OLG Brandenburg: Fiktives Einkommen, Anforderungen an Bewerbungen

OLG Brandenburg: Fiktives Einkommen, Anforderungen an Bewerbungen

Auf den Einspruch des Antragsgegners wird der Versäumnisbeschluss des Senats vom 16. November 2010 mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 15. April 2010 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst wird:

Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin zu Händen ihrer gesetzlichen Vertreterin monatlichen Kindesunterhalt wie folgt zu zahlen:
– 109 € für die Zeit von Oktober 2009 bis Dezember 2010 und
– 82 € für die Zeit ab Januar 2011.

Der rückständige Unterhalt ist sofort zahlbar, der laufende monatlich im Voraus bis zum 3. Werktag eines jeden Monats.

Im Übrigen wird der Antrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der weitergehende Versäumnisbeschluss des Senats vom 16. November 2010 wird aufgehoben.

Die Kosten seiner Säumnis hat der Antragsgegner zu tragen. Im Übrigen fallen die Kosten des Rechtsstreits der Antragstellerin zu 57 % und dem Antragsgegner zu 43 % zur Last.

Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird hinsichtlich des Unterhalts ab Februar 2011 angeordnet.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.996 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten über Minderjährigenunterhalt ab 10/2009.

Die am ….9.2003 geborene Antragstellerin ist die Tochter des im Jahr 1975 geborenen Antragsgegners. Ihre Eltern waren und sind nicht verheiratet. Durch Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee aus 6/2010 wurde festgestellt, dass der Antragsgegner auch der Vater des am ….7.2009 geborenen Kindes M… M… ist.

Von 5/2009 bis 10/2010 ist der Antragsgegner zwei öffentlich geförderten befristeten Beschäftigungen nach § 16 d SGB II als Erziehungshelfer bzw. Helfer im Bürobereich im Umfang von 38,5 Stunden/Woche nachgegangen. Hierfür hat er ein monatliches Nettoentgelt in Höhe von 899 € bezogen. Seit 11/2010 ist der Antragsgegner arbeitslos und bezieht Leistungen nach dem SGB II.

Der Antragsgegner, der mit seiner Tochter regelmäßigen Umgang pflegt, hat in der Vergangenheit zu keiner Zeit Kindesunterhalt geleistet. Bis einschließlich 9/2009 wurden für H… UVG-Leistungen erbracht.

Mit Schreiben vom 28.1.2009 hat die Antragstellerin den Antragsgegner zur Auskunftserteilung und Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 214 € aufgefordert. Mit Antrag vom 23.11.2009 hat die Antragstellerin das vorliegende Verfahren eingeleitet. Das Amtsgericht hat den Antragsgegner unter Zurechnung fiktiver Einkünfte aus einer Nebentätigkeit antragsgemäß zur Zahlung eines Kindesunterhalts in Höhe von insgesamt 1.498 € von 10/2009 bis 4/2010 sowie monatlich 214 € ab 5/2010 verpflichtet.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Zur Begründung beruft er sich auf seine bestehende Leistungsunfähigkeit mit Blick auf seine unter dem notwendigen Selbstbehalt liegenden Einkünfte. Eine Nebentätigkeit sei ihm arbeitsrechtlich nicht gestattet. Ferner hat er geltend gemacht, nicht gesteigert unterhaltspflichtig zu sein, da die betreuende Kindesmutter als andere unterhaltspflichtige Verwandte aufgrund ihres hohen Nettoeinkommens von 2.000 € monatlich in der Lage sei, neben dem Betreuungsunterhalt auch den Barunterhalt für die Tochter H… zu leisten (§ 1603 Abs. 2 S. 3 BGB). Im Übrigen seien seine Umgangskosten einkommensmindernd zu berücksichtigen.

Der Antragsgegner hat zunächst beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) – Familiengericht – vom 15.3.2010 zum Geschäftszeichen 5.1 F 724/09 die Anträge vom 22.11.2009 zurückzuweisen.

Die Antragstellerin hat die Zurückweisung der Beschwerde begehrt und die Entscheidung des Amtsgerichts verteidigt. Ferner wendet sie ein, ihre Mutter verfüge unter Berücksichtigung eines Kredits lediglich über monatliche Einkünfte von rund 1.336 € und sei einem weiteren Kind unterhaltspflichtig, so dass der Antragsgegner ihr allein Barunterhalt schulde.

