OLG Düsseldorf: Trennungsunterhalt – Bemessung des Selbstbehalts

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Mülheim an der Ruhr vom 24.06.2003 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des jeweils vollstreckbaren Betrages ab-wenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Streitwert für die Berufungsinstanz: 1.089,83 €.

Die Parteien sind seit ca. 40 Jahren verheiratet; aus der Ehe ist ein 1964 geborenes Kind hervorgegangen. Seit dem 8. August 2002 leben die Parteien getrennt. Vor und nach der Trennung wohnten und wohnen die Parteien in M. (OLG-Bezirk Düsseldorf). Das Scheidungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Der Beklagte (17.05.1939) ist mittlerweile Rentner; neben seiner gesetzlichen Rente bezieht er eine geringe Betriebsrente. Sein Renteneinkommen ist mit 1.335 € bis Juni 2003 und 1.345 € ab Juli 2003 unstreitig.

Die Klägerin (27.01.1940) war während des ehelichen Zusammenlebens zuletzt aushilfsweise für monatlich 250 € tätig. Diese Tätigkeit wird nach wie vor ausgeübt.

Der Beklagte hat an Trennungsunterhalt im August 2002 335,75 € und von September 2002 bis April 2003 je 544, 38 € gezahlt. Für die Zeit ab Mai 2003 erkennt er eine monatliche Zahlungsverpflichtung von 415,25 € an.

Das Amtsgericht hat den Beklagten entsprechend dem Antrag der Klägerin zur Zahlung von monatlichem Trennungsunterhalt von 571 € ab August 2002 – unter Anrechnung der tatsächlichen Zahlungen – verurteilt.

Mit seiner Berufung verfolgt der Beklagte seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag über die geleisteten Zahlungen bzw. die anerkannten Beträge hinaus weiter. Er macht geltend, dass der Klägerin höhere Eigeneinkünfte zuzurechnen seien; mit zunehmendem zeitlichem Abstand zur Trennung sei es erforderlich und zumutbar, dass sie ihre bestehende Tätigkeit jedenfalls bis zu einem Monatseinkommen von 400 € ausweite. Im Übrigen sei sein eigener Selbstbehalt nach den unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Hamm mit 920 € zu bemessen.

Der Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insoweit abzuweisen, als er ab Juni 2003 zu einer über 415,25 € monatlich hinausgehenden Unterhaltszahlung sowie zur Zahlung von Unterhaltsrückständen für die Monate August 2002 bis Mai 2003 verurteilt worden ist.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze und deren Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nicht begründet.

Der Beklagte ist gemäß § 1361 BGB verpflichtet, an die Klägerin den vom Amtsgericht ausgeurteilten Trennungsunterhalt zu zahlen.

Die Einkommensverhältnisse des Beklagten sind unstreitig.

Der Klägerin ist kein höheres Einkommen als das während des Zusammenlebens zuletzt erzielte mit monatlich 250 € zuzurechnen. Im Hinblick auf die jahrzehntelange Ehedauer erscheint es angemessen, den Umfang ihrer Erwerbsobliegenheit über das bloße Trennungsjahr hinaus zu beschränken: Die Klägerin wird im Januar 2004 64 Jahre alt; eine Ausweitung ihrer Erwerbstätigkeit erscheint schon aus diesem Grunde nicht mehr zumutbar, zumal sie gewisse gesundheitliche Beeinträchtigungen plausibel dargelegt hat.

Vom danach der Klägerin durchgehend zuzurechnenden Monatseinkommen von 250 € verbleiben nach Abzug pauschaler berufsbedingter Aufwendungen (25 €) und des Anreizsiebtels 193 €. Der eheangemessene Unterhaltsbedarf der Klägerin beläuft sich damit auf (1.335 € – 193 € = 1.142 € : 2 =) 571 €, wie vom Amtsgericht erkannt. Ab Juli 2003 beträgt der Bedarf 576 €.

Die Leistungsfähigkeit des Beklagten zur Zahlung eines monatlichen Ehegattenunterhalts von 571 € ist gegeben. Ihm verbleiben (1.335 € – 571 € =) 764 € bzw. ab Juli 2003 (1.345 € – 571 € =) 774 €. Danach ist sein Selbstbehalt von 730 € (Anmerkung B IV Ziffer 2 zur Düsseldorfer Tabelle; Ziffer 21.4 der unterhaltsrechtlichen Leitlinien des OLG Düsseldorf) gewahrt. Eine Korrektur wegen möglicher erhöhter Wohnkosten ist vorliegend nicht geboten; der Beklagte hat nach seiner Erklärung zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen für die von ihm beantragte Prozesskostenhilfe eine monatliche Warmmiete von rund 327 € angegeben ; damit ist der entsprechende Ansatz in der Düsseldorfer Tabelle (Anmerkung V) in Höhe von 360 € sogar unterschritten. Weitere ungewöhnliche Belastungen sind nicht dargelegt: Die (auf den Monat umgelegten) Kosten für den Blutzuckertest von 18,66 € können aus der Differenz von 764 (774) € zu 730 € bestritten werden. Darüber hinaus sind keine Umstände ersichtlich, die vorliegend eine Korrektur des Selbstbehalts als geboten erscheinen lassen.

