OLG Brandenburg: Gewaltschutz, Wohnungszuweisung, gemeinsamen Wohneigentum

OLG Brandenburg: Gewaltschutz, Wohnungszuweisung, gemeinsamen Wohneigentum

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 29. Oktober 2009 – Az. 34 F 164/09 – abgeändert und – im Wege der einstweiligen Anordnung – wie folgt neu gefasst:

Der Antragstellerin wird das mit einem Einfamilienhaus bebaute Grundstück in S…, …eck 9, zur alleinigen Nutzung zugewiesen.

Dem Antragsgegner wird verboten, das Grundstück zu betreten.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, sämtliche in seinem Besitz befindliche Schlüssel für die auf dem Grundstück aufstehenden Gebäude an die Antragstellerin herauszugeben.

Die Gerichtskosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Parteien je zur Hälfte. Von der Erhebung von Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren wird abgesehen.

Eine Erstattung außergerichtlich entstandener Kosten findet nicht statt.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens beträgt 1.500,00 EUR.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Oranienburg hat mit Beschluss vom 29. Oktober 2009 die auf Zuweisung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung zusammen mit der Tochter der Parteien, ein Betretungsverbot für den Antragsgegner und dessen Verpflichtung zur Herausgabe sämtlicher Schlüssel gerichteten Anträge der Antragstellerin vom 1. September 2009 zurückgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen darauf abgestellt worden, dass es der Antragstellerin nicht gelungen sei, das von ihr behaupteten Fehlverhalten des Antragsgegners glaubhaft zu machen. Der – unstreitigen – Verbringung einzelner Gegenstände aus der Ehewohnung durch den Antragsgegner fehle jedenfalls das erforderliche Gewicht, so dass daraus eine unbillige Härte nicht abgeleitet werden könne.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 3. November 2009 beim Amtsgericht Oranienburg eingegangenen Beschwerde, mit der sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vorbringens ihre erstinstanzlichen Anträge in vollem Umfang weiter verfolgt. Der Antragsgegner verteidigt die angefochtene Entscheidung mit näherer Darlegung.

Der Senat hat das – in erster Instanz fernmündlich beteiligte – Jugendamt des Landkreises … unter Übersendung der angefochtenen Entscheidung und der Beschwerdeschrift über den Verfahrensgegenstand unterrichtet und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (§ 205 FamFG). Das Jugendamt hat daraufhin die Verfahrensbeteiligung beantragt (§ 204 Abs. 2 FamFG), sich inhaltlich jedoch nicht weiter geäußert.

II.

1. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 57 Satz 2 Nr. 5 FamFG statthaft. Das Rechtsmittel ist formgerecht im Sinne von § 64 FamFG und jedenfalls innerhalb der Beschwerdefrist des § 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG eingereicht worden, so dass es insgesamt zulässig ist. Auf die mit der Beschwerdebegründung beanstandeten formalen Fehler im Zuge der erstinstanzlichen Entscheidung kommt es danach gar nicht an.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg. Die Voraussetzungen für die begehrte Wohnungszuweisung nach § 1361 b Abs. 1 BGB liegen vor.

Die Parteien leben nach Angaben der Antragstellerin seit dem 11. März 2009, unstreitig spätestens seit dem 1. Mai 2009 voneinander getrennt. Die Ereignisse der letzten Monate haben gezeigt, dass ein Getrenntleben der Parteien im gemeinsamen Haus zusammen mit der jetzt 10-jährigen gemeinsamen Tochter C… D… – nicht nur, aber auch aus Gründen des Kindeswohls – tatsächlich nicht mehr zu verantworten ist.