Durch den ihm am 25.11.2010 zugestellten Versäumnisbeschluss vom 16.11.2010 hat der Senat die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt (Oder) vom 15.4.2010 zurückgewiesen. Dagegen hat der Antragsgegner mit dem am 9.12.2010 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schreiben vom gleichen Tag Einspruch eingelegt. Nach teilweiser Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beantragt der Antragsgegner nunmehr,

der Versäumnisbeschluss des Senats solle aufgehoben und der angefochtene Beschluss dahin abgeändert werden, dass die Anträge der Antragstellerin vom 23.11.2009 abgewiesen werden, soweit sie monatlichen Unterhalt von 75 € übersteigen.

Die Antragstellerin beantragt die Aufrechterhaltung des Versäumnisbeschlusses.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss des Amtsgerichts sowie den Sachvortrag der Beteiligten in den gewechselten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Da das Unterhaltsverfahren nach dem 1.9.2009 eingeleitet worden ist, findet auf das Verfahren gemäß Artikel 111 Abs. 1 FGG-RG das neue Verfahrensrecht Anwendung. Der gemäß §§ 58 Abs. 1, 113 Abs. 1 S. 2 FamFG, 338, 339 ZPO zulässige Einspruch des Antragsgegners in Verbindung mit seiner statthaften und im Übrigen zulässigen Beschwerde ist in der Sache zum Teil begründet. Er führt jedoch auch in dem zuletzt beantragten Umfang nur teilweise zum Erfolg. Darauf hat der Senat bereits in der mündlichen Verhandlung vom 25.1.2011 hingewiesen.

Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner, der seiner Tochter allein barunterhaltspflichtig ist, Anspruch auf Zahlung von Kindesunterhalt nach den §§ 1601 ff. BGB in dem aus dem Tenor dieses Beschlusses ersichtlichen Umfang.

Entgegen seiner Auffassung kann sich der Antragsgegner gegenüber seiner minderjährigen Tochter nicht auf seine vollständige Leistungsunfähigkeit berufen. Er muss sich spätestens ab Oktober 2009 ein fiktives Einkommen aus einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit in einer Höhe zurechnen lassen, die ihn in die Lage versetzt, für die Antragstellerin (neben dem unterhaltsrechtlich gleichrangigen minderjährigen Sohn M… M…) einen monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 109 € im Unterhaltszeitraum von 10/2009 bis 12/2010 sowie 82 € ab 1/2011 zu leisten.

1.

Den Antragsgegner trifft gegenüber seiner minderjährigen Tochter, die im Haushalt der Mutter betreut und versorgt wird, gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB eine gesteigerte Erwerbsobliegenheit. Ob und inwieweit er als Unterhaltspflichtiger leistungsfähig ist, wird dabei nicht allein durch sein tatsächlich vorhandenes Einkommen bestimmt, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit. Eltern sind gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB ihren minderjährigen unverheirateten Kindern gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Hieraus sowie aus Art. 6 Abs. 2 GG folgt die Verpflichtung der Eltern zum Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Daher ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass nicht nur die tatsächlichen, sondern auch fiktiv erzielbare Einkünfte berücksichtigt werden, wenn der Unterhaltsverpflichtete eine ihm mögliche und zumutbare Erwerbstätigkeit unterlässt, obwohl er diese “bei gutem Willen” ausüben könnte (vgl. z.B. BVerfG, FamRZ 2010, 183 und 793; BGH, FamRZ 2003, 1471). Ihn trifft unterhaltsrechtlich nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung die Obliegenheit, ihm zumutbare und mögliche Einkünfte zu erzielen, insbesondere seine Arbeitskraft so gut wie möglich einzusetzen und eine ihm zumutbare und mögliche Erwerbstätigkeit auszuüben. Es besteht dabei nicht nur eine unterhaltsrechtliche Obliegenheit, sich im Fall von Arbeitslosigkeit ausreichend um Arbeit zu bemühen. Es ist verfassungsrechtlich auch nicht zu beanstanden, einen Unterhaltspflichtigen für verpflichtet zu halten, sich neben einer unzureichend vergüteten Erwerbstätigkeit um eine besser bezahlte Anstellung zu bemühen (vgl. hierzu BVerfG, a.a.O.).

