I. Auf die Beschwerden der bisherigen Vormünder wird der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Freiburg vom 27.02.2024 (701 F 848/18) in den Ziffern 1 bis 3 des Tenors abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Baden-Baden vom 18.08.2014 (25 F 226/13) wird Herr R. als Vormund für das Kind O., geboren am 2008, entlassen. Die Vormundschaft für O. wird nunmehr von Frau R. als Einzelvormündin fortgeführt.
2. In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Baden-Baden vom 18.08.2014 (25 F 226/13) wird Frau R. als Vormündin für das Kind F., geboren 2009, entlassen. Die Vormundschaft für F. wird nunmehr von Herrn R. als Einzelvormund fortgeführt.
II. Damit ist die Vormundschaft durch Herrn A. beendet.
III. Von der Erhebung der Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen; außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
IV. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
Gegenstand des Verfahrens ist die Bestimmung eines Vormunds für den 15-jährigen O. und den 14-jährigen F.
O. geboren 2008, und F, geboren 2009, haben vier zwischenzeitlich volljährige Geschwister.
Am 22.09.2013 verstarb der Vater der Kinder. Die Mutter leidet an einer Hör- und Sprachbehinderung. Für sie besteht eine Betreuung, die seit August 2018 von Herrn R. ausgeübt wird.
Im Wege einer einstweiligen Anordnung entzog das Amtsgericht Baden-Baden der Mutter am 30.10.2013 in dem Verfahren 25 F 209/13 vorläufig die elterliche Sorge für die damals minderjährigen Kinder und bestellte vorläufig einen Amtsvormund. In dem Hauptsacheverfahren (25 F 226/13) wurden mit Beschluss vom 18.08.2014 Frau R. und Herr R. zu gemeinschaftlichen Vormündern für die Kinder An., O. und F. bestellt. An. ist inzwischen volljährig.
O. und F. leben im Haushalt der Mutter und besuchen die Förderschule.
O. wird im Sommer seinen Schulabschluss machen. Gegen ihn läuft ein Strafverfahren wegen Ladendiebstahls.
Für F. besteht aktuell ein Schulausschluss.
Beide Kinder trainieren dreimal in der Woche in der Schule für Chinesische Kampfkunst.
Mit Schreiben 17.07.2023 wies die Rechtspflegerin darauf hin, dass aufgrund der Reform des Vormundschaftsrechts zum 01.01.2023 eine gemeinschaftliche Führung der Vormundschaft nicht mehr möglich ist.
Die bisherigen Vormünder teilten mit, dass sie sich die Vormundschaft dahingehend aufteilen wollen, dass Frau R. die Einzelvormundschaft für O. und Herr R. die Einzelvormundschaft für F. übernimmt.
Das Jugendamt regte an, für beide Kinder einen Berufsvormund zu bestellen. Durch die Art und Weise der Mitwirkung der bisherigen Vormünder werde jede Hilfe konterkariert. Die bisherigen Vormünder würden Verantwortung nicht aus der Hand geben, würden aber nicht über die Ressourcen verfügen, alle Aufgaben selbst zu übernehmen.
Am 22.02.2024 hörte die Rechtspflegerin die Kinder persönlich an. Beide erklärten, dass ihre Geschwister weiterhin die Vormundschaft ausüben sollen. Sie hätten zu ihnen ein sehr gutes Verhältnis und würden ihnen vertrauen. Einen Berufsvormund würden sie nicht wollen.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Freiburg entließ mit Beschluss vom 27.02.2024 die bisherigen Vormünder (Ziffer 1) und bestellte für beide Kinder Herrn A. als neuen Berufsvormund (Ziffer 2 und 3). Zur Begründung führte es aus, die volljährigen Geschwister seien nur eingeschränkt geeignet. Es fehle an einer Kooperationsbereitschaft mit Trägern und Institutionen. Die Erreichbarkeit und Mitwirkung gegenüber dem Amtsgericht sei immer wieder ungenügend gewesen. Vorliegend müsse gegen den Willen der Kinder entschieden werden, da dieser nicht deren Wohl diene.
Gegen diese Entscheidung wenden sich die bisherigen Vormünder mit ihren jeweils am 04.03.2024 beim Amtsgericht Freiburg eingegangenen Beschwerden.
Die Einzelrichterin hat am 18.04.2024 die bisherigen Vormünder, den neuen Vormund sowie das Jugendamt persönlich angehört. Der neue Vormund empfiehlt, dass die Vormundschaft wieder durch die bisherigen Vormünder ausgeübt wird. Das Jugendamt hält daran fest, dass ein außenstehender Vormund bestellt werden sollte.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II.
Die Beschwerden der bisherigen Vormünder sind gemäß §§ 11 Abs. 1 RPflG, 58 ff. FamFG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Sie führen in der Sache zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.