a) Die Antragsgegnerin muss sich an dem Vergleich, der in dem vorangegangenen Gewaltschutzverfahren der Parteien, Az. 34 F 51/09 des Amtsgerichts Oranienburg, am 25. Juni 2009 abgeschlossen worden ist und die Aufteilung der Ehewohnung im Wesentlichen dergestalt vorsah, dass die Antragstellerin den oberen Bereich des Einfamilienhauses und der Antragsgegner den unteren Teil des Hauses mit Ausnahme der Küche – die neben Garten und Terrasse gemeinschaftlich genutzt werden sollte – unter Ausschluss des jeweils anderen zu nutzen berechtigt war, nicht mehr festhalten lassen. Eine Aufteilung der Wohnung im Rahmen eines Verfahrens nach § 1361 b BGB, das grundsätzlich so ausgestaltet ist, dass in aller Regel die gesamte Wohnung zuzuweisen ist, kann danach nur ausnahmsweise dann in Betracht kommen, wenn die Wohnverhältnisse so großzügig bemessen sind, dass mit einem Zusammentreffen der zerstrittenen Ehepartner entweder nicht zu rechnen ist oder wenn sich die Ehepartner wenigstens im Interesse der Kinder zu arrangieren bereit sind und ein Mindestmaß an gegenseitiger Rücksichtnahme walten lassen (Johannsen/Henrich-Götz*, Familienrecht, 5. Aufl., § 1361b Rdnr. 30 m.w.Nw.). Diese für einen Erstantrag auf Wohnungszuweisung geltende Grundsätze müssen nach Auffassung des Senates dann (erst Recht) zum Tragen kommen, wenn eine vorangegangene Aufteilung der Wohnung gescheitert ist, weil ein in diesem Sinne erträgliches Nebeneinander der Parteien schlicht nicht gewährleistet ist.

Dabei kommt es gar nicht entscheidend auf die vom Amtsgericht in das Zentrum seiner Erwägungen gerückte Frage, welche der sich gegenseitig ausschließenden und jeweils wechselseitig mit eigenen eidesstattliche Versicherungen und solchen von guten Bekannten, Nachbarn oder Freunden „untermauerten“ Versionen der zahlreichen (Schadens-)Ereignisse und Eingriffe in Rechtspositionen oder Rechtsgüter der Beteiligten seit dem 14. August 2009 richtig oder auch nur wahrscheinlicher ist. Deshalb sieht der Senat auch keinen Anlass, sich mit der zuweilen sehr spitzfindigen Argumentation der Antragstellerin zu der ihrer Ansicht nach weitaus größeren Plausibilität ihrer Schilderungen dezidiert auseinanderzusetzen. Es ist nämlich gar nicht erforderlich, dass das Fehlverhalten ausschließlich vom anderen Ehepartner ausgeht. Die Zuweisung an einen Ehepartner ist tatsächlich selbst dann möglich, wenn die Auseinandersetzungen nicht überwiegend auf das Verhalten des anderen zurückzuführen sind. Die Eingriffsschwelle ist nur höher anzusetzen, wenn auch von dem die Zuweisung begehrenden Ehepartner Provokationen ausgegangen sind. Haben beide Ehepartner gleichermaßen dazu beigetragen, dass die Wohnsituation „unerträglich“ wurde, kommt es darauf an, welchen Ehepartner der Verlust der Wohnung persönlich oder beruflich härter trifft und welcher Ehepartner wirtschaftlich eher in der Lage ist, eine angemessene Ersatzwohnung zu finden (Johannsen/Henrich-Götz*, a.a.O., Rdnr. 25).

Im konkreten Fall kann nach Aktenlage und unter Berücksichtigung der vom Senat beigezogenen Akten des vorangegangenen Gewaltschutzverfahrens und der Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft Neuruppin zu den Aktenzeichen 382 Js 32097/09 und 341 Js 35598/09 jedenfalls festgestellt werden, dass die Wohnsituation „unerträglich“ geworden ist und einer Auflösung bedarf. Es gab seit dem 14./15. August 2008, also unmittelbar mit Beginn des Getrenntlebens in der Ehewohnung (nach vorangegangener Wohnungszuweisung an die Antragstellerin allein nach dem Gewaltschutzgesetz mit – ohne Anhörung des Antragsgegners ergangenem – Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 12. März 2009) zahlreiche (Schadens-)Ereignisse in und an dem häuslichen und nicht frei zugänglichen Grundstück, die als solche zu großen Teilen unstreitig sind und die Unerträglichkeit der Wohnsituation eindrücklich belegen: Ein – unstreitiges – verbotswidriges Betreten des Hausgrundstücks durch den Antragsgegner gegen Mittag am 14. August 2009, das nach den bestrittenen Behauptungen der Antragstellerin von einem Einbruchsversuch durch Aufhebeln der Terrassentür begleitet gewesen sein soll; die „im Timing aufreizende“ Rückkehr des Antragsgegners auf das eheliche Hausgrundstück um 0.04 Uhr am 15. August, unmittelbar nach Ablauf der Frist aus dem Vergleich vom 25. Juni im Beisein des Zeugen P…; am 24. August 2008 waren sämtliche Sicherungen im Außenbereich deaktiviert und an der Gartenpumpe manipuliert; jeder der Parteien hat ohne Einverständnis und gegen den Willen des anderen verschiedene Gegenstände vor dem anderen „in Sicherheit gebracht“; am 31. August gab es Sachschäden im Außenbereich des Hauses, war die gesamte Elektrik des Hauses außer Betrieb gesetzt und eine Tür im Wohnbereich der Antragstellerin widerrechtlich geöffnet; um den 6. Oktober 2009 herum war in der oberen Etage im Schlafzimmer/Büro die Telefonanlage komplett in der Steckdose zerstört und die gesamte Anlage demontiert, darüber hinaus Elektrogeräte, Schmuck, persönliche Unterlagen der Antragstellerin und ein Service von Villeroy & Boch entfernt worden; am 10. November 2009 war die Tür zum Schlafzimmer der Antragstellerin eingetreten, ohne dass ein gewaltsames Eindringen in das Haus festgestellt werden konnte. Während die Antragstellerin diese Ereignisse sämtlich dem Antragsgegner zuschreibt, verdächtigt dieser die Antragstellerin, diese Schadensereignisse manipuliert zu haben, um ihn sodann – falsch – bezichtigen zu können. Darüber hinaus werfen sich die Parteien wechselseitig der Unterschlagung von Post des jeweils anderen vor. Allein in der (Tat-)Zeit vom 20. März bis zum 31. August 2009 kam es laut Aktenvermerk des Regionalkommissariats H… vom 4. September 2009 (Bl. 9 der Ermittlungsakten zum Az. 382 Js 32097/09) zu „sieben wechselseitig erstatteten Strafanzeigen (der Parteien), welche alle im Zusammenhang mit der Trennung stehen“ und die dort im Einzelnen aufgelistet sind.