Der Antragsgegner hatte deshalb hier alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um im Hinblick auf den geschuldeten Minderjährigenunterhalt eine seinem Alter, seinem Gesundheitszustand, seiner Vorbildung und seinem beruflichen Werdegang entsprechende und möglichst gut bezahlte Stelle zu finden. Diesen Anforderungen wird der Antragsgegner nicht gerecht. Ungeachtet der von ihm vorgelegten Unterlagen hat er weder hinreichend dargelegt noch unter Beweis gestellt, dass er ab Beginn des streitigen Unterhaltszeitraums seine Arbeitskraft bestmöglich eingesetzt und sich neben seiner unzureichend vergüteten Erwerbstätigkeit ausreichend um eine besser bezahlte Anstellungbemüht hat.

a)

Die Antragstellerin verweist zu Recht darauf, dass der Antragsgegner in der Zeit von 5/2009 bis 10/2010 keiner Vollbeschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgegangen ist, sondern einer Arbeitsgelegenheit nach § 16 d SGB II gegen Entgelt. Insoweit handelt es sich jedoch um eine Beschäftigung, die mit der Zielsetzung der Heranführung an den Arbeitsmarkt stattfindet. Im Rahmen der gesteigerten Erwerbsobliegenheit des Antragsgegners gemäß § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB geht jedoch eine vollschichtige Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt einer öffentlich geförderten und bezahlten Beschäftigung nach § 16 d SGB II vor.

Der Antragsgegner kann sich daher unterhaltsrechtlich nicht auf die von ihm 2009/2010 tatsächlich ausgeübte Tätigkeit und das damit verbundene Entgelt berufen. Im Hinblick auf die ihm bekannte gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber seiner in 9/2003 geborenen minderjährigen Tochter und das Hinzutreten eines weiteren unterhaltsberechtigten Kindes bestand für den Antragsgegner bereits frühzeitig die unterhaltsrechtlich Obliegenheit, sich in einer den strengen Anforderungen der Rechtsprechung in diesem Zusammenhang genügenden Intensität (vgl. hierzu Büttner/Niepmann/Schwamb, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 11. Aufl., Rn. 724 ff.; Verfahrenshandbuch Familiensachen – FamVerf – /Schael, 2. Aufl., § 1, Rn. 241) um eine möglichst gut bezahlte vollschichtige Arbeitsstelle zu bemühen. Diese Obliegenheit hat der Antragsgegner nicht erfüllt. Er muss sich daher jedenfalls ab Beginn des streitigen Anspruchszeitraumes in 10/2009 ein fiktives Einkommen zurechnen lassen.

Der Antragsgegner ist erst 35 Jahre alt. Gesundheitliche Einschränkungen seiner Erwerbsfähigkeit sind nicht vorgetragen. Nach dem von ihm selbst erstellten Lebenslauf verfügt er über vielfältige berufliche Erfahrungen.

Soweit der Antragsgegner Arbeitsplatzbemühungen vorgetragen und aus der Zeit ab 2/2009 zum Nachweis seiner Bemühungen um eine Erwerbstätigkeit Bewerbungsschreiben zur Akte gereicht hat, sind diese unzureichend. Zum einen hat der Antragsgegner ersichtlich erst nach Aufforderung durch die Mutter der Antragstellerin zur Auskunftserteilung in 1/2009 mit seinen Bewerbungsbemühungen und damit zu spät begonnen. Zum anderen sind diese ausschließlich in Form von E-Mails erfolgt, die zudem standardmäßig formuliert und auch sonst inhaltlich unzureichend sind.

