OLG Bremen: Unterhaltsanspruch bei neuer Ehe des Pflichtigen

1. Auf ihre sofortige Beschwerde wird der Beklagten in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremerhaven vom 04.03.2009 (153 F 1146/08) unter Beiordnung von Rechtsanwältin K. insoweit Prozeßkostenhilfe bewilligt, als sie sich gegen die Herabsetzung des durch Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremerhaven vom 05.12.2006 (153 F 542/05) titulierten nachehelichen Unterhalts für den Monat November 2008 insgesamt und für die Zeit ab Dezember 2008 auf weniger als monatlich 200 € (davon 39 € Altersvorsorgeunterhalt) verteidigt.

2. Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

3. Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren wird auf die Hälfte ermäßigt (Nr. 1812 der Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG).
Gründe

I. Die Ehe der Parteien wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bremerhaven vom 5. Dezember 2006 (153 F 542/05) geschieden, verbunden mit der Verurteilung des Klägers, an die Beklagte ab Rechtskraft der Ehescheidung monatlichen Unterhalt (Aufstockungsunterhalt) in Höhe von 328 € (davon 65 € Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen. Die im Jahre 1956 geborene Beklagte, die über keine Berufsausbildung verfügt, hat vor und während der Ehe der Parteien als Reinigungskraft gearbeitet und übt diese Tätigkeit auch weiterhin aus. Auf einen ehebedingten Pkw-Kredit zahlt sie monatlich 30 €. Der Kläger hat erneut geheiratet. Seine im Jahre 1956 geborene Ehefrau, die gelernte Friseurin ist und ein 8-jähriges Kind aus einer anderen Beziehung hat, ist nicht erwerbstätig. Bis zur Eingehung der Ehe mit dem Kläger bezog sie eine Witwenrente. Aufgrund der Eheschließung hat sie eine Abfindung in Höhe des 24-fachen Monatsbetrags der Witwenrente (insgesamt 6.180,72 €) erhalten.

Mit seiner am 18. November 2008 beim Amtsgericht – Familiengericht – Bremerhaven eingereichten und der Beklagten am 2. Dezember 2008 zugestellten Klage begehrt der Kläger, der seit 1. Februar 2008 Einkünfte aus einer Tätigkeit als Bauhelfer erzielt, die Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Bremerhaven vom 5. Dezember 2006 (153 F 542/05) dahingehend, daß ab November 2008 seine Unterhaltspflicht gegenüber der Beklagten entfällt. Er beruft sich zur Begründung seines Klagebegehrens auf Änderungen des Unterhaltsrechts und seines Einkommens sowie auf seine neue Ehe. Er macht geltend, daß die Beklagte keine ehebedingten Nachteile erlitten habe und bei vollschichtiger Erwerbstätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen von 964 € erzielen könne; außerdem hält er den Unterhaltsanspruch der Beklagten für verwirkt, da sie seit Jahren mit einem Lebensgefährten zusammenlebe. Er behauptet, berufsbedingte Fahrtkosten von monatlich 300 € zu haben. Der Abfindungsbetrag seiner Ehefrau sei zur Tilgung von Schulden und zur Einrichtung des Kinderzimmers verbraucht worden.

Die Beklagte, die die Abweisung der Klage beantragt und für ihre Verteidigung gegen die Klage um Prozeßkostenhilfe nachsucht, bestreitet das Bestehen einer Lebensgemeinschaft mit einem neuen Partner und meint, daß ihr der titulierte Unterhalt weiterhin in voller Höhe zusteht. Sie macht geltend, daß die Ehe der Parteien von langer Dauer gewesen sei. Sie habe sich während der Ehe um die Versorgung und Erziehung der beiden Kinder der Parteien gekümmert und nur geringfügige Beschäftigungen ausgeübt; dadurch habe sie ehebedingte Nachteile erlitten. Sie unterstütze die in ihrem Haushalt lebende jüngste Tochter der Parteien, die im Jahre 1987 geboren ist und sich in der Berufsausbildung befindet. Sie erziele aus mehreren Putzstellen ein monatliches Nettoeinkommen von insgesamt 726,55 €, von dem noch die Pkw-Rate und Fahrtkosten (Monatskarte) von 39,10 € abzuziehen seien. Weitere Putzstellen könne sie nicht erhalten. Auch aufgrund ihres Alters könne sie ihr Einkommen aus ihrer Tätigkeit als Putzfrau nicht mehr erhöhen. Die jetzige Ehefrau des Klägers sei ihr gegenüber nachrangig. Im übrigen sei der Ehefrau des Klägers im Rahmen der Unterhaltsberechnung neben der Witwenrente ein fiktives Einkommen von monatlich 500 € zuzurechnen, das sie aus eigener Erwerbstätigkeit erzielen könne. Außerdem seien bei dem Kläger und seiner Ehefrau Vorteile aus dem Zusammenleben zu berücksichtigen.

