OLG Stuttgart: Verpflichtung eines Elternteils zum Einsatz von Vermögen für den Kindesunterhalt

OLG Stuttgart: Verpflichtung eines Elternteils zum Einsatz von Vermögen für den Kindesunterhalt

Der Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgewiesen.

Gründe

I.

Die am … geborene Beteiligte … (Antragstellerin) und der am … geborene Beteiligte …(Antragsgegner) sind seit Anfang 2019 getrenntlebende Eheleute. Aus der Ehe sind die Kinder …, geboren am …, …, geboren am …, …, geboren am …, …, geboren am …, …, geboren am …, und …, geboren am …, hervorgegangen. Die Kinder leben seit der Trennung im Haushalt der Antragstellerin in der im gemeinsamen Eigentum der Beteiligten stehenden Immobilie, welche noch mit Finanzierungskrediten belastet ist. Die Antragstellerin verdient ungefähr … EUR monatlich netto und erhält Unterhaltsvorschussleistungen.

Der Antragsgegner erhält nach einem schweren Unfallgeschehen im Jahr 2005 eine befristete Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit in Höhe von monatlich … EUR und pauschales Pflegegeld nach Pflegestufe 2 in Höhe von … EUR sowie bei konkretem Bedarf zusätzlich … EUR monatlich Entlastungsleistungen. Er vereinnahmt den Überschuss aus dem Betrieb der im gemeinsamen Eigentum stehenden Photovoltaikanlage in Höhe von … EUR monatlich. Nachdem er zunächst noch in der Nähe des gemeinsamen Hauses eine Mietwohnung angemietet hatte, ist er im Laufe des Verfahrens in das elterliche Haus in Lübeck umgezogen.

Die Antragstellerin behauptet, der Antragsgegner könne aus einer zumutbaren Beschäftigung im Umfang von nicht mehr als 3 Stunden täglich ein monatliches Nettoeinkommen von … EUR erzielen. Sie hat ihm die Übernahme seiner Haushälfte nach Schätzung des Wertes der Immobilie angeboten und ist der Auffassung, er sei verpflichtet, das aus dem Verkauf erzielte Vermögen für den Kindesunterhalt einzusetzen. Ebenso sei er verpflichtet, das Pflegegeld für den Kindesunterhalt einzusetzen, da er keinen gesundheitsbedingten Mehraufwand habe.

Sie nimmt den Antragsteller auf Bezahlung des Mindestunterhalts für die 6 Kinder seit Februar 2019 in Anspruch, dies mit der Maßgabe, dass in der Vergangenheit im Umfang der Unterhaltsvorschussleistungen Zahlungen an die Unterhaltsvorschusskasse zu erfolgen haben.

Der Antragsgegner beantragt Antragsabweisung.

Er beruft sich auf Leistungsunfähigkeit und wendet die Berücksichtigung von Umgangskosten ein.

Das Familiengericht hat dem Antragsgegner neben der Rente und den Einnahmen aus der Photovoltaikanlage ein fiktives Einkommen aus Erwerbstätigkeit von … EUR monatlich zugerechnet, das Pflegegeld und eine Obliegenheit zur Vermögensverwertung jedoch unberücksichtigt gelassen. Ebenso wurden Fahrtkosten zur Wahrnehmung des Umgangs nicht berücksichtigt.

Das Familiengericht hat den Antragsgegner mit einer Mangelfallquote von 11,193 % im Jahr 2019 und 6,352 % im Jahr 2020 zur Bezahlung von Kindesunterhalt für die 6 Kinder verpflichtet.

Die Antragstellerin beantragt Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde mit dem Ziel der Weiterverfolgung des erstinstanzlichen Antrags.

Der Antragsgegner beantragt Abweisung des Antrags.

II.

Der zulässige Antrag ist unbegründet, da die mit der Beschwerde beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, §§ 113 FamFG, 114 ZPO.

Die Entscheidung des Familiengerichts lässt – auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin im VKH-Verfahren zweiter Instanz – keine Fehler erkennen, welche der Antragstellerin nachteilig sein könnten.

Der Antragsgegner ist seinen 6 ehelichen Kindern gegenüber gemäß § 1601 BGB unterhaltsverpflichtet, welche Ansprüche die betreuende Antragstellerin während der Zeit des Getrenntlebens der Beteiligten gemäß § 1629 Abs. 3 BGB im eigenen Namen geltend machen kann.