Die Koinzidenz dieser Ereignisse zur Trennung der Parteien und den anhängigen Verfahren zur Wohnungszuweisung ist schon sehr bemerkenswert und lässt die Annahme, dass hier jeweils ein oder mehrere unbekannte(r) Dritte „tätig“ geworden sein soll(en) als schlicht unplausibel erscheinen. Unabhängig von der Frage des konkreten Beitrages jedes Ehepartners zu dieser Situation muss danach jedenfalls festgestellt werden, dass die Lage eskaliert ist, die Atmosphäre von schwerem Misstrauen bzw. nahezu Hass geprägt ist, die Parteien sich faktisch nur noch belauern und erheblicher Vergehen verdächtigen. Mit anderen Worten: Ein erträgliches Nebeneinander in dem familiären Hausgrundstück ist objektiv nicht mehr möglich, zumal auch die räumlichen Voraussetzungen mit der gemeinschaftlichen Nutzung der Küche für ein dauerhaftes Getrenntleben in der vormaligen Ehewohnung von vornherein nicht optimal. Dem – unstreitigen – Umstand, dass der Antragsgegner entgegen der Vereinbarung vom 25. Juni 2009 die Kreditraten nach dem 15. August 2009 nicht geleistet hat, kommt daneben keine besondere Bedeutung mehr zu.

Schon mit diesen Erwägungen wäre die Wohnungszuweisung zugunsten der Antragstellerin gerechtfertigt, nachdem der Antragsgegner mit der – sachlich unzutreffenden – Auffassung dahin, dass es unerheblich sei, “ob und in welchem Umfang der Antragsgegner die untere Etage des Hauses nutzt“ (Seite 4 Mitte der Beschwerdeerwiderung vom 25. November 2009, Bl. 133 GA)) die Behauptung der Antragstellerin, er habe „die untere Etage des Hauses vollständig geräumt und benutzt sie überhaupt nicht mehr, sondern wohnt bei seiner Freundin“ (Seite 7 oben der Beschwerdeschrift vom 2. November 2009, Bl. 106 GA) faktisch unstreitig gestellt hat. Dann aber ist der Einschätzung der Antragstellerin dahin, dass ein schützenswertes Bedürfnis an der fortgesetzten Nutzung des Hauses nicht mehr besteht, uneingeschränkt beizupflichten. Somit ist aufgrund der hier positiv festgestellten unerträglichen Wohnsituation die begehrte Zuweisung an die Antragstellerin jedenfalls gerechtfertigt.

b) Unabhängig davon und damit die hier ergangene Entscheidung auch allein tragend war – wie die Beschwerde zu Recht ausführt – wegen der Beeinträchtigung des Wohls der gemeinsamen Tochter der Parteien die begehrte Wohnungszuweisung vorzunehmen.