Mit Beschluß vom 4. März 2009 hat das Amtsgericht der Beklagten unter Beiordnung ihrer Verfahrensbevollmächtigten Prozeßkostenhilfe bewilligt, soweit sie sich gegen die Herabsetzung des Unterhaltes auf weniger als 109 € pro Monat seit Dezember 2008 verteidigt, eine weitergehende Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung verneint und ihr damit konkludent die Prozeßkostenhilfe für die weitergehende Rechtsverteidigung versagt. Gegen diesen Beschluß, der ihr am 10. März 2009 zugestellt worden ist, richtet sich die am 26. März 2009 mit dem Ziel, ihr in vollem Umfange Prozeßkostenhilfe für die Rechtsverteidigung zu bewilligen, eingelegte Beschwerde der Beklagten, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II. Die gemäß §§ 127 Abs. 2, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat insoweit Erfolg, als es um die Verteidigung der Beklagten gegen die Herabsetzung des durch Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Bremerhaven vom 5. Dezember 2006 (153 F 542/05) titulierten nachehelichen Unterhalts für den Monat November 2008 insgesamt und für die Zeit ab Dezember 2008 auf weniger als monatlich 200 € (davon 39 € Altersvorsorgeunterhalt) geht. Im übrigen hat die Rechtsverteidigung keine Aussicht auf Erfolg.

Bei der im Wege der Drittelmethode vorzunehmenden Bedarfsberechnung (BGH FamRZ 2008, 1911 = FuR 2008, 542 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 69; OLG Bremen FamRZ 2009, 343; NJW 2009, 925) ist auf seiten des Klägers in geringfügiger Abweichung von der Berechnung des Amtsgerichts von einem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von rund 1.542 € auszugehen. Seine Gehaltsabrechnung für Dezember 2008 weist für den Zeitraum vom 1. Februar 2008 bis zum 31. Dezember 2008 ein Gesamtbruttoeinkommen von 22.520,51 € aus. Nach Abzug der Lohnsteuer (889,12 €), der Kirchensteuer (55,38 €), des Solidaritätszuschlags (32,19 €), der Beiträge zur Krankenversicherung (1.790,39 €), zur Rentenversicherung (2.212,97 €), zur Arbeitslosenversicherung (366,97 €) und zur Pflegeversicherung (214,29 €) verbleiben netto 16.959,20 €, dividiert durch 11 (Monate) mithin rund 1.542 € monatlich. Daß das Amtsgericht auf seiten des Klägers keinen Abzug berufsbedingter Fahrtkosten vorgenommen hat, ist im Rahmen der summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung der Beklagten unschädlich, zumal es insoweit bislang an einem hinreichend substantiierten Vortrag des Klägers fehlt.

Daß das Amtsgericht auf seiten der Beklagten ein fiktives Nettoeinkommen von 850 € angesetzt hat, ist mit Rücksicht auf die Erwerbsobliegenheit der Beklagten im Umfang einer Vollzeittätigkeit ebenfalls nicht zu beanstanden. Ausweislich ihrer Gehaltsabrechnung für Dezember 2008 war die Beklagte im Rahmen ihrer bisherigen Erwerbstätigkeit in der Lage, einen Stundenlohn von brutto 8,15 € zu erzielen. Der Senat geht deshalb davon aus, daß die Beklagte im Rahmen einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit jedenfalls das vom Amtsgericht zugrunde gelegte Nettoeinkommen von 850 €, bereits bereinigt um monatliche Fahrtkosten von 40 € und die Kreditrate von 30 €, erzielen könnte. Um ein Nettoeinkommen von (unbereinigt) 920 € zu erzielen, müßte ihr Bruttoeinkommen 1.254,16 € betragen (s. anliegende Lohnberechnung vom 15. Mai 2009). Bei vollschichtiger Tätigkeit (40 Stunden/Woche = rund 173 Stunden/Monat) entspricht dies einem Bruttostundenlohn von rund (1.254,16 € : 173 =) 7,25 €, der nicht unrealistisch hoch erscheint.

