 besuchen sollte; ferner wird zwischenzeitlich ein Unterhaltsverfahren geführt. In diesen für R… wichtigen Fragen konnte jeweils außergerichtlich keine Lösung gefunden werden, was entgegen der Auffassung des Kindesvaters schon für sich betrachtet dafür spricht, dass ähnliche Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung in der Zukunft zu besorgen sind. Tatsächlich konnte der Kindesvater keinen Fall einer außergerichtlich gefundenen gemeinsam von beiden Eltern getragenen wichtigen Entscheidung für R… in der jüngeren Vergangenheit aufzeigen.

In der persönlichen Anhörung ist auch für den erkennenden Senat sehr plastisch geworden, wieso es der Kindesmutter inzwischen so unmöglich erscheint, mit dem Kindesvater auch nur das Gespräch zu suchen. Schon in dem Bericht des um Amtshilfe ersuchten Jugendamtes des B… vom 22. April 2010 (Bl. 68 f. GA) und mehr noch in dem Bericht des Jugendamtes des Landkreises … vom selben Tage (Bl. 48 ff. GA) gab es greifbare und erhebliche Anzeichen dafür, dass eine stringente, auf eine bestimmte Frage oder Entscheidung konzentrierte Gesprächsführung kaum möglich ist, weil der Kindesvater immer wieder ausweichend, teilweise ambivalent und wenig zielorientiert ausführt und erwidert, so dass seine eigene Auffassung zu dem konkret anstehenden Themenkomplex kaum greifbar wird. Bei allem Verständnis dafür, dass wichtige Entscheidungen für das Kind natürlich wohl abgewogen sein wollen, muss doch ein solcher Abwägungsprozess konzentriert und zielführend ablaufen. Zu einer solchen Gesprächsführung ist der Kindesvater aber nicht willens und/oder in der Lage. So konnte er etwa auf die eigentlich einfach zu beantwortende Frage des Senates, ob und wie sich die Umgangsausübung mit R… zukünftig aus seiner Sicht gestalten solle und wird, wenn es bei der Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter bleiben sollte, eine verständliche und verbindliche Antwort nicht geben. Auch die völlig unmotivierten und gänzlich neben der Sache liegenden Äußerungen des Kindesvaters gegenüber dem Jugendamt des B… dahin, dass R… bei ihm in N… wohnen und das Gymnasium in D… besuchen könne, belegen die auch vom Senat wahrgenommene unzureichend sachorientierte Gesprächsführung und Entscheidungsfindung des Vaters. Auch die wiederholte – sachlich durch kein hinreichend belastbares Indiz getragene – Ansicht des Kindesvaters, die Kindesmutter und R… würden durch ihre Eltern (Großeltern) und ihren Bruder (Onkel) massiv gegen ihn beeinflusst und seien der eigentliche Auslöser für die Meinungsverschiedenheiten; er könne sich eine freiwillige Aufgabe des Mitsorgerechtes vorstellen, wenn sich die Kindesmutter von ihren Verwandten distanziere, lässt Stringenz vermissen und verstärkt den Eindruck, dass der Kindesvater in einer eigenen Vorstellungswelt verhaftet ist, dabei die Belange des Kindes allenfalls am Rande wahrnimmt und deshalb keinen sinnvollen Beitrag zu einer an konkreten Lösungen orientierten Entscheidungsfindung leisten kann. Eine tragfähige Kommunikations- und Kooperationsgrundlage für die Fortführung eines gemeinsamen elterlichen Sorgerechts fehlt danach.

Bezeichnend ist insoweit etwa auch das Verhalten der Kindeseltern im Zusammenhang mit den – vom Kindesvater eigenen Angaben zufolge erwarteten und seine Zurückhaltung bei der Zustimmung zum Schulwechsel durchaus im Ansatz erklärbaren – Schwierigkeiten nach dem Schulwechsel von R…, die von so starkem Heimweh geplagt wurde, dass sie sich trotz des ihr sehr am Herzen liegenden Reitsports eine Fortsetzung des Internatsbesuchs jedenfalls derzeit nicht vorstellen konnte. Die seelischen Nöte ihrer Tochter aufgreifend, hat die Kindesmutter einem Schulabbruch zugestimmt, während der Kindesvater der Auffassung war, dass auf die Tochter dahin eingewirkt werden sollte, dass sie das vermeintlich übermächtige Heimweh einfach mal eine Weile aushalten und zunächst geprüft werden müsse oder solle, ob es sich um überwindbare Anfangsschwierigkeiten handele. Diese neuerlich sehr konträren Einschätzungen bestätigen zum einen den Eindruck der übrigen Verfahrenbeteiligten, dass die Elternbeziehung sich durch inkompatible Vorstellungen in wichtigen Belangen des Kindes auszeichnet, zum anderen lässt es die Äußerungen von R… selbst dahin, dass sie sich mit ihren Wünschen bei der Mutter besser wahrgenommen fühlt als beim Vater sehr gut nachvollziehen. Auch der Senat konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es dem Kindesvater mehr um das Prinzip geht, anderer Ansicht zu sein als die Kindesmutter, als um die wirklichen Belange seiner Tochter.

Dies wurde besonders deutlich, als sich die Einschätzung der Kindesmutter, der Kindesvater benutze das – tatsächlich seit Monaten gegen den Wunsch des Kindes und ohne sonst tragfähigen sachlichen Grund nicht ausgeübte – Umgangsrecht als Druckmittel im hiesigen Verfahren, drastisch bewahrheitete. Nachdem der Senat zum Ende des Anhörungstermins hin deutlich gemacht hat, dass eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung nicht zu erwarten sei, hat der Kindesvater gleichermaßen laut und aggressiv festgestellt: „Sie haben heute entschieden, dass ich das Kind heute zum letzten Mal sehe.“ Deutlicher kann man kaum zum Ausdruck bringen, dass man als Elternteil nicht in der Lage ist, seine eigenen Befindlichkeiten hinter die berechtigten Belange des eigenen Kindes zurückzustellen.

Im Streitfall führt daher an der Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge insgesamt kein Weg vorbei. In der weiteren Folge war der – dies allein beantragenden – Kindesmutter das elterliche Sorgerecht für R… zu übertragen. Gründe dafür, dass diese Übertragung des elterlichen Sorgerechts auf die Kindesmutter dem Wohl des Kindes nicht entsprechen, dieses gar gefährden könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Die Beschwerde des Kindesvaters musste daher ohne Erfolg bleiben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 07.02.2011
9 UF 100/10

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