Der Gesetzgeber, der im Übrigen wegen der Vielgestaltigkeit der Lebensverhältnisse auf die dezidierte Benennung von Härtegründen verzichtet hat, hat doch jedenfalls in § 1361 b Abs. 1 Satz 1 BGB die Beeinträchtigung des Kindeswohls als einen Tatbestand für das Vorliegen einer unbilligen Härte ausdrücklich erwähnt und schon dadurch zu einem besonderen – vorrangig zu berücksichtigenden – Kriterium erhoben. Sind danach von der Wohnungszuweisung Kinder betroffen, haben ihre Belange grundsätzlich Priorität bei der Billigkeitsabwägung (Johannsen/Henrich-Götz*, a.a.O., Rdnr. 15, 24).

Richtig ist zwar, dass – abgesehen von dem allerdings umstrittenen Vorfall, der zum Erlass der Gewaltschutzanordnung durch Beschluss vom 12. März 2009 geführt hat – im Streitfall offene Auseinandersetzungen zwischen den Parteien verbaler oder gar körperlicher Art nicht vorgetragen oder auch nur sonst ersichtlich sind. Gesundheitliche oder seelische Störungen bei Kindern können aber nicht nur durch verbale oder tätliche Auseinandersetzungen, sondern auch durch eine spannungsgeladene Atmosphäre ausgelöst werden. Ist – wie im Streitfalle (vgl. oben) – ein erträgliches Zusammenleben oder auch nur Nebeneinander der in Trennung lebenden Eltern unter einem Dach nicht mehr möglich, hat das Interesse des Kindes an einer geordneten, ruhigen und entspannten Familiensituation Vorrang. In diesem Sinne besteht dringender Handlungsbedarf für das Wohl C…s, die ihre Eltern als sich einander ebenso misstrauend wie belauernd beobachtend erlebt, wie sich etwa daran zeigt, dass offensichtlich jedes der Elternteile bei Zutritt zum Grundstück und darüber hinaus dafür Sorge trägt, dass jeder Schritt möglichst von vermeintlich unabhängigen Dritten wahrgenommen und bestätigt werden kann. Darüber hinaus musste das Kind erleben, dass es seit der Trennung wiederholt zu mit „normalen“ Einbruchsdiebstahlsvorfällen nicht überzeugend zu erklärenden Vandalismus- und Einbruchsschäden gekommen ist. Die heute 10-jährige C… muss diese Ereignisse der jüngeren Vergangenheit als besondere Bedrohung wahrnehmen, unabhängig davon, dass sie – wie jedes Kind – unter der Trennung ihrer Eltern ohnehin leidet. Zum Wohle des Kindes war daher die von Misstrauen, gegenseitigen Schuldvorwürfen und Ablehnung geprägte häusliche Atmosphäre durch die hier erfolgte Wohnungszuweisung aufzulösen, die dem Kind, das unstreitig im Haushalt der Antragstellerin bleiben wird, ungeachtet der inzwischen eingeleiteten, aber im Ergebnis völlig offenen Bemühungen um den Verkauf des Hausgrundstücks zumindest vorläufig die vertraute Umgebung mit den entsprechenden Sozialkontakten als Anker und dringend benötigter Ruhepunkt erhalten kann.

c) Der weichende Ehepartner ist von Gesetzes wegen verpflichtet, alles zu unterlassen, was geeignet ist, das Nutzungsrecht des anderen zu erschweren oder zu vereiteln. Das nach dieser Vorschrift gebotene Verhalten kann durch Zusatzanordnungen – auch im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 49 Abs. 2 Satz 3 FamFG) – konkretisiert werden. Angesichts der unter Einschaltung der Polizei und zahlreicher Dritter ausgelebten tief greifenden Auseinandersetzungen der Parteien, der vorgenannten Schadensereignisse und der unstreitigen Missachtung des Beschlusses des Amtsgerichts Oranienburg vom 12. März 2009 am 14. August 2009 durch den Antragsgegner erscheint es erforderlich, die hier vorgenommene Wohnungszuweisung mit einem ausdrücklichen Betretungsverbot für das Hausgrundstück und die Verpflichtung zur Herausgabe sämtlicher im Besitz des Antragstellers befindlichen Schlüssel zu begleiten und abzusichern.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs. 1 FamFG, § 20 Abs. 1 FamGKG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 41, 48 Abs. 1, 1. Alt. FamGKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 70 Abs. 4 FamFG.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.06.2010
9 UF 142/09

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