Problematisch ist hingegen die Frage, welches Einkommen auf seiten der Ehefrau des Klägers zum Zwecke der Bedarfsbemessung anzusetzen ist.

Daß das Amtsgericht hier den Abfindungsbetrag nach § 80 Abs. 1 S. 1 SGB VII in Höhe des 24-fachen des Monatsbetrages der vor der Eheschließung mit dem Kläger bezogenen Witwenrente auf 24 Monate umgelegt und daher ein monatliches Einkommen von 258 € angerechnet hat, begegnet im Rahmen der summarischen Prüfung der Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung der Beklagten trotz der Behauptungen des Klägers zum Verbrauch der Abfindung keinen Bedenken, zumal der Vortrag des Klägers nicht erkennen läßt, welche konkreten Teile der Abfindung für welche Zwecke verbraucht wurden, so daß nicht feststellbar ist, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe noch Mittel aus der Abfindung vorhanden sind.

Soweit die Beklagte einwendet, der Ehefrau des Klägers müsse neben dem vom Amtsgericht berücksichtigten Betrag von 258 € aus der Abfindung ein fiktives monatliches Nettoeinkommen von 500 € zugerechnet werden, stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit bei der Unterhaltsberechnung unter Anwendung der Drittel-Methode im Rahmen der Bedarfsermittlung dem mit dem Pflichtigen in intakter Ehe zusammenlebenden Ehegatten ein fiktives Einkommen zuzurechnen ist. Diese Frage ist durch die Rechtsprechung noch nicht geklärt. In der Literatur sprechen sich insbesondere Gutdeutsch (FamRB 2008, 382, 384; Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis* 7. Aufl. § 4 Rdn. 399) und Gerhardt (Handbuch Fachanwalt Familienrecht 6. Aufl. 6. Kap. Rdn. 253b) dafür aus, in Fällen, in denen der Unterhaltsanspruch eines geschiedenen Ehegatten mit dem eines mit dem Pflichtigen in intakter Ehe zusammenlebenden Ehegatten zusammentrifft, diesem ein fiktives Einkommen zuzurechnen, das sich daran orientiert, was ihm im Falle des Getrenntlebens zuzurechnen wäre (zust. Brückner, jurisPR-FamR 7/2009 Anm. 4; offen insoweit die Ausführungen zur Unterhaltsbemessung bei gleichrangig unterhaltsberechtigten Ehegatten bei Eschenbruch/Klinkhammer*/Schürmann, Unterhaltsprozeß 5. Aufl. Kap. 1 Rdn. 1123 – 1136). Begründet wird dies damit, daß es unbillig erscheine, dem Geschiedenen den vollen Bedarf des mit dem Pflichtigen zusammenlebenden Ehegatten entgegenzuhalten.

Der Senat steht dieser Sichtweise derzeit skeptisch gegenüber. Es spricht nämlich einiges dafür, daß in Konstellationen, in denen eine Bedarfsbemessung im Wege der Dreiteilung/Gleichteilung vorzunehmen ist, jeweils nur dem Berechtigten ein fiktives Einkommen zugerechnet werden kann, den im Verhältnis zum Pflichtigen eine Erwerbsobliegenheit trifft; andernfalls besteht die Gefahr, daß bei intakter Ehe des Pflichtigen – ohne überzeugenden Rechtfertigungsgrund – in einer ihrerseits unbilligen Weise in die von diesem und seiner Ehefrau gewählte Rollenverteilung eingegriffen wird, wenn man der mit ihm zusammenlebenden Ehefrau fiktiv ein Einkommen zurechnet, dessen Höhe sich danach bemißt, was sie im Falle des Getrenntlebens (und einer sie deshalb im Verhältnis zum Pflichtigen treffenden Erwerbsobliegenheit) erzielen müßte, obwohl sie tatsächlich aufgrund einer von den Ehegatten nach § 1356 Abs. 1 BGB autonom getroffenen Vereinbarung über ihre jeweiligen Beiträge zum Familienunterhalt gemäß § 1360 BGB ein geringeres oder gar kein Einkommen erzielt, denn dieses Fingieren einer Trennung in der intakten Ehe hätte zur Folge, daß zur (nicht nur fiktiven, sondern realen) Verwirklichung der Gleichteilung die Ehefrau (ohne daß sie eine Erwerbsobliegenheit trifft) »gezwungen« wäre, eine Erwerbstätigkeit in dem Umfange auszuüben, wie es ihr im Falle der Trennung von dem Pflichtigen obläge. Dies wäre aber nur gerechtfertigt, wenn man in der von dem Pflichtigen und der mit ihm zusammenlebenden Ehefrau getroffenen Wahl einer Rollenverteilung, bei der die Ehefrau nicht oder in geringerem Umfange arbeitet, als es ihr im Falle der Trennung von dem Pflichtigen aufgrund der sie dann treffenden Erwerbsobliegenheit obläge, ein unterhaltsrechtlich vorwerfbares Verhalten erblicken würde, da nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (FamRZ 2008, 1911, 1914 = FuR 2008, 542 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 69) die Berücksichtigung einer nachehelichen Verringerung des verfügbaren Einkommens des Pflichtigen durch hinzugetretene weitere Unterhaltspflichten ihre Grenze erst in der nachehelichen Solidarität findet, so daß nur bei unterhaltsrechtlich vorwerfbarem Verhalten von einem fiktiven Einkommen auszugehen ist.

Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob eine zwischen dem Pflichtigen und seiner mit ihm zusammenlebenden Ehefrau vereinbarte Rollenverteilung als unterhaltsrechtlich vorwerfbares Verhalten zum Nachteil der geschiedenen Ehefrau qualifiziert werden kann. Insofern ist fraglich, warum ein Unterhaltspflichtiger bestimmte weitere Unterhaltspflichten eingehen darf (z.B. durch das Hinzutreten von Kindern oder die Eingehung der Ehe mit einem arbeitsunfähigen Partner), die bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs des früheren Ehegatten zu berücksichtigen sind, für das Hinzutreten eines neuen – erwerbsfähigen – Ehegatten als Unterhaltsberechtigten jedoch insoweit etwas anderes gelten soll, als diesem fiktive Einkünfte zugerechnet werden. Zwar können die hinzutretenden Berechtigten sich in dem einen Falle nicht selbst unterhalten, während der erwerbsfähige Ehegatte dazu grundsätzlich in der Lage wäre, jedoch aufgrund der gemeinsam mit dem Pflichtigen gewählten Rollenverteilung in der Ehe nicht arbeitet. In beiden Fällen beruht das Hinzutreten weiterer Berechtigter jedoch auf einer Entscheidung des Pflichtigen, zusätzliche Unterhaltsverpflichtungen einzugehen.

Diese Entscheidung im letztgenannten Falle als unterhaltsrechtlich vorwerfbar anzusehen, in anderen Fällen hingegen nicht, erscheint inkonsequent und kann zu einer erheblichen Belastung der neuen Ehe des Pflichtigen dadurch führen, daß im Falle eines Unterhaltsrechtsstreits zwischen dem früheren Ehegatten und dem Pflichtigen zwischen diesem und seiner neuen Ehefrau deren Erwerbsobliegenheit thematisiert werden muß, obwohl die Ehe intakt ist, und die Partner sich dafür entschieden haben, daß der neue Ehegatte nicht oder in geringerem Umfange arbeitet, als er es im Falle des Getrenntlebens müßte. Ob sich das mit der nach § 1356 Abs. 2 S. 2 BGB bestehenden Pflicht eines Ehegatten, bei Wahl und Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf die Belange des anderen Ehegatten und der Familie die gebotene Rücksicht zu nehmen, begründen läßt, aus der die Rechtsprechung auch die Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf Unterhaltsverpflichtungen eines Ehegatten aus einer Vorehe ableitet (BGH FamRZ 2001, 614, 615 = FuR 2001, 180 = EzFamR BGB § 1356 Nr. 1 = BGHF 12, 882), die allerdings nur ehe- und familienintern und nicht gegenüber Dritten wirkt (Staudinger/Voppel, BGB [2007] § 1356 Rdn. 26), bedarf an dieser Stelle keiner Entscheidung. Die vorstehend angesprochenen Fragestellungen müssen hier vielmehr offen bleiben, denn es geht um eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage, die bisher nicht hinreichend geklärt und daher nicht im Prozeßkostenhilfeverfahren zu entscheiden ist, da dieses nicht dazu dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden (vgl. Zöller/Philippi, ZPO 27. Aufl. § 114 Rdn. 21 mwN).

