OLG Braunschweig: Keine gemeinsame elterliche Sorge zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge

1. Schwerwiegende und nachhaltige Kommunikationsstörungen der Eltern, die nicht nur auf einer grundlosen einseitigen Verweigerungshaltung eines Elternteils beruhen, stehen der Anordnung der gemeinsamen elterlichen Sorge in der Regel entgegen.

2. Eine unzureichende Information über Belange des Kindes rechtfertigt nicht die Begründung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Vielmehr ist der Informationsanspruch des nicht sorgeberechtigten Elternteils gesondert in § 1686 BGB geregelt (wie OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.04.2020, 13 UF 101/19).

3. Die gemeinsame elterliche Sorge ist kein Instrument zur gegenseitigen Kontrolle der Eltern und zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge eines Elternteils.

4. Ein Verfahrensbeistand ist nicht gehalten, sich im Rahmen seiner Stellungnahme neutral gegenüber den Eltern zu verhalten, sondern gefordert, im Interesse des Kindes Position zu beziehen. Es gehört nicht zu seinen Aufgaben, Ermittlungen anzustellen, um die ihm gegenüber getätigten Angaben der Eltern auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen.

Tenor

I. Die Beschwerde des Kindesvaters gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Wolfenbüttel vom 16.06.2021 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kindesvater zu tragen.

Der Beschwerdewert wird auf 4.000,00 € festgesetzt.

II. Der Antrag des Kindesvaters auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

III. Der Kindesmutter wird für das Beschwerdeverfahren ratenfreie Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten bewilligt.

Gründe

I.

Das Verfahren betrifft die elterliche Sorge für den derzeit dreijährigen J. V. C. Durch den Beschluss des Amtsgerichts H. vom 29.06.2020 wurde auf Antrag des Antragstellers festgestellt, dass er J. Vater ist. Die Eltern waren und sind nicht miteinander verheiratet. Sie haben jedoch langjährig in einer „On-off“-Beziehung gelebt, aus der ihre am 15.02.2013 geborene Tochter A. hervorgegangen ist. Die Beziehung endete im Januar 2019 während der Schwangerschaft der Mutter mit J.; A. und J. leben seitdem im Haushalt der Kindesmutter.

Wegen des Umgangs zwischen A. und dem Vater führten die Eltern beim Amtsgericht H. mehrere Verfahren. Schließlich verständigten sie sich dort in dem Verfahren zum Aktenzeichen 609 F 1843/19 UG am 27.08.2019 auf einen vierzehntägigen Wochenendumgang sowie einen zusätzlichen Umgang am Mittwochnachmittag. Am 01.10.2019 zog die Mutter mit den Kindern von H.-L. nach W. Die elterliche Sorge für A. wurde den Eltern durch den zum Aktenzeichen 10 UF 264/19 ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts C. vom 19.03.2020 gemeinsam übertragen, nachdem das Amtsgericht H. den entsprechenden Antrag des Vaters zunächst zurückgewiesen hatte. Wegen weiterer Einzelheiten zu den Lebensumständen des Kindes und der Eltern wird auf die Sachdarstellung in dem angefochtenen Beschluss vom 16.06.2021 Bezug genommen.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Vater nun auch für J. die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Gleichzeitig hat er einen Antrag auf Regelung des Umgangs mit dem Kind gestellt. Das Umgangsverfahren wurde beim Amtsgericht Wolfenbüttel gesondert unter dem Aktenzeichen 20 F 1177/20 UG geführt.

Die Mutter steht einer gemeinsamen elterlichen Sorge ablehnend gegenüber und macht geltend, der Vater habe sie in der Vergangenheit immer wieder herabgesetzt, erheblich beleidigt und ihr ihre Erziehungsfähigkeit abgesprochen. Zudem fürchte sie sich vor seiner aufbrausenden Art. Im Hinblick auf A. sei es seit dem Beschluss des Oberlandesgerichts C. bereits zu Problemen bei der Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge gekommen.