Die vorgelegten Bewerbungsunterlagen reichen nach Form, Inhalt und Zielrichtung für einen Nachweis intensiver Bewerbungsbemühungen nicht aus. Die Schreiben sind bereits so abgefasst, dass sie für den Adressaten Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Arbeitsplatzsuche des Antragsgegners aufkommen lassen. Es handelt sich um nichtssagende Bewerbungen ohne nähere Angaben des Antragsgegners zur eigenen Person sowie zu seinen persönlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Hinblick auf die konkrete Stelle. Der Antragsgegner zeigt in seinen Bewerbungsschreiben kein konkretes persönliches Profil auf, welche beruflichen Fähigkeiten und Vorstellungen er in Bezug auf die gesuchte „neue berufliche Herausforderung“ hat und dass und warum er den Anforderungen der Stelle, um die er sich bewirbt, (besonders) entsprechen könnte. Auch sonst werden keine Tatsachen genannt, die einem etwaigen Arbeitgeber sein besonderes Anliegen an einer neuen Erwerbstätigkeit nahebringen könnten. Der Hinweis auf eine angebliche „Unterforderung“ im Rahmen der bestehenden Anstellung (als Bürokraft in einer Kita) ist nichtssagend. Offensichtlich handelt es sich bei den Bewerbungen des Antragsgegners ganz überwiegend um sogenannte Blindbewerbungen, also solche, die abgegeben werden, ohne Anhaltspunkte dafür, dass der Arbeitgeber überhaupt eine Arbeitkraft sucht. Keines der vorgelegten Bewerbungsschreiben ist seinem Inhalt nach geeignet, das Interesse eines potenziellen Arbeitgebers im besonderen Maße zu wecken, da sie erkennbar im Sinne einer bloßen „Pflichtübung“ abgefasst sind. Viele Schreiben sind in den zur Akte gereichten Unterlagen zudem doppelt abgeheftet bzw. mehrmals hintereinander innerhalb sehr kurzer Zeit an den gleichen „potenziellen Arbeitgeber“ gerichtet. In einzelnen Antwortschreiben an den Antragsgegner wurde dann auch konkret beanstandet, dass ein unvollständiger Lebenslauf zugesandt wurde und Zeugnisse/Nachweise über Vorbildungen/ Vorbeschäftigungen fehlen. Gleichwohl hat der Antragsgegner aus diesen Hinweisen auf seine unzureichenden Bewerbungsschreiben keine Konsequenzen gezogen und weiter seine Standard-E-Mails verschickt.

Soweit in einigen wenigen Fällen von potenziellen Arbeitgebern auf eine E-Mail des Antragsgegners positiv mit der Bitte um ein Vorstellungsgespräch reagiert worden ist, hat er nicht konkret dargelegt, aus welchen Gründen es insoweit nicht zu einer Anstellung gekommen ist.

Im Ergebnis hält der Senat die eingereichten Bewerbungsunterlagen und vorgetragenen Bewerbungsbemühungen des Antragsgegners für unzureichend. Soweit er Bewerbungen „ins Blaue“ verschickt hat, sind diese zwar neben anderen möglich, für sich genommen aber nicht ausreichend. Andere Formen von Bewerbungsbemühungen als E-Mails (z. B. in Form von Antworten auf Zeitungsannoncen im Hinblick auf angebotene Arbeitsstellen oder durch eigene Stellenanzeigen) hat der Antragsgegner bereits nicht vorgetragen. Ungeachtet der Vielzahl der per E-Mail durchgeführten Bewerbungen kann hier nicht von einer fehlenden Vermittelbarkeit des Antragsgegners auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgegangen werden.

Im Übrigen kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsgegner im Senatstermin vorgetragen hat, dass es ihm im Zusammenhang mit der von 5/2009 bis 10/2010 tatsächlich ausgeübten Tätigkeit als Erziehungshelfer bzw. als Helfer im Büro einer Kita darum gegangen und es auch gegenwärtig sein besonderes Anliegen ist, die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, um in absehbarer Zeit eine Ausbildung als Erzieher absolvieren zu können. Vor diesem Hintergrund hält der Senat das Vorbringen des Antragsgegners für widersprüchlich. Es stellt ein hinreichendes Indiz dafür dar, dass er aufgrund mangelnden ernsthaften Interesses keine ausreichenden Bewerbungsbemühungen im Hinblick auf eine vollschichtige Tätigkeit außerhalb des Tätigkeitsbereichs des Erziehers unternommen hat.