Entgegen der Auffassung des Beklagten besteht keine Veranlassung, im vorliegenden Fall die unterhaltsrechtlichen Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm zur Anwendung zu bringen, nach deren Ziffer 21.4.1 ein “billiger Selbstbehalt” von 920 € anzusetzen sein könnte. Beide Parteien wohnten und wohnen im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf, das sich vorliegend mit einem Rechtsmittel gegen ein amtsgerichtliches Urteil aus seinem Bezirk zu befassen hat. Der Umstand, dass die Prozessbevollmächtigten des Beklagten ihre Kanzlei in E. und damit im Bezirk des OLG Hamm innehaben, ist für das Rechtsverhältnis der Parteien zueinander ohne Belang.

Unterhaltsrechtliche Leitlinien werden von den Richtern eines Oberlandesgerichts zur Verwendung in ihrem Bezirk zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung (in ihrem Bezirk) entwickelt, um eine möglichst gleichmäßige Behandlung gleichartiger Lebenssachverhalte (in ihrem Bezirk) zu erreichen. Der BGH hat dem Tatrichter nicht verwehrt, sich an solche Leitlinien anzulehnen, sofern nicht im Einzelfall besondere Umstände eine Abweichung bedingen (FamRZ 1993, 43, 44). Der Senat sieht im vorliegenden Fall keine Veranlassung, von den – von ihm selbst mitgestalteten und ständig angewendeten – Leitlinien für den eigenen Bezirk abzuweichen, zumal besondere Umstände des Einzelfalls, die dies erfordern könnten, nicht erkennbar sind. Dem Beklagten ist zuzugeben, dass es im Grenzbereich zweier Oberlandesgerichte mit von einander abweichenden Leitlinien bei der Beurteilung ähnlich gelagerter Sachverhalte zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Die für die Betroffenen mitunter schmerzhaft empfundenen Differenzen können in einem solchen Fall nicht ohne Weiteres auf örtliche Besonderheiten zurückgeführt werden. Dennoch besteht aus der Sicht des Senats kein Anlass, die selbst entwickelten ausgewogenen Grundsätze zu verlassen und sich bei der Bewertung der Auffassung des benachbarten Oberlandesgerichts anzuschließen oder zumindest anzunähern. Der Sinn von Leitlinien, in ihrem Geltungsbereich ähnliche Unterhaltsfälle vergleichbar und voraussehbar bearbeiten zu können, würde unterlaufen, wenn im Einzelfall ohne nähere Begründung aus den individuellen Gegebenheiten Abweichungen vorgenommen würden.

Eine Unterhaltszahlung des Beklagten von 571 € führt i. Ü. zu einer angemessenen Verteilung der vorhandenen – knapp bemessenen – Mittel auf die Parteien, denn beide verfügen danach über monatlich 764 € (der Beklagte ab Juli 2003 über 774 €). Es mag sein, dass es dem Beklagten wegen seiner Unterhaltsverpflichtung schwer fallen wird, den vorherigen Lebensstandard beizubehalten. Dies ist indes eine notwendige Folge der Trennung der Parteien, die aufgrund ihrer persönlichen Differenzen nicht mehr miteinander wirtschaften können oder wollen und deshalb beide im finanziellen Bereich Abstriche hinnehmen müssen. Eine erhebliche Anhebung des dem Beklagten zu belassenden Selbstbehalts würde notgedrungen zu einer erheblichen Benachteiligung der Klägerin und damit zu einer unausgewogenen Verteilung der vorhandenen Mittel führen.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.

Gemäß § 543 Abs. 1 Ziffer 1, Abs. 2 Ziffer 2 ZPO wird die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen; die Frage der (Nicht-)Anwendung außerbezirklicher unterhaltsrechtlicher Leitlinien ist bislang, soweit erkennbar, noch nicht obergerichtlich entschieden worden, so dass dem Beklagten Gelegenheit zu geben ist, die Rechtsansicht des Senats durch den BGH überprüfen zu lassen.

OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.01.2004
II-8 UF 174/03

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