Die vom Amtsgericht bestellte Verfahrensbeiständin hat unter dem 03.12.2020 u. a. berichtet, beide Eltern hätten ihr gegenüber angegeben, zwischen ihnen finde keine Kommunikation statt. Auch Gespräche in der Erziehungsberatungsstelle hätten insoweit nicht zu einer Verbesserung geführt. Den Kurs „Kinder im Blick“ habe der Vater nach zwei Terminen abgebrochen. Nach ihrer Einschätzung ergäben sich aus ihren Gesprächen mit den Eltern erhebliche wechselseitige Vorwürfe und ein sehr hohes Konfliktpotential. Eine Möglichkeit, wie die Kommunikation zwischen den Eltern verbessert werden könne, sehe sie nicht.

Der Vater hat den Bericht der Verfahrensbeiständin mit Schriftsatz vom 15.04.2021 als unqualifiziert moniert und zudem deren Entpflichtung beantragt.

Das Amtsgericht hat die Beteiligten persönlich angehört und die Angelegenheit mit ihnen im Termin am 02.06.2021 erörtert. Im Umgangsverfahren haben die Beteiligten sich an diesem Tag im Rahmen einer Zwischenvereinbarung auf eine Anbahnung von Kontakten zwischen J. und seinem Vater verständigt. Damit sollte dem Vater ermöglicht werden, alle zwei Wochen im Rahmen des Abholens und Zurückbringens von A. freitags und sonntags jeweils für bis zu eine Stunde im Beisein der Kindesgroßmutter väterlicherseits Zeit mit J. zu verbringen. Zudem wurden wöchentliche Videotelefonate jeweils mittwochs um 18 Uhr vereinbart. Ferner haben sich die Beteiligten zur Aufnahme von Beratungsgesprächen bei der Erziehungsberatungsstelle des Landkreises W. verpflichtet. Wegen des weiteren Inhalts der Erörterungen und der Vereinbarung wird auf das Protokoll vom 02.06.2021 verwiesen.

Das Amtsgericht hat den Antrag des Vaters mit Beschluss vom 16.06.2021 zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine gemeinsame elterliche Sorge widerspreche zum einen dem Kindeswohl, weil der Vater keine Beziehung zu seinem Sohn habe. Zum anderen fehle es zwischen den Eltern an einer tragfähigen sozialen Beziehung und dem für eine gemeinsame elterliche Sorge erforderlichen Mindestmaß an Übereinstimmung. Eine sachliche Kommunikation zwischen den Eltern sei nicht möglich. Das Fehlen jeglicher Wertschätzung des anderen Elternteils sei offensichtlich. Ohne Inanspruchnahme des Gerichts gelinge den Eltern keine Verständigung. Auch in Folge der für A. getroffenen Sorgerechtsentscheidung des OLG C. sei es nicht zu einer Verbesserung der elterlichen Kommunikation und Kooperation gekommen. Die Inanspruchnahme von Beratungs- und Unterstützungsleistungen sei nicht konsequent umgesetzt worden. Im Hinblick auf einen von der Mutter für den Herbst 2021 geplanten Auslandsurlaub sei die gemeinsame elterliche Sorge zu gegenseitigen Machtspielchen missbraucht worden. Der Verlauf der bisherigen Auseinandersetzungen erlaube nicht die Prognose, dass in absehbarer Zukunft eine gemeinsame Kommunikations- und Kooperationsbasis gefunden werden könne. Durch die zu erwartenden Konflikte seien zunehmende Belastungen für das Kind zu befürchten. Auf die Frage, welcher Elternteil diese Situation verursacht habe, komme es nicht an. Ein Anlass für die Entpflichtung des Verfahrensbeistandes bestehe nicht; Pflichtverletzungen seien nicht erkennbar. Insgesamt entspreche es dem Kindeswohl derzeit am besten, wenn es beim alleinigen Sorgerecht der Mutter bleibe.

Gegen den seiner Verfahrensbevollmächtigten am 24.06.2021 zugestellten Beschluss wendet sich der Kindesvater mit seiner am Montag, dem 26.07.2021, beim Amtsgericht eingegangenen Beschwerde.

