BVerfG: Bestellung eines Verfahrenspflegers zur Verfassungsbeschwerde

In dem Verfahren
auf
Bestellung eines Verfahrenspflegers

für Herrn L…
zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde

gegen

a)
den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 9. Januar 2013 – 3 T 322/12 -,

b)
den Beschluss des Landgerichts Aachen vom 21. November 2012 – 3 T 322/12 –

Antragsteller:
1. Herr H…

2. Herr L…
 

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch

den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Masing
und die Richterin Baer

gemäß § 93d Abs. 2 Satz 1 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. Mai 2013 einstimmig beschlossen:

Der Antrag auf Bestellung als Verfahrenspfleger zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die Bestellung des Antragstellers zu 1) als Verfahrenspfleger für den Antragsteller zu 2) zum Zwecke der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde.

Dem Antrag liegt ein betreuungsrechtliches Verfahren zugrunde, in dem der an einer emotional-instabilen Persönlichkeitsstörung sowie einem hirnorganischen Psychosyndrom leidende Antragsteller zu 2) einen Betreuerwechsel beantragt hatte. Dieser Antrag wurde rechtskräftig zurückgewiesen. Die gegen den insofern letztinstanzlichen Beschluss des Landgerichts Aachen erhobene Anhörungsrüge wurde als unzulässig verworfen, da ein Gehörsverstoß nicht hinreichend substantiiert dargelegt worden sei.

Der Antragsteller zu 1) ist Rechtsanwalt und war im gesamten einfachgerichtlichen Verfahren gemäß § 276 Abs. 1 FamFG zur Wahrnehmung der Interessen des Antragstellers zu 2) als Verfahrenspfleger bestellt. Ihren Antrag auf Bestellung des Antragstellers zu 1) als Verfahrenspfleger für den Antragsteller zu 2) zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde begründen die Antragsteller damit, dass der Antragsteller zu 2) aufgrund seiner Erkrankung zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde nicht in der Lage wäre, die Bestellung des Antragstellers zu 1) als Verfahrenspfleger nach dessen Verständnis von § 276 Abs. 5 FamFG aber mit Rechtskraft der einfachgerichtlichen Entscheidung beendet sei und folglich ein Bedürfnis auf eine gesonderte Bestellung als Verfahrenspfleger zur Erhebung einer Verfassungsbeschwerde bestehe, auch wenn hierfür eine gesetzliche Regelung fehle.

II.

Der Antrag ist unzulässig. Die Bestellung als Verfahrenspfleger durch das Bundesverfassungsgericht ist gesetzlich nicht vorgesehen und im Hinblick auf sie besteht auch kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Antragsteller zu 1) kann bei sachgerechter Auslegung des § 276 FamFG bereits aufgrund seiner bisherigen einfachgerichtlichen Bestellung als Verfahrenspfleger Verfassungsbeschwerde erheben.

Gemäß § 276 Abs. 1 FamFG wird dem Betroffenen in einem betreuungsrechtlichen Verfahren ein Verfahrenspfleger bestellt, wenn dies zur Wahrnehmung seiner Interessen erforderlich ist. Darauf, ob dem Betroffenen bereits ein Betreuer zur Seite steht beziehungsweise bestellt ist, kommt es dabei nicht an. Denn gerade in Verfahren, in denen – wie vorliegend – etwa der Aufgabenkreis oder die Person des Betreuers betroffen sind, bestehen zwischen Betroffenen und Betreuer häufig potentielle Interessenskonflikte. Der Verfahrenspfleger hat in diesen Verfahren dann die Pflicht, die verfahrensmäßigen Rechte des Betroffenen, insbesondere dessen Anspruch auf rechtliches Gehör, zu wahren, hierfür den tatsächlichen und mutmaßlichen Willen des Betroffenen zu erkunden und im Interesse des Betroffenen in das Verfahren einzubringen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 2009 – XII ZR 77/06, NJW 2009, S. 2814 <2819>; Günter, in: BeckOK, FamFG, Stand: 1. Januar 2013, § 276 Rn. 3). Anders als etwa ein Ergänzungspfleger in Familienverfahren ist der Verfahrenspfleger jedoch nicht Vertreter des Betroffenen – dies bleibt allein der bereits bestellte Betreuer; er handelt vielmehr als eigenständiger Verfahrensbeteiligter stets in eigenem Namen (vgl. Budde, in: Keidel, FamFG*, 17. Aufl. 2011, § 276 Rn. 26; Günter, in: BeckOK, FamFG, Stand: 1. Januar 2013, § 276 Rn. 2). Als solcher kann er dann allerdings die gleichen Rechte geltend machen, die auch dem Betroffenen zustehen. So ist er insbesondere auch befugt, eigenständig Rechtsmittel einzulegen (vgl. Budde, in: Keidel, FamFG*, 17. Aufl. 2011, § 276 Rn. 24, 27; Günter, in: BeckOK, FamFG, Stand: 1. Januar 2013, § 276 Rn. 5). Beendet ist die Verfahrenspflegschaft nach dem Wortlaut des § 276 Abs. 5 FamFG, „sofern sie nicht vorher aufgehoben wird, mit der Rechtskraft der Endentscheidung oder mit dem sonstigen Abschluss des Verfahrens“.

