OLG München: Alleiniges Sorgerecht, damit die Mutter mit Kindern auswandern kann

  1. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 03.12.2007 aufgehoben
  2. Der Mutter und Antragstellerin wird die alleinige Sorge über die Kinder B., geboren am …2003 und M., geboren am …2005 übertragen.
  3. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet. Die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
  4. Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt …, München, beigeordnet.
  5. Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 € festgesetzt.
  6. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

1. Die Parteien sind die Eltern der Kinder B. und M. Sie leben seit 07.02.2007 dauernd voneinander getrennt. An diesem Tag verließ der Antragsgegner die elterliche Wohnung. Er lebt mit einer neuen Partnerin zusammen. Die Kinder werden von der Antragstellerin, die die peruanische Staatsangehörigkeit besitzt, betreut und versorgt. Sie erhält für sich und die Kinder Sozialhilfe.

Der Antragsgegner ist selbständig und erzielt derzeit aus seiner Firma … GmbH nur ein geringes Einkommen. Gemäß Nachtrag zum Geschäftsführervertrag wurde seine Geschäftsführervergütung gemäß Beschluss vom 05.04.2008 ab 01.07.2008 auf monatlich 2.500 € abgeändert. Zurzeit bezahlt der Antragsgegner weder Kindes- noch Ehegattenunterhalt. Gemäß einer Vereinbarung der Parteien vom 08.01.2008 steht dem Antragsgegner ein Umgangsrecht mit beiden Kindern an jedem 2. Wochenende von Freitag 18:30 Uhr bis Sonntag 18 Uhr sowie unter der Woche am Mittwoch von 14 Uhr bis Donnerstag 9 Uhr zu.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 25.07.2007 die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge ginsichtlich der gemeinsamen Kinder b. und M. auf sich beantragt.

Nach Anhörung der Parteien, der Verfahrenspflegerin und der Vertreterin des Stadtjugendamtes übertrug das Amtsgericht-Familiengericht mit Beschluss vom 03.12.2007 der Antragstellerin das Aufenthaltsbestimmungsrecht über beide Kinder für den Großraum München und verpflichtete sie, die Reisepässe der Kinder bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens beim Amtsgericht München zu hinterlegen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die ihr Ziel der alleinigen Übertragung der elterlichen Sorge weiterverfolgt, weil sie beabsichtigt, mit den Kindern in ihre Heimat Peru zurückzukehren.

Der Antragsgegner beantragt Zurückweisung der Beschwerde sowie die Erholung eines familienpsychologischen Gutachtens, außerdem die Zulassung der Rechtsbeschwerde.

2. Die Beschwerde der Antragstellerin ist nach §§ 621 I Nr. 1, 621a I, III, 517 ff. ZPO zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.

§ 1671 II Nr. 2 BGB lässt dei Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil alleine zu, wenn dies dem Kindeswohl entspricht, das heißt, die Begründung der Alleinsorge muss gegenüber der Beibehaltung der gemeinsamen Sorge das Beste für die Kinder sein.

Zwar sind beide Eltern zur Erziehung geeignet. Hauptbezugsperson der noch relativ kleinen Kinder ist jedoch unbestritten die Mutter. Der Vater will lediglich ein Umgangsrecht; deshalb wünscht er die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Auf jeden Fall möchte er einen Wegzug der Kinder nach Peru verhindern, weil er in diesem Fall weitgehend den Kontakt zu den Kindern verlieren würde. Wenn die Mutter mit den Kindern in Deutschland bleibt, ist er nach wie vor mit der Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf die Mutter einverstanden.

Auch wen die gemeinsame elterliche Sorge den normativen Regelfall darstellt, kann die Alleinsorge nicht als ultima ratio verstanden werden, so dass der Beibehaltung der gemeinsamen Sorge grundsätzlich nicht der Vorrang gegenüber der Einzelsorge zukommt (OLG Hamm, FamRZ 1998, 39). Allein der Umstand, dass ein Elternteil mit den gemeinsamen Kindern in seine Heimat ins Ausland umsiedeln will, rechtfertigt es nicht, ihm die beantragte Übertragung des Personensorgerechts zu verweigern. Für die Sorgerechtsentscheidung ist vielmehr entscheidend darauf abzustellen, was dem Kindeswohl am besten dient (OLG Köln, FamRZ 2006, 1825).