Er macht geltend, die Mutter verweigere ihm grundlos die gemeinsame elterliche Sorge. Dies habe sie auch bereits bei A. versucht und vor dem Amtsgericht H. zudem ihren bei Abschluss des Umgangsvergleichs bereits geplanten Umzug nach W. verschwiegen. In Bezug auf J. habe sie von Anfang an versucht, den Aufbau einer Vater-Sohn-Beziehung zu verhindern, indem sie die Vaterschaftsfeststellung jahrelang verhindert habe und dem Jungen bis Juni 2021 noch nicht einmal gesagt habe, dass er sein Vater sei. Sie ignoriere und torpediere sogar gerichtlich vereinbarte Umgangsregelungen. Die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge sei auch zur Verhinderung weiterer erzieherischer Alleingänge der Mutter geboten. Ihm sei seinerseits daran gelegen, ein gefestigtes Verhältnis zu seinem Sohn aufzubauen und an seiner Entwicklung teilzuhaben; die derzeitigen Kommunikationsschwierigkeiten der Eltern stünden der gemeinsamen Sorgerechtsausübung nicht entgegen. Aufgrund des gegen ihn gerichteten Verhaltens der Mutter, ihres familiären Hintergrunds sowie ihrer krankhaften Bindungsschwierigkeiten sei die Einholung eines Gutachtens über die Erziehungsfähigkeit der Mutter erforderlich. Wegen weiterer Einzelheiten seines Vorbringens wird auf die Beschwerdeschrift vom 26.07.2021 verwiesen.

Der Kindesvater beantragt,

ihm unter Aufhebung des Beschlusses des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 16.06.2021 die gemeinsame, hilfsweise die alleinige, elterliche Sorge für das Kind V. J. C., geb. 23.03.2019, zu übertragen.

Die Kindesmutter beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigt den angefochtenen Beschluss unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Im Umgangsverfahren haben die Eltern am 17.09.2021 vor dem Amtsgericht Wolfenbüttel verfahrensabschließend vereinbart, die Umgangskontakte gemäß der Zwischenvereinbarung vom 02.06.2021 fortzuführen, allerdings auch ohne die Anwesenheit der Großmutter; eine etwaige Umgangsausweitung sollte mit Hilfe der Erziehungsberatungsstelle erfolgen.

Die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt und haben sich in ihren im September 2021 eingereichten Berichten unter Hinweis auf die fehlende Kommunikationsbasis zwischen den Eltern gegen eine gemeinsame elterliche Sorge ausgesprochen und im Mai 2022 erneut über die aktuelle Situation berichtet. Eine zwischenzeitliche Verbesserung der elterlichen Kommunikation sei nicht erkennbar. Der Vater sehe sich wegen der Entfernung nicht zu Gesprächen bei der Erziehungsberatungsstelle in W. in der Lage. Die Umgänge mit J. würden weiterhin im Rahmen des Holens oder Bringens der Tochter A. stattfinden und positiv verlaufen, allerdings nehme der Vater die Kontakte weniger häufig wahr als vereinbart. Hinsichtlich der weiteren Einschätzungen des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin wird auf die Schreiben vom 14.09.2021, 27.09.2021, 09.05.2022 und 11.05.2022 Bezug genommen.

II.

Die gem. §§ 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde des Kindesvaters hat in der Sache keinen Erfolg.

1.

Das Familiengericht hat den Antrag des Kindesvaters auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für J. zutreffend zurückgewiesen.