Vor diesem Hintergrund ist im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht ihrer Rechtsverteidigung zugunsten der Beklagten zunächst davon auszugehen, daß der Ehefrau des Klägers ein fiktives Einkommen zuzurechnen ist. Dessen Höhe veranschlagt die Beklagte auf 500 €. Es stößt auf keine Bedenken, der Ehefrau des Klägers gegebenenfalls ein Einkommen jedenfalls in dieser Höhe zuzurechnen. Daß sie nicht in der Lage wäre, ein entsprechendes Nettoeinkommen zu erzielen, ist sowohl im Hinblick auf ihr Alter als auch angesichts des Alters ihres Kindes nicht erkennbar. Bereinigt um fiktive berufsbedingte Aufwendungen von 40 € (Monatskarte) ist somit hier von einem Gesamteinkommen der Ehefrau des Klägers von 718 € (davon 460 € aus fiktiver Erwerbstätigkeit) auszugehen.

Danach ergibt sich zunächst folgende Unterhaltsberechnung:

Einkommen Kläger: 1.542 € x 6/7 = 1.322 €
Einkommen Beklagte: 850 € x 6/7 = 729 €
Einkommen Ehefrau: ([460 x 6/7] + 258 =) 652 €
Einkommen gesamt: 2.703 € x 1/3 = Bedarf 901 €
Anspruch Beklagte: 172 €
Anspruch Ehefrau: 249 €.

Da dem geschiedenen Ehegatten kein höherer Unterhaltsanspruch zustehen darf, als er ohne die neue Ehe des Pflichtigen hätte (BVerfG FamRZ 2003, 1821, 1823 f), ist eine Kontrollberechnung durchzuführen, um zu prüfen, in welcher Höhe die Beklagte einen Unterhaltsanspruch gegen den Kläger hätte, wenn dieser nicht neu geheiratet hätte, und deswegen weder ein Splittingvorteil noch ein neuer unterhaltsberechtigter Ehegatte vorhanden wäre (vgl. BGH FamRZ 2008, 1911, 1916 = FuR 2008, 542 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 69). Ausgehend von einem monatlichen Bruttoeinkommen von (22.520,51 € : 11 =) rund 2.050 € betrüge das monatliche Nettoeinkommen des Klägers bei Steuerklasse I/1,5 Kinderfreibeträge rund 1.335 € (s. anliegende Lohnberechnung vom 12. Mai 2009). Der Unterhaltsanspruch der Beklagten betrüge dann ([1.335 € ./. 850 €] x 3/7 =) 208 €. Danach kann hier mit dem niedrigeren Anspruch von 172 € weitergerechnet werden.

Ausgehend von einem Elementarunterhaltsanspruch der Beklagten von 172 € errechnet sich nach der Bremer Tabelle der Altersvorsorgeunterhalt wie folgt: 172 € + 13% = 194,36 €; hiervon 19,9% = 38,68 €, gerundet 39 €. Unter Berücksichtigung dieses Betrages von 39 € als Altersvorsorgeunterhalt errechnet sich der Elementarunterhalt der Beklagten sodann wie folgt:

Einkommen Kläger: 1.542 € ./. 39 € AVU = 1.503 € x 6/7 = 1.288 €
Einkommen Beklagte: 850 € x 6/7 = 729 €
Einkommen Ehefrau: ([460 € x 6/7] + 258 € = 652 €
Einkommen gesamt: 2.669 € x 1/3 = Bedarf 890 €
Anspruch Beklagte: 161 €
Anspruch Ehefrau: 237 €.

Insgesamt ergibt sich danach ein Unterhaltsanspruch der Beklagten von monatlich 200 € (davon 39 € Altersvorsorgeunterhalt); nur bis zu diesem Betrag kann die Beklagte sich mit Aussicht auf Erfolg gegen eine Herabsetzung des titulierten Unterhalts ab Dezember 2008 verteidigen. Hinsichtlich des Monats November, ab dem der Kläger die Abänderung begehrt, kann sie sich hingegen in voller Höhe mit Aussicht auf Erfolg verteidigen, weil gemäß § 323 Abs. 3 S. 1 ZPO die Abänderung erst für die Zeit nach Klagerhebung erfolgen kann, und die Zustellung der Klage erst im Dezember 2008 erfolgt ist.

Soweit die Beklagte meint, bei dem Kläger und seiner Ehefrau seien Vorteile aus dem Zusammenleben zu berücksichtigen, ist darauf hinzuweisen, daß nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 30. Juli 2008 (FamRZ 2008, 1911, 1914 = FuR 2008, 542 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 69; ebenso OLG Bremen NJW 2009, 925) Zuschläge oder Abschläge im Hinblick auf eventuelle Vorteile des Zusammenlebens nicht gerechtfertigt sind.

Da der Kläger auf der Grundlage der vorstehenden Berechnungen ohne Gefährdung seines Selbstbehalts in der Lage ist, sowohl den