Die bisherige Tätigkeit des Antragsgegners im Rahmen von § 16 d SGB II reicht danach nicht aus dafür, dass es ihm bei ausreichenden Bewerbungsbemühungen nicht frühzeitig hätte gelingen können, eine besser bezahlte Arbeitsstelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu finden. Sonstige Umstände, die dem entgegenstehen könnten, hat der Antragsgegner nicht vorgetragen. Entgegen dem Vorbringen des Antragsgegners im Senatstermin steht insbesondere seine von 5/2009 bis 10/2010 tatsächlich ausgeübte Tätigkeit einer vollschichtigen Festanstellung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen. Unter diesen Umständen stellt allein das seit Beginn des streitigen Unterhaltszeitraums tatsächlich erzielte Einkommen des Antragsgegners mangels hinreichender Bemühungen um eine besser bezahlte Arbeitsstelle keinen maßgeblichen Gesichtspunkt für den Umfang seiner unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit dar.

b)

Der Antragsgegner hätte sich nach den Umständen auch bereits lange vor Beginn des Unterhaltszeitraums um eine vollschichtige Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt bemühen können und müssen. Seine vorgetragenen Bemühungen setzten zeitlich deutlich zu spät im Jahr 2009 (nach Zugang des Auskunftsverlangens der Mutter der Antragstellerin) ein, obwohl der Antragsgegner schon vorher um seine Unterhaltsverpflichtung gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB für die am ….9.2003 geborene Tochter wusste. Der Antragsgegner musste mit Blick auf seine gesteigerte Unterhaltsverpflichtung schon frühzeitig nach einer vollschichtigen Arbeit suchen und durfte es nicht mit einer Sicherstellung des Kindesunterhalts für die Tochter H… durch UVG-Leistungen bewenden lassen. Dass er durch seine unzureichende Eigeninitiative die Chance einer frühzeitigen stufenweisen beruflichen Wiedereingliederung hat verstreichen oder sich verschlechtern lassen, darf sich nicht zulasten der unterhaltsberechtigten minderjährigen Antragstellerin auswirken. Für die Frage der realen Beschäftigungschance ist daher darauf abzustellen, ob eine solche bestanden hätte, wenn der Antragsgegner von Anfang an seiner bestehenden gesteigerten Erwerbsobliegenheit genügt hätte (vgl. in diesem Zusammenhang auch BGH, FamRZ 2008, 872 und 2104). Für die Senatsentscheidung bedarf es in diesem Zusammenhang allerdings keiner genauen Festlegung des Anfangsdatums der gebotenen intensiven Bewerbungsbemühungen. Diese hätten jedenfalls lange vor Beginn des streitigen Anspruchszeitraums einsetzen müssen.

c)

Der Senat geht davon aus, dass der Antragsgegner sich jedenfalls ab Beginn des Unterhaltszeitraums in 10/2009 ein Einkommen aus einer vollschichtigen Arbeit fiktiv zurechnen lassen muss. Er hat eine Lehre zum Kaufmann für Mediatechnik absolviert und wirbt in seinen E-Mails selbst mit „langjährigen Erfahrungen als Kaufmann im Einzelhandel“. Auch nach seinem Lebenslauf kann das dem Antragsgegner zuzurechnende fiktive Einkommen nicht dem untersten Lohnbereich entnommen werden. Der Senat hält beispielsweise Tätigkeiten als Lagerhelfer, Verkäufer, Telefonist (Call-Center), Service-Kraft, Bürohelfer – wofür sich der Antragsgegner u.a. selbst beworben hat – für geeignet und zumutbar. Ferner ist zu berücksichtigen, dass beispielsweise der tarifliche Mindestlohn für Hilfsarbeiter im Abbruch- und Abwrackgewerbe oder im Baubereich bei einem Bruttostundenlohn von zwischen 9 € und 10 € liegt (vgl. hierzu etwa www.lohnspiegel.de).

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Antragsgegner im Zusammenhang mit den ihm offen stehenden Tätigkeitsbereichen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bei einer vollschichtigen Arbeitszeit von durchschnittlich rd. 173 Arbeitsstunden im Monat unter Berücksichtigung der Steuerklasse 1 und der entsprechenden Kinderfreibeträge ein bereinigtes Monatsnettoeinkommen in Höhe von 1.100 € erzielen könnte. Der Antragsgegner muss sich folglich unterhaltsrechtlich dieses Einkommen fiktiv zurechnen lassen.

2.

Soweit der Antragsgegner Umgangskosten einkommensmindernd berücksichtigt wissen will, ist hierfür im Streitfall kein Raum.