Wohl des Kindes bedeutet Förderung seiner Entwicklung und Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Entscheidend sind allein die Belange des Kindes, nicht moralische Anrechte eines Elternteils. Nach dem Förderungsprinzip erhält derjenige Elternteil die elterliche Sorge, von dem das Kind für den Aufbau seiner Persönlichkeit die meiste Unterstützung erwarten kann, welcher Elternteil also für das Kind die stabilere und zuverlässigere Bezugsperson zu sein verspricht (OLG Ffm, FamRZ 1994, 920). Dabei kommt es weniger auf die Vor- oder Ausbildung als auf die Bereitschaft an, das Kind zu sich zu nehmen und die Verantwortung für seine Erziehung und Versorgung zu tragen. Gegebenfalls ist sogar der emotionalen Förderung der Vorzug vor schulischer Förderung einzuräumen (OLG Bamberg, FamRZ 1980 ,484).

Dem Antragsgegner ist zuzustimmen, dass durch den Wegzug der Kinder nach peru seine persönlichen Beziehungen zu den Kindern beeinträchtigt werden und auch die Prägung durch die deutsche Kultur von anderen Einflüssen überlagert wird. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Antragsgegner seit Trennung im Februar 2007 keinen Unterhalt für seine Familie zahlt. Auf den Vorhalt im Termin am 28.02.2008 hat er ziemlich ungerührt erklärt, er könne keine abhängige Stelle antreten, weil er eine Firma mit 10 Mitarbeitern führe, für die er zu sorgen habe. Die Kinder möchte er ganztägig im Kindergarten unterbringen.

Ein Regelungsbedürfnis hinsichtlich der elterlichen Sorge ergibt sich ohne Weiteres aus dem Streit der Eltern, ob die Kinder in Deutschland zu verbleiben haben oder ob es einem Elternteil erlaubt ist, zusammen mit den Kindern ins ferne Ausland zu ziehen, und der Tatsache, dass es den Eltern an einem Mindestmaß an Übereinstimmung bzw. Kooperationsbereitschaft fehlt, das es gestatten würde. In Anbetracht der großen Entfernung scheint dies auch nicht praktikabel zu sein.

Beabsichtigt ein Elternteil wie im vorliegenden Fall die Antragstellerin die Umsiedlung ins Ausland, so steht dem Elternrecht des anderen Elternteils auf möglichst freien Umgang mit seinen Kindern aus Art. 6 GG das Rechts des antragstellenden Elternteils auf örtlich freizügige Lebensgestaltung und Freizügigkeit aus Art. 2 GG entgegen, das anderenfalls in unangemessener Weise tangiert würde, wenn man wegen eines solchen Umzugs aus grundsätzlichen Erwägungen generell eine Sorgerechtsübertragung auf ihn verbieten würde. Das verfassungsrechtliche Prinzip der praktischen Konkordanz gebietet es, die Grundrechte beider Eltern zu optimaler Wirksamkeit erlangen zu lassen und einander so zuzuordnen, dass jedes von ihnen weitestgehende Wirksamkeit erlangt.

Es müssen beachtenswerte Gründe vorgetragen werden, die es rechtfertigen, dass der antragstellende Elternteil ins Ausland verzieht, wie z.B. der Umzug eines Ausländers in seine Heimat. Bestehen dort soziale Bindungen, in die die Kinder mit einbezogen werden ist dies bei der Kindeswohlprüfung zu berücksichtigen (OLG Köln, FamRZ 2006, 1625 1626).

Ein solch triftiger Grund kann dann vorliegen, wenn der aus beruflichen Gründen ins Ausland ziehende, die Kinder bisher allein betreuende und versorgende Elternteil die Entscheidung des Umzugs deswegen trifft, um seine berufliche Zukunft und seine und der Kinder wirtschaftliche Existenz zu sichern. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Bindungen der Kinder an diesen Elternteil eng sind und auch im Ausland die seelisch-geistige Entwicklung der Kinder gesichert erscheint, andererseits die wirtschaftliche und soziale Situation des anderen Elternteils in Deutschland fraglich ist. Dies wird auch von der Verfahrenspflegerin vollkommen verkannt.