Gemäß § 1626 a Abs. 2 Satz 1 BGB überträgt das Familiengericht die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht. Wie in dem angegriffenen Beschluss dargelegt, setzt die gemeinsame Ausübung des Sorgerechts dabei eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern und ein Mindestmaß an Übereinstimmung voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15, juris Rn. 23; Grüneberg/Götz, Kommentar zum BGB, 81. Auflage, § 1626a BGB Rn. 11 m. w. N.) Ein nachhaltiger und schwerer elterlicher Konflikt, das Fehlen jeder Kooperation und Kommunikation oder die Herabwürdigung des anderen Elternteils sprechen daher in der Regel gegen eine gemeinsame Sorge. Allerdings kann ein derartiger Konflikt nicht allein aus einer fehlenden Zustimmung der Mutter zum Antrag des Vaters hergeleitet werden, da die Übertragung der Mitsorge ansonsten in ihrem Belieben läge. Erforderlich sind vielmehr konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine gemeinsame Entscheidungsfindung nicht möglich sein und die gemeinsame Sorge das Kind deshalb erheblich belasten wird (BGH, a. a. O., Rn. 24; Grüneberg/Götz, a. a. O., Rn. 11a). Dafür genügt die begründete Besorgnis, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen. Denn ein fortgesetzter destruktiver Elternstreit führt für ein Kind zwangsläufig zu erheblichen Belastungen (BGH, a. a. O., Rn. 27 m. w. N.) Das gemeinsame Sorgerecht ist daher zu übertragen, sofern ein guter Kontakt zwischen Vater und Kind gegeben ist und die Möglichkeit besteht, dass die Eltern auch bei unterschiedlichen Vorstellungen in der Lage sind, Kompromisse zu erzielen. Die Übertragung der gemeinsamen Sorge ist hingegen ausgeschlossen, wenn schwerwiegende und nachhaltige Kommunikationsstörungen vorliegen und diese nicht nur auf einer grundlosen einseitigen Verweigerungshaltung beruhen (Grüneberg/Götz, a. a. O., Rn. 13).

Anhand dieser Maßstäbe scheidet eine gemeinsame elterliche Sorge im vorliegenden Fall aus.

Anders als zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung kann zwar nicht mehr davon ausgegangen werden, dass zwischen J. und seinem Vater keinerlei persönliche Beziehung besteht, da mittlerweile Umgangskontakte stattfinden, wenn auch nur in einem zeitlich begrenzten Umfang von bis zu einer Stunde vierzehntägig am Freitag und Sonntag. Der Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge stehen aber nach wie vor die zwischen den Eltern vorhandenen schwerwiegenden und nachhaltigen Kommunikationsstörungen entgegen.

Soweit der Vater meint, dass die Schwierigkeiten bei der elterlichen Kommunikation es nicht rechtfertigen, auf eine eingeschränkte gemeinsame Handlungsfähigkeit in sorgerechtlichen Angelegenheiten zu schließen, vermag der Senat seiner Argumentation nicht zu folgen. Denn die bisher praktizierte Art der Kommunikation wird im Rahmen eines gemeinsamen Sorgerechts mit sehr großer Wahrscheinlichkeit zu häufigen Konflikten der Eltern führen, die nicht geübt darin sind, einvernehmlich nach Kompromissen im Hinblick auf unterschiedlich wahrgenommene Interessen ihres Sohnes zu suchen.

Wie bereits vom Amtsgericht ausführlich und überzeugend dargelegt wurde, ist das Verhältnis der Eltern zueinander von einem starken Misstrauen und erheblichen wechselseitigen Vorwürfen geprägt. Dies hat sich bereits in den im Hinblick auf die gemeinsame Tochter A. geführten familiengerichtlichen Verfahren gezeigt und wird in dem hiesigen Verfahren erneut bestätigt. So spricht der Vater der Mutter deren Erziehungsfähigkeit ab, wirft ihr verantwortungsloses, kindeswohlschädigendes Handeln, Realitätsverlust sowie offensichtliche Bindungsstörungen vor und bezichtigt sie der Lügen und Täuschungen. Umgekehrt erhebt die Mutter gegen den Vater Gewaltvorwürfe und äußert Zweifel an der Überwindung seiner früheren Suchterkrankung.

Dass ein sachlicher Austausch zwischen den Eltern über sorgerechtliche Fragen nicht möglich ist, wird auch anhand ihrer WhatsApp-Kommunikation zu der von der Mutter im Sommer 2020 geplanten Urlaubsreise deutlich, bei der tagelang ohne Ergebnis Nachrichten ausgetauscht wurden. Nach der übereinstimmenden Angabe beider Eltern findet eine Kommunikation zwischen ihnen auch weiterhin lediglich über WhatsApp und in Form der Weitergabe von Informationen durch die gemeinsame Tochter A. oder die Mutter des Kindesvaters statt. Dies stellt indes keine Basis für einen erfolgversprechenden, zielführenden Austausch von Meinungsverschiedenheiten und die Erarbeitung von Kompromissen in Bezug auf wesentliche sorgerechtliche Angelegenheiten dar.