Zwar können auf Seiten des Unterhaltspflichtigen Umgangskosten einkommensmindernd zu berücksichtigen sein (vgl. hierzu z. B. BGH, FamRZ 2009, 1900; FamRZ 2003, 445). Im Streitfall fehlt hierzu aber bereits konkreter Vortrag des Antragsgegners, welche Umgangskosten im Einzelnen anfallen und in welcher Höhe. Folglich kommt hier ein Abzug von Umgangskosten von dem vorstehend festgestellten Einkommen des Antragsgegners nicht in Betracht, zumal die Antragstellerin unwidersprochen vorgetragen hat, dass ihre Mutter sie regelmäßig beim Antragsgegner in B… nach dem Ende der Besuchskontakte abholt.

3.

Nach Abzug des dem Antragsgegners zu belassenden notwendigen Selbstbehalts für Erwerbstätige in Höhe von monatlich
– 900 € für die Zeit von 10/2009 bis 12/2010 und
– 950 € ab 1/2011

wäre der Antragsgegner auf der Grundlage eines fiktiven bereinigten Nettoeinkommens von 1.100 € zur Zahlung eines monatlichen Kindesunterhalts in Höhe von 200 € bzw. 150 € in der Lage.

Insoweit ist allerdings sowohl für die Zukunft als auch gemäß § 1613 Abs. 2 Nr. 2 BGB für die Vergangenheit zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner seinem Sohn M… M… (geboren am ….7.2009) ebenfalls zum Unterhalt verpflichtet ist, da er durch Beschluss des Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 29.6.2010 – 10 F 7822/09 – als Vater dieses Kindes festgestellt worden ist. Die für den Unterhalt Kinder zur Verfügung stehende festgestellte Verteilungsmasse ist daher unter Berücksichtigung des materiell-rechtlichen Unterhaltsanspruchs der beiden unterhaltsrechtlich gleichrangigen Kinder seit Beginn des streitigen Unterhaltszeitraumes in 10/2009 zwischen ihnen aufzuteilen. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass die am ….9.2003 geborene Antragstellerin seit 9/2009 der zweiten Altersstufe angehört, während für den Sohn Unterhalt nach der ersten Altersstufe zu zahlen ist.

Der Gesamtmindestunterhaltsbedarf für H… und M… nach Abzug des hälftigen Kindergeldes beläuft sich
– auf 439 € (= 240 € + 199 €) für die Zeit von 10 bis 12/2009 und
– auf 497 € (= 272 € + 225 €) für die Zeit ab 1/2010.

Gemessen am Gesamtbedarf beider Kinder entfällt auf die Antragstellerin damit jeweils eine Quote in Höhe von (240 € : 439 € bzw. 272 € : 497 € =) rund 54,7 %.

Dementsprechend steht der Antragstellerin von der für den Kindesunterhalt zur Verfügung stehenden Verteilungsmasse von 200 € bzw. 150 € eine Quote von 54,7 % zu. Für die Zeit von 10/2009 bis 12/2010 schuldet der Antragsgegner seiner Tochter mithin einen gekürzten monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von (200 € x 54,7 % =) rund 109 €. Ab 1/2011 entfallen rund (150 € x 54,7 % =) 82 € auf die Antragstellerin. In diesem Umfang ist der Antragsgegner aufgrund der ihm zuzurechnenden fiktiven Einkünfte von monatlich 1.100 € als leistungsfähig anzusehen. Auf die Frage der Zurechnung fiktiver Einkünfte aus einer Nebentätigkeit – so das Amtsgericht – kommt es folglich für die Entscheidung nicht an.

4.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegner entfällt seine Unterhaltspflicht nicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB. Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige Antragsgegner (vgl. hierzu BGH, FamRZ 2002, 742) hat nicht dargetan, dass die Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Mutter der Antragstellerin nach dieser Vorschrift ihre Heranziehung zum Barunterhalt rechtfertigen.