1. Zum Vormund für die beiden minderjährigen Kinder kann gemäß 1774 BGB eine natürliche Person, die die Vormundschaft ehrenamtlich führt, ein Berufsvormund oder das Jugendamt als Amtsvormund bestellt werden.
Jedoch können nach § 1775 Abs. 1 BGB nur Ehegatten gemeinschaftlich Vormund sein und nach § 1775 Abs. 2 BGB soll für Geschwister nur ein Vormund bestellt werden.
Gemäß § 1778 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht den Vormund auszuwählen, der am besten geeignet ist, für die Person und das Vermögen des Mündels zu sorgen. Bei der Auswahl sind gemäß § 1778 Abs. 2 BGB u.a. der Wille, die familiäre Beziehung und die persönlichen Bindungen des Kindes zu berücksichtigen. Dabei hat nach § 1779 Abs. 2 BGB ein ehrenamtlicher Vormund gegenüber einem Berufsvormund Vorrang. Die ehrenamtliche Person muss jedoch geeignet und bereit sein, die Vormundschaft zu führen und für das Mündel zu sorgen.
2. Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben ist die Vormundschaft für das Kind O. von Frau R. und die Vormundschaft für das Kind F. von Herrn R. auszuüben.
a) Die bisherigen Vormünder, Frau R. und Herrn R., sind – wenn auch mit Einschränkungen – geeignet, die Vormundschaft auszuüben.
aa) In der Vergangenheit gab es Situationen, in denen die bisherigen Vormünder Verpflichtungen erst nach Aufforderungen wahrgenommen haben. Zum Verpflichtungstermin am 11.02.2015 war Herr R. erst nach Festsetzung eines Ordnungsgeldes erschienen. Hinsichtlich des eingereichten Jahresberichts für das Jahr 2019 mussten die fehlenden Unterschriften angemahnt werden und hinsichtlich des Jahresberichts für das Jahr 2021 waren Nachfragen zum Vermögen und Aufenthaltstitel der Kinder erforderlich.
Zuletzt gab es beim Amtsgericht Probleme bei der Wahrnehmung des Anhörungstermins der Kinder.
Unter Berücksichtigung des langen Zeitraums der ausgeübten Vormundschaft von nunmehr fast 10 Jahren, sind diese Vorfälle jedoch nicht ausreichend, die Geeignetheit der bisherigen Vormünder in Frage zu stellen.
bb) Eine Ungeeignetheit als Vormund ergibt sich vorliegend auch nicht aus den strafrechtlichen Verurteilungen, u.a. wegen einer Sexualstraftat gegenüber erwachsenen Opfern, von Herrn R., da die Kinder nicht in seinem Haushalt leben. Dies wurde bereits vom Amtsgericht Freiburg im Überprüfungsverfahren 42 F 1858/21 mit Beschluss vom 17.09.2021 festgestellt.
cc) Eine Einschränkung der Geeignetheit der bisherigen Vormünder ist vorliegend jedoch aus ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Hilfemaßnahmen und der damit verbundenen eingeschränkten Kooperationsfähigkeit abzuleiten.
In der Vergangenheit gab es Probleme bei der Zusammenarbeit mit dem Hort, der aufgrund des Alters der Kinder beendet wurde. Die eingesetzte Sozialpädagogische Familienhilfe wurde nach drei Monaten abgebrochen. Zuletzt musste auch die Erziehungsbeistandschaft aufgrund fehlender Zusammenarbeit und Akzeptanz beendet werden.
Durch das Misstrauen der bisherigen Vormünder gegenüber dem Jugendamt und ihrer ablehnenden Haltung gegenüber Hilfemaßnahmen erhalten beide Kinder derzeit keine Unterstützungen durch das Jugendamt, was nicht kindeswohldienlich ist.
b) Ein Berufsvormund ist aktuell ebenfalls nur eingeschränkt geeignet, die Vormundschaft auszuüben.
Der neue Vormund, Herr A., hat im Anhörungstermin anschaulich dargelegt, dass es ihm seit seiner Bestellung am 27.02.2024 nicht möglich war, „einen Fuß in die Tür“ zu bekommen. Ein Vertrauen der Familie ihm gegenüber bestehe nicht. Die Familie und die Kinder würden ihn ablehnen. Den Kindern werde es nicht ermöglicht, sich auf ihn einzulassen. Sie würden es nicht schaffen, sich von der Familie, insbesondere ihrem Bruder Herrn R. zu distanzieren. Eine Zusammenarbeit könne so nicht erfolgen.