Anhaltspunkte dafür, dass sich die Eltern ernsthaft um eine Verbesserung und eine Ausweitung ihrer Kommunikation auch in sorgerechtlichen Angelegenheiten bemühen, liegen nicht vor. Den Kurs „Kinder im Blick“ haben sie entgegen ihrer in dem Verfahren zum Aktenzeichen 10 UF 264/19 vor dem Oberlandesgerichts C. im Termin am 25.02.2020 protokollierten Absichtsbekundungen nicht besucht. Während der Vater den Kurs nach zwei Terminen abgebrochen hat, hat sich die Mutter hierzu gar nicht erst angemeldet. Nach den insoweit übereinstimmenden Mitteilungen aller Beteiligten haben die Eltern trotz entsprechender Empfehlungen des Jugendamts und des Familiengerichts bisher auch keine gemeinsamen Gespräche in einer Erziehungsberatungsstelle aufgenommen. Dabei ist nicht feststellbar, dass das fehlende Bemühen um Kooperation allein der Mutter anzulasten ist. Sie hat sich vielmehr in der Erziehungsberatungsstelle gemeldet, dort auch mehrere Einzelgespräche geführt und sich für gemeinsame Gespräche offen gezeigt. Hingegen hat sich der Vater zwar ebenfalls bei der Beratungsstelle gemeldet, dort aber bisher keine Gespräche geführt. Dem Jugendamt hat er mitgeteilt, er halte Gespräche in W. für ihn aufgrund der Entfernung nicht für umsetzbar, da er jeweils auf einen Fahrer angewiesen sei; auch zu der angedachten Beratung via „Skype“ sei es nicht gekommen. Ernsthafte und nachhaltige Bemühungen um eine Verbesserung der elterlichen Kommunikation und Kooperation sind damit bei keinem der beiden Elternteile erkennbar.

Die aus der Sicht des Vaters unzureichende Information über den Gesundheitszustand seines Sohnes rechtfertigt ebenfalls keine gemeinsame elterliche Sorge. Zum einen kann im Hinblick auf J. Krankenhausaufenthalt im Juli 2021 kein Versäumnis der Mutter festgestellt werden, da diese nachvollziehbar angegeben hat, ihr zur Kommunikation mit dem Vater verwendetes Handy nicht bei sich geführt und daher ersatzweise schnellstmöglich die Großmutter des Kindes informiert zu haben. Zum anderen ist der Informationsanspruch des nicht sorgeberechtigten Elternteils gesondert in § 1686 BGB geregelt und daher erforderlichenfalls vom Vater anderweitig zu verfolgen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 23.04.2020 – 13 UF 101/19, juris Rn. 20).

Entgegen der Auffassung des Vaters ist die Übertragung der Mitsorge auch nicht zur Verhinderung erzieherischer Alleingänge der Mutter angezeigt. Weder die Einrichtung der gemeinsamen elterlichen Sorge noch deren Aufhebung stellt ein Instrument zur gegenseitigen Kontrolle der Eltern oder zur Sanktion eines etwaigen vorangegangenen Fehlverhaltens eines Elternteils dar (bzgl. der Aufhebung der gemeinsamen Sorge vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 26.05.2021 – 15 UF 6/21, juris Rn. 13). Maßstab ist vielmehr das Kindeswohl, dem ein fortgesetzter, destruktiver Elternstreit ebenso entgegensteht wie eine durch mangelnde Elternkooperation verursachte Verzögerung wesentlicher sorgerechtlicher Entscheidungen.

In der Gesamtbetrachtung erlauben die Ausführungen der Beteiligten die Feststellung, dass die Eltern derzeit nicht in der Lage sind, im Rahmen eines gemeinsamen Sorgerechts zeitnah und unter Zurückstellung eigener Interessen einvernehmliche Entscheidungen zum Wohl ihres Sohnes zu treffen. Angesichts der nicht existenten elterlichen Kooperationsfähigkeit widerspricht es dem Kindswohl damit, das Sorgerecht für J. ganz oder teilweise beiden Eltern zur gemeinsamen Ausübung zu übertragen.