Die gesteigerte Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern entfällt nach § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB, wenn ein anderer leistungsfähiger Verwandter vorhanden ist. Zwar kann ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter im Sinne dieser Vorschrift auch der (andere) das Kind versorgende Elternteil sein. Die Beteiligungspflicht des betreuenden Elternteils am Bar-unterhalt entsteht jedoch erst dann, wenn die Inanspruchnahme des grundsätzlich barunterhaltspflichtigen Elternteils zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen würde, weil er wesentlich geringere Einkünfte hat als der betreuende Elternteil, der in deutlich günstigeren wirtschaftlichen Verhältnissen lebt. Die Inanspruchnahme des nicht betreuenden Elternteils zum Barunterhalt darf also nicht zu einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht zwischen den Eltern führen (vgl. z.B. BGH, FamRZ 2008, 137; FamRZ 2002, 742; Wendl/Klinkhammer, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis*, 7. Aufl., § 2, Rn. 274 ff.).

Von einem erheblichen finanziellen Ungleichgewicht im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB ist jedenfalls dann auszugehen, wenn das Einkommen des betreuenden Elternteils mindestens doppelt s o hoch ist wie das des an sich barunterhaltspflichtigen Elternteils (vgl. hierzu Senat, FamRZ 2006, 1780; Palandt/Brudermüller, BGB, 70. Aufl., § 1606, Rn. 16; Büttner, FamRZ 2002, 743). Dann entfällt dessen Barunterhaltspflicht vollständig, selbst wenn bei dem nicht betreuenden Elternteil (über die Grenze des angemessenen Selbstbehalts hinaus) noch eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit besteht. Für die Zwischenbereiche, in denen zwar ein größeres Gefälle zwischen den Einkünften der Eltern gegeben ist (ohne dass ein mindestens zweifach höheres Einkommen des betreuenden Elternteils vorliegt), der nicht betreuende Elternteil aber über ein den angemessenen Selbstbehalt übersteigendes Einkommen verfügt, haben die Eltern für den geschuldeten Kindesunterhalt gemäß § 1606 Abs. 3 Satz 1 BGB anteilig nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen aufzukommen (vgl. hierzu Senat, a.a.O.).

Von diesen Grundsätzen ausgehend scheidet hier selbst eine anteilige Haftung der Mutter der Antragstellerin für ihren Barunterhalt aus. Es lässt sich bereits kein größeres Gefälle zwischen dem tatsächlichen Einkommen der Mutter und den für die Beurteilung gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 3 BGB maßgebenden fiktiven Einkünften des Antragsgegners feststellen. Das monatsdurchschnittliche Nettoeinkommen der Mutter der Antragstellerin belief sich im Kalenderjahr 2009 nach den von ihr eingereichten Unterlagen auf lediglich 1.587 €. Hiervon sind berufsbedingte Fahrtkosten abzusetzen. Allein die Differenz des auf Seiten beider Elternteile unterhaltsrelevanten Einkommens kann es daher – auch unter Berücksichtigung der weiteren Unterhaltspflicht des Antragsgegners gegenüber seinem Sohn M… – nicht rechtfertigen, die festgestellte Unterhaltspflicht des Antragsgegners gegenüber der Antragstellerin ganz oder teilweise entfallen zu lassen. Die Einkommensverhältnisse der Mutter sind nicht wesentlich günstiger als diejenigen des Antragsgegners. Das gilt erst recht unter Berücksichtigung der von der Antragstellerin vorgetragenen weiteren (unwidersprochenen) Unterhaltsverpflichtung ihrer Mutter gegenüber dem Sohn C… und die von ihr zu leistende (belegte) monatliche Kreditrate von über 300 € für ein bereits Anfang 2008 aufgenommenes Umschuldungsdarlehen. Im Übrigen kann hier nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsgegner nach den vorstehend getroffenen Feststellungen aufgrund seiner eingeschränkten Leistungsfähigkeit der Antragstellerin nur einen monatlichen Unterhalt von 109 € bzw. 82 € schuldet. Für die Differenz bis zur Höhe des der Antragstellerin zustehende Mindestunterhalts muss die Mutter folglich ohnehin im Wege der Ausfallhaftung eintreten (vgl. hierzu Palandt/Brudermüller, a.a.O., § 1606, Rn. 17).

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 243, 113 Abs. 1, 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG, 344 ZPO (vgl. bezüglich der Entscheidung zur Anordnung der sofortigen Wirksamkeit der Entscheidung BT-Drucks. 16/6308, S. 224; Keidel/Weber, FamFG, 16. Aufl., § 116, Rz. 10; FamVerf/Gutjahr, § 1, Rz. 417).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 15.02.2011
10 UF 106/10

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