Die Bedürftigkeit der Kinder besteht unstreitig in Höhe des jeweiligen Mindestunterhalts gemäß § 1612a BGB nach Abzug des jeweiligen hälftigen Kindergeldes gemäß § 1612b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 BGB.

Die Leistungsfähigkeit des Antragsgegners ist jedoch selbst unter Berücksichtigung seiner gesteigerten Obliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB erheblich eingeschränkt, so dass er zur Bezahlung eines höheren Unterhalts als festgesetzt nicht in der Lage ist.

Der Einsatz des erhaltenen Pflegegeldes für Unterhaltszwecke kommt nicht in Betracht, da dieses lediglich den krankheitsbedingten Mehraufwand des Antragsgegners abdeckt.

Werden für Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens Sozialleistungen in Anspruch genommen (hier Pflegegeld), wird bei der Feststellung eines Unterhaltsanspruchs – auch auf Seiten des Unterhaltsverpflichteten – gemäß § 1610a BGB vermutet, dass die Kosten der Aufwendungen nicht geringer sind als die Höhe dieser Sozialleistung.

Angesichts der tatsächlichen Beeinträchtigungen, welche insbesondere in den Pflegegutachten des Medizinischen Dienstes detailliert beschrieben sind, und welche der Antragstellerin aus ihren eigenen Bemühungen um die Zuerkennung von Pflegestufen zugunsten des Antragsgegners bekannt sind, ist diese gesetzliche Vermutung nicht erschüttert, auch wenn der Antragsgegner nicht im Einzelnen darlegen kann, für welche Zwecke er das erhaltene Pflegegeld konkret einsetzt.

Zunächst ist bereits allgemein davon auszugehen (worauf auch die gesetzliche Vermutung beruht), dass der Sozialversicherungsträger (Pflegeversicherung) dem Antragsgegner lediglich solche Leistungen gewährt, die zu seinem behinderungsbedingten Mehrbedarf kongruent sind (BGH NJW 2006, 3565).

Dies korrespondiert vorliegend mit den Angaben der Antragstellerin während der unverändert maßgeblichen Begutachtung des Antragsgegners durch den Medizinischen Dienst im Oktober 2017 und den dort festgestellten erforderlichen Unterstützungsleistungen.

Die Antragstellerin selbst war davon ausgegangen, dass der Antragsgegner für ungefähr 21 Stunden pro Woche Fremdunterstützung benötigt.

Im Rahmen des Pflegegutachtens wurde festgestellt, dass bereits die Alltagshygiene ohne fremde Motivation nicht zuverlässig erledigt wird, wodurch immer wieder Pilzinfektionen auftreten. Ebenso ist eine eigenständige Haushaltsführung nicht möglich, beispielsweise übersieht der Antragsgegner verschimmelte Speisen und vergisst Töpfe auf dem eingeschalteten Herd. Infolge krankheitsbedingter Verminderung des Hunger- und Durstempfindens muss durch Dritte auf eine zeitgerechte Nahrungsaufnahme geachtet werden, insbesondere muss der Antragsgegner auch mehrfach täglich an das Trinken erinnert werden. Weiterhin fehlt ihm ein Zeitgefühl, weshalb ihm eine klar vorgegebene Tagesstruktur fremdvermittelt werden muss. Letztlich ist er aufgrund seiner erheblich eingeschränkten Merkfähigkeit nicht in der Lage, selbstständig anfallende Aufgaben abzuarbeiten, sondern bedarf, wenn er zwischendurch den Faden verliert, oft erneuter punktueller Anleitung. Mit diesen Anleitungen gelingt es dem Antragsgegner nach den getroffenen Feststellungen, die erforderlichen Verrichtungen weitgehend eigenhändig vorzunehmen und sogar kurze Strecken Auto zu fahren.

Die gesundheitliche Situation hat sich seit der Begutachtung nicht positiv verändert. So beschreibt die Antragstellerin im parallelen Sorgeverfahren den Antragsgegner dahingehend, dass er nicht in der Lage ist, sich selbst ordnungsgemäß zu versorgen. Er leide unter hoher Vergesslichkeit und könne zeitliche Vorgaben nicht einhalten, Zusammenhänge seien für ihn nicht mehr erkennbar und es bestehe keine Lernfähigkeit. Er könne sich nicht selbst organisieren und es könne sich auch keine Routine entwickeln, da sich Fehler immer wieder wiederholen. Er könne Wichtiges nicht von Unwichtigem trennen. Er könne keine Gefahrensituationen erkennen, er nehme beispielsweise nicht wahr, wenn am Herd etwas anbrenne, worauf er auch nicht adäquat reagieren könne.