2.

Auch die im Beschwerdeverfahren hilfsweise beantragte Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Vater kommt nicht in Betracht.

Aufgrund der vorgetragenen Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine Ausübung der elterlichen Sorge durch den Vater dem Kindeswohl besser entsprechen würde als die Beibehaltung der alleinigen elterlichen Sorge der Mutter.

Gegen eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater spricht bereits der Umstand, dass J. Lebensmittelpunkt sich im Haushalt seiner Mutter befindet. Den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes bei der Mutter stellt auch der Vater nicht in Frage; das Anstreben eines Wechsels seines Sohnes in seinen Haushalt ist seinen Ausführungen nicht zu entnehmen.

Darüber hinaus wäre ein solcher Wechsel unter Berücksichtigung der kindlichen Bindungen und Beziehungen sowie des Kontinuitätsgrundsatzes auch nicht mit dem Kindeswohl vereinbar. J. wird seit seiner Geburt von seiner Mutter betreut, die seine Hauptbezugsperson ist. Die Beziehung zu seinem Vater ist demgegenüber erst im Aufbau begriffen; Kontakte finden bislang nur stundenweise statt. Die ihm eröffnete Möglichkeit zur Intensivierung der Beziehung zu seinem Sohn durch die vor dem Familiengericht vereinbarten Umgangskontakte hat der Vater nicht im größtmöglichen Umfang genutzt, sondern nach dem Bericht des Jugendamts die Kontakte häufig nur entweder am Freitag oder am Sonntag wahrgenommen. Bemühungen um eine Ausweitung der Kontakte sind nicht erfolgt.

Anders als der Vater kann der Senat auch keine Anhaltspunkte erkennen, die eine Gefährdung von J. Wohl im Haushalt der Mutter sowie eine nähere Überprüfung ihrer Erziehungsfähigkeit nahelegen würden. Sowohl die Verfahrensbeiständin als auch die Mitarbeiterin des Jugendamts haben J. als altersangemessen entwickeltes Kind erlebt. Das Jugendamt hat zuletzt im Bericht vom 27.09.2021 mitgeteilt, J. habe einen fröhlichen Eindruck gemacht und sich im mütterlichen Haushalt sicher sowie gegenüber der Unterzeichnerin angemessen distanziert verhalten. Von keiner Seite wurden konkrete Umstände vorgetragen, die dafür sprechen, dass es den Kindern bei ihrer Mutter nicht gutgeht.

Soweit der Vater einen Realitätsverlust bzw. eine Persönlichkeitsstörung der Mutter aufgrund der Verbreitung unwahrer Angaben über ihn in den Raum stellt, zeigt dies einmal mehr den zwischen den Eltern fehlenden Respekt und die vorhandene Kommunikationsstörung. Vor dem Hintergrund der erheblichen wechselseitig erhobenen Vorwürfe und der aus den Schriftsätzen ersichtlichen Neigung beider Eltern, einander in einem schlechten Licht darzustellen, bietet das Vorbringen jedoch mangels sonstiger objektiver Anhaltspunkte keinen Anlass für die Einholung eines medizinischen Gutachtens.

Auch im Hinblick auf die Bindungstoleranz der Mutter sind keine Umstände ersichtlich, die den Senat zur Einholung eines Erziehungsfähigkeitsgutachtens veranlassen. Nach den jüngsten Berichten des Jugendamts und der Verfahrensbeiständin haben beide Eltern dort übereinstimmend angegeben, die vereinbarten Umgangskontakte würden reibungslos funktionieren; auch die wöchentlichen Videotelefonate fänden statt. J. spreche seinen Vater inzwischen auch mit Papa an und wisse, dass er sein Vater sei. Dem Vorbringen des Vaters im Hinblick auf eine unmittelbar am Tag der Zwischenvereinbarung erfolgte Verweigerung des vereinbarten Videotelefonats durch die Mutter ist diese nachvollziehbar entgegengetreten und hat unter Vorlage ihres WhatsApp-Verlaufs plausibel erläutert, aus welchen Gründen es erst zu einer späteren Uhrzeit zu dem vereinbarten Telefonat gekommen sei. Insgesamt kann derzeit keine negative Einflussnahme der Mutter auf die Beziehung und Bindung ihrer Kinder zum Vater geschweige denn eine Verhinderung und Torpedierung von Umgangskontakten festgestellt werden. Soweit der Vater der Mutter das zurückliegende Vaterschaftsfeststellungsverfahren sowie das Verschweigen des von ihr geplanten Umzugs nach W. vorwirft, können daraus keine Schlussfolgerungen für die aktuelle Situation und die hier relevante Frage einer kindeswohldienlichen Sorgerechtsregelung gezogen werden.