Solange sich die Kinder in der Familie aufhalten, wird auch ein anderer Berufsvormund keine Möglichkeiten haben, sorgerechtliche Maßnahmen zu treffen und diese gegen die Großfamilie durchzusetzen. Vielmehr würden die Kinder, wenn sie sich gegen den Willen ihrer erwachsenen Geschwister dem Berufsvormund zuwenden sollten, in einen Loyalitätskonflikt geraten.
c) Aufgrund des tiefen Misstrauens der Großfamilie gegenüber dem Jugendamt ist vorliegend eine Amtsvormundschaft nicht geeignet.
d) Unter Abwägung aller Umstände haben von den in Betracht kommenden, jeweils eingeschränkt geeigneten Vormündern, die bisherigen Vormünder Vorrang gegenüber dem Berufsvormund.
aa) Nach der Gesetzesbegründung zur Neuregelung des § 1779 BGB ist davon auszugehen, dass der nicht berufsmäßig tätige Vormund grundsätzlich gegenüber einem beruflich tätigen Vormund oder dem Jugendamt als Vormund vorzugswürdig ist, da er mehr Zeit, Engagement und persönliche Zuwendung für den Minderjährigen aufbringen kann und, sofern noch nicht vorhanden, am ehesten die Entwicklung einer familiär geprägten persönlichen Beziehung zum Minderjährigen zu erwarten ist.
Zudem umfasst der Schutz der Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG die familiären Bindungen zwischen nahen Verwandten, wenn eine tatsächlich von familiärer Verbundenheit geprägte, engere Bindung vorliegt (vgl. BeckOGK/B.Hoffmann, BGB, Stand; 01.04.2024, § 1779 Rn. 59).
bb) Vorliegend wünschen sich O. und F., dass die Vormundschaft durch ihre volljährigen Geschwister fortgesetzt wird. Es besteht untereinander ein sehr enges und vertrauensvolles Verhältnis. Die bisherigen Vormünder haben daher Vorrang gegenüber dem Berufsvormund.
e) Da die Vormundschaft nicht mehr von den beiden volljährigen Geschwistern gemeinsam ausgeübt werden kann, ist die Vormundschaft für das Kind O. von Frau R. als Einzelvormündin und die Vormundschaft für das Kind F. von Herrn R. als Einzelvormund auszuüben.
Dem steht vorliegend die Regelung des § 1775 Abs. 2 BGB nicht entgegen.
Zwar bedarf es des Vorliegens besonderer Gründe, um die Bestellung unterschiedlicher Personen für Geschwister zu rechtfertigen. Besondere Gründe können sich etwa aus unterschiedlichen Interessen der Geschwister ergeben. Auch der Wille und die persönlichen Bindungen eines Minderjährigen können besondere Gründe darstellen (vgl. BeckOGK, a.a.O., § 1775 Rn. 10).
Solche besonderen Gründe sind vorliegend aber gegeben. Die volljährigen Geschwister haben fast 10 Jahre die Vormundschaft für O. und F. gemeinsam ausgeübt. Die Bindungen zwischen den bisherigen Vormündern und den Kindern sind sehr eng. Beide Kinder wünschen sich, dass ihre alten Vormünder die Vormundschaft weiter für sie ausüben. Daher ist vorliegend die Vormundschaft ausnahmsweise aufzuteilen, so dass die bisherigen Vormünder weiterhin als Vormund tätig sein können, wenn auch formal jeweils nur noch für ein Kind.
f) Derzeit besteht, was das Jugendamt im Anhörungstermin bestätigte, und was auch das Ergebnis der letzten Überprüfungsverfahren des Amtsgerichts Freiburg (42 F 1858/21 und 42 F 720/22) war, keine akute Kindeswohlgefährdung. Sollte sich die Situation für die Kinder jedoch verschlechtern, wäre in einem neuem Verfahren vom Amtsgericht zu prüfen, ob aufgrund einer Kindeswohlgefährdung eine Fremdunterbringung erforderlich wird und – soweit die Vormünder eine solche nicht mittragen würden – ein Vormundwechsel zu erfolgen hätte.
Um dies zu vermeiden sollten daher die vom Jugendamt aktuell angebotenen Unterstützungsmaßnamen einer erneuten Erziehungsbeistandschaft für O. und einer Tagesgruppe oder einer Erziehungsbeistandschaft für F. als Hilfen angenommen werden und eine konstruktive Zusammenarbeit sowohl mit dem Jugendamt als auch den Trägern der Hilfemaßnahmen erfolgen.
III.
1. Von einer erneuten persönlichen Anhörung der Kinder O. und F. wird gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG abgesehen, da von ihr keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.
3. Die Festsetzung des Verfahrenswerts für das Beschwerdeverfahren erfolgt gemäß §§ 40 Abs. 1, 42 Abs. 2 FamGKG in Anlehnung an den in § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG für Verfahren betreffend die Übertragung oder Entziehung der elterlichen Sorge bestimmten Wert (vgl. Prütting/Helms*/Dürbeck, FamFG, 6. Auflage 2023, § 168 Rn. 45).
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30.04.2024
5 WF 31/24