Im vorliegenden Fall sorgt die Antragstellerin seit Trennung der Parteien weitestgehend alleine für die Kinder. Es kann unterstellt werden, dass die Kinder an ihrem Vater hängen und ein gutes Verhältnis zu ihm haben, weshalb auch die Erholung eines familienpsychologischen Gutachtens entbehrlich ist. Des Weiteren wird unterstellt, dass die Trennung der Kinder vom Vater für diese belastend ist.

Die Antragstellerin hat im Einzelnen dargelegt und nachgewiesen, dass ihre familiäre und finanzielle Situation im Falle einer Rückkehr nach Peru gesichert ist. Beide Kinder haben einen Kindergartenplatz in der Deutsch-Peruanischen Schule, sie selbst könne ihr abgebrochenes Studium beenden, während sie in Deutschland als ungelernte Verkäuferin arbeiten müsste.

Auch wenn die gute finanzielle Situation der Antragstellerin in Peru derzeit nur auf dem Wohlwollen der Verwandten beruht, ist sie viel besser als in der Bundesrepublik, wo die Antragstellerin Sozialhilfe bezieht.

Der Antragsgegner hat im Laufe des Verfahrens und beim Anhörungstermin gezeigt, dass er vor allem seine eigenen Interessen gewahrt wissen will, während ihm das Wohl seiner Kinder nicht so wichtig ist; denn er findet es vollkommen in Ordnung, dass seine Familie von der öffentlichen Hand lebt und dass die beiden relativ kleinen Kinder ganztägig fremd betreut werden. Er neigt stark zum Selbstmitleid und will seine Rechte an den Kindern durchsetzen. Er kann sich durchaus vorstellen, dass die Kinder von ihrer Mutter getrennt und von seiner neuen Lebensgefährtin, die selbst ein 5-jähriges Kind hat, betreut werden. Dies widerspricht jedoch nach Überzeugung des Senats in eklatanter Weise dem Kindeswohl.

In der Heimat der Mutter werden die Kinder in eine Großfamilie mit Tanten, Onkeln und Großeltern integriert. Der Kontakt zum Vater kann durch Besuche und Telefonate aufrechterhalten werden.

Unter den gegebenen Umständen ist die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge während des dauerhaften Auslandsaufenthalts der Mutter die einzig sinnvolle Regelung, die auch dem Kindeswohl entspricht. Der Antragstellerin kann der Wegzug in ihre Heimat nicht versagt werden, nachdem die Ehe mit dem Antragsgegner gescheitert ist und sie sich in Deutschland isoliert fühlt. Der Antragsgegner wusste, dass er eine Ausländerin heiratet, die unter Umständen wieder in ihre Heimat zurückkehren würde. Die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter und Antragstellerin ist unter Wahrung des Kindeswohls und unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs gerechtfertigt, um die Kontinuität der Beziehung der Kinder zu ihrer Hauptbezugsperson sicherzustellen (OLG München, JAmt 2002, 48).

Zum Recht des betreuenden Elternteils auf Freizügigkeit gehört es grundsätzlich auch, den Wohnsitz im Ausland zu begründen. Die Achtung des Familienlebens im Sinne der EMRK erfordert nicht die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Grundsätzlich ist die elterliche Sorge für kleine Kinder auf den Elternteil zu übertragen, bei dem die Kontinuität der Betreuung am besten sichergestellt werden kann und zu dem die Kinder nach den Umständen die stärkeren Bindungen aufweisen (OLG Frankfurt/M., FamRZ 2007, 759).

Dies ist im vorliegenden Fall unbestritten die Mutter, die die Kinder seit Geburt betreut. Auch wenn der Antragsgegner nunmehr plötzlich Defizite im Erziehungsverhalten der Mutter festgestellt haben will, konnten diese nicht verifiziert werden. Die Antragstellerin hat vielmehr nachgewiesen, dass sie sich gut um das Wohl der Kinder kümmert.

3. DIe Kostenentscheidung folgt aus §§ 13 a I S. 1 FGG, 3 Nr. 1 KostO. Die Entscheidung über den Gegenstandswert folgt aus den §§ 23 I RVG, 30 II, 131 II KostO.

4. Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor, §§ 621 e II, 543 II, 544 ZPO. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die weder von grundsätzlicher Bedeutung ist noch der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Zahlreiche Oberlandesgerichte haben in ähnlich gelagerten Fällen ebenso entschieden.

OLG München, Beschluss vom 09.05.2008
12 UF 1854/07

AG München
524 F 6956/07

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