3.

Soweit der Vater die Vorgehensweise und den erstinstanzlichen Bericht der Verfahrensbeiständin kritisiert und mit seiner Beschwerde beanstandet, dass das Amtsgericht deren Entpflichtung abgelehnt hat, vermag auch dies keine anderweitige Entscheidung zu begründen. Die diesbezügliche Entscheidung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden. Bedenken gegen die persönliche und fachliche Eignung der dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren bekannten Verfahrensbeiständin bestehen nicht. Auch ihr im vorliegenden Verfahren eingereichter Bericht vom 03.12.2020 gibt keinen Anlass für ihre Entpflichtung. Ein den Interessen des Kindes widersprechendes, pflichtwidriges Verhalten der Verfahrensbeiständin kann nicht erkannt werden. Insbesondere lässt sich ein solches nicht daraus ableiten, dass sie keine Überprüfung der Angaben der Mutter vorgenommen und nicht die Anregung ausgesprochen hat, eine – aus der Sicht des Vaters notwendige – medizinische Abklärung der psychischen Gesundheit der Mutter vorzunehmen. Wie bereits das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, gehört es nicht zur Aufgabe eines Verfahrensbeistandes, Ermittlungen anzustellen, um die Angaben der Eltern auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Im Rahmen seiner Empfehlungen muss sich ein Verfahrensbeistand auch nicht neutral gegenüber den Eltern verhalten, sondern ist gefordert, im Interesse des Kindes Position beziehen. Vorliegend mag zwar die von der Verfahrensbeiständin geübte Kritik an der in Bezug auf die ältere Tochter A. getroffenen Entscheidung des Oberlandesgerichts C. nicht zu ihrer Kernaufgabe gehören, stellt aber auch keine Pflichtwidrigkeit dar, die ihrer Aufgabe, die Interessen des Kindes festzustellen und in das Verfahren einzubringen, entgegensteht.

Nach alledem ist die gegen die erstinstanzliche Entscheidung gerichtete Beschwerde des Vaters zurückzuweisen.

III.

Der Senat sieht von der Durchführung eines Anhörungstermins im Beschwerdeverfahren nach § 68 Abs. 3 FamFG ab. Die Kindeseltern, das Jugendamt und der Verfahrensbeistand sind vom Familiengericht am 02.06.2021 persönlich angehört worden. Anhaltspunkte dafür, dass zusätzliche Erkenntnisse von ihrer erneuten Anhörung im Beschwerdeverfahren zu erwarten wären, sind auch dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht zu entnehmen.

Von der persönlichen Anhörung des betroffenen Jungen konnte in beiden Instanzen abgesehen werden, da von den Äußerungen eines erst drei Jahre alten Kindes keine verwertbaren Erkenntnisse für die Frage der Herstellung des gemeinsamen elterlichen Sorgerechts erwartet werden können, zumal J. unstreitig weiterhin im mütterlichen Haushalt leben wird.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG, wonach das Gericht die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen soll, der das Rechtsmittel eingelegt hat. Ein Grund von dieser Vorschrift abzuweichen, ist nicht ersichtlich.

Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren ist nach §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG festgesetzt worden.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 2 FamFG liegen nicht vor.

IV.

Der Antrag des Kindesvaters, ihm für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist gem. § 76 Abs. 1 FamFG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO zurückzuweisen, da die Beschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen unter II. ergibt.

Der Kindesmutter ist gem. § 76 Abs. 1 FamFG i. V. m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.

OLG Braunschweig, Beschluss vom 21.07.2022
1 UF 115/21

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