Bereits die eigene Darstellung des Antragsgegners durch die Antragstellerin zeigt unzweideutig, dass der Antragsgegner ohne fremde Hilfe nicht überlebensfähig ist, wobei er diese Hilfe grundsätzlich bezahlen muss, sofern sie ihm nicht als freiwillige Leistung Dritter unentgeltlich zukommt, wie früher von Seiten der Antragstellerin und nunmehr eventuell von Seiten seiner Eltern.

Der Antragsgegner ist zumindest im derzeitigen Verfahrensstand des Trennungsverfahrens nicht verpflichtet, sein Vermögen, welches im Miteigentum der gemeinsamen Immobilie besteht, für den Kindesunterhalt einzusetzen.

Reichen die erzielbaren Einkünfte des barunterhaltspflichtigen Elternteils nicht aus, um den Mindestunterhalt seiner minderjährigen Kinder zu decken, ist er grundsätzlich verpflichtet, vorhandenes Vermögen einzusetzen, soweit die zu beachtende Opfergrenze nicht überschritten wird. Diese Opfergrenze ist in der Regel nur dann überschritten, wenn der Unterhaltspflichtige sein Vermögen zur Deckung des eigenen Unterhaltsbedarfes benötigt (BGH FamRZ 1989, 170; OLG Nürnberg FamFR 2011, 55). Dies ist derzeit nicht absehbar.

Der Antragsgegner verfügt über eine Erwerbsunfähigkeitsrente von 559,54 EUR, so dass ihm bis zum notwendigen Eigenbedarf eines Nichterwerbstätigen (derzeit 960 EUR) ungefähr 400 EUR monatlich fehlen. Ob sich dies durch Erhalt weiterer Anrechte im Versorgungsausgleich ändert, kann aktuell nicht beurteilt werden.

Die derzeitigen Einnahmen aus der Photovoltaikanlage werden – ungeachtet der rechtlich wohl lediglich hälftigen Anspruchsinhaberschaft des Antragsgegners – insgesamt wegfallen, sobald die Anlage verwertet oder ihre wirtschaftliche Ertragsmöglichkeit erschöpft ist.

Die tatsächliche Möglichkeit der Erzielung eigener Einkünfte erscheint nach dem aktenkundigen Krankheitsbild äußerst unwahrscheinlich, auch wenn diese unterhaltsrechtlich in vertretbarer Weise vorliegend fingiert wurden.

Kalkulatorisch benötigt der Antragsgegner bei einer statistischen Lebenserwartung von noch 40 Jahren allein zum Erreichen des eigenen Existenzminimums einen Vermögensbetrag von 40 Jahren x 12 Monate = 480 Monate x … EUR = … EUR. Das vorhandene Vermögen von … EUR reicht dagegen bei einem monatlichen Verbrauch von 400 EUR lediglich für die Dauer von 13 1/2 Jahren, so dass selbst bei einer Erwerbsmöglichkeit bis zur Altersrente das Vermögen nicht für die danach noch bestehende statistische Lebenserwartung ausreicht, das eigene Existenzminimum abzusichern. Eine Auskömmlichkeit des Kapitalbetrages errechnet sich selbst bei einer Umrechnung in eine monatliche Rente auf der Grundlage der Tabelle zu § 14 BewG nicht (BGH FamRZ 2013, 203).

Dagegen steht ein lediglich geringer Zeitraum, in welchem der Antragsgegner den Kindesunterhalt aus seinem Vermögen bezahlen könnte. Im Vergleich zu den derzeit titulierten Beträgen beträgt die Deckungslücke bis zum Mindestunterhalt der Kinder abzüglich hälftigem Kindergeld monatlich … EUR. Bei Einsatz des Vermögens zur Auffüllung des Fehlbetrages würde dies selbst bei Außerachtlassung von Erhöhungen des Mindestunterhalts und des Erreichens höherer Altersstufen seitens der Kinder lediglich für 34 Monate ausreichen. Bis zu diesem Zeitpunkt hat noch nicht einmal das älteste Kind die Volljährigkeit erreicht.

Daraus folgt, dass sowohl die Deckung des eigenen Lebensbedarfs des Antragsgegners als auch die Abwägung der jeweiligen Interessen der Beteiligten in der Gesamtschau den Vermögenseinsatz vorliegend nicht rechtfertigen.

OLG Stuttgart, Beschluss vom 26.11.2020
11 UF 145/20

erhältlich unter http://www.justiz.baden-wuerttemberg.de

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