Jedenfalls in betreuungsrechtlichen Verfahren, in denen die Person oder der Aufgabenbereich des Betreuers Verfahrensgegenstand sind, sind diese Vorschriften über die Verfahrenspflegschaft so auszulegen, dass diese auch das Recht zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde einschließen, also dem für das einfachrechtliche Verfahren bestellten Verfahrenspfleger auch die Befugnis einräumen, im Interesse des Betroffenen über die einfachrechtlichen Rechtsmittel hinaus Verfassungsbeschwerde zu erheben. Andernfalls bestünde in derartigen Konstellationen entgegen dem Grundgedanken des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG die Gefahr, dass gegenüber der rechtsprechenden Gewalt der Betreuungsgerichte Grundrechte von vornherein nicht zeitgerecht und wirkungsvoll im Wege einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden könnten, da der Betreute selbst aufgrund seiner Erkrankung möglicherweise hierzu nicht in der Lage ist und sein Betreuer als gesetzlicher Vertreter aufgrund potentieller Interessenkonflikte hierzu möglicherweise nicht willens ist.

Diese Auslegung entspricht sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des § 276 Abs. 5 FamFG. Dieser stellt im Hinblick auf den Zeitpunkt der Beendigung der Verfahrenspflegschaft nicht lediglich auf die Rechtskraft der Endentscheidung, sondern alternativ auch auf den sonstigen Abschluss des Verfahrens ab. Dies ist dahingehend zu verstehen, dass im Falle, dass noch fristgemäß Verfassungsbeschwerde erhoben wird, das Verfahren noch nicht sonst abgeschlossen ist. Es verhält sich insoweit ähnlich wie bei der Anhörungsrüge nach § 44 FamFG (i.V.m. § 69 Abs. 3 FamFG), die den Eintritt der Rechtskraft gleichfalls nicht aufschiebt, sondern allenfalls deren Durchbrechung bewirken kann (vgl. etwa Meyer-Holz, in: Keidel, FamFG*, 17. Aufl. 2011, § 44 Rn. 1, 62 f.); dies hinderte nicht, dass der Verfahrenspfleger auch im hier durchgeführten Anhörungsrügeverfahren ausweislich des vorgelegten Beschlusses des Landgerichts Aachen beteiligt war. Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Regelung. Der Verfahrenspfleger soll nach § 276 Abs. 5 FamFG im Interesse des Betroffenen Rechtsmittel einlegen, wenn dies angezeigt ist (vgl. BTDrucks 16/6308, S. 272). Zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen gehört insbesondere auch der Schutz dessen grundrechtlicher Positionen. Um diese wirksam schützen zu können, muss er im Interesse des Betroffenen auch noch Verfassungsbeschwerde erheben können.

Einer solchen Auslegung steht auch nicht entgegen, dass mit der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich eigene Rechte in eigenem Namen geltend zu machen sind (vgl. BVerfGE 2, 292 <294>; 10, 134 <136>; 56, 296 <297>). Es ist anerkannt, dass in Ausnahmefällen auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren fremde Rechte in eigenem Namen geltend gemacht werden können (vgl. BVerfGE 10, 229 <230>; 21, 139 <143>; 65, 182 <190>). Dies gilt insbesondere, wenn ansonsten die Gefahr bestünde, dass gerichtliche Entscheidungen überhaupt nicht mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden könnten (vgl. BVerfGE 77, 263 <269>).

III.

Dem Antragsteller zu 1) steht es nunmehr frei, gegebenenfalls gemäß § 93 Abs. 2 BVerfGG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen und Verfassungsbeschwerde zu erheben.

Kirchhof
Masing
Baer

BVerfG, Beschluss vom 22.03.2013
1 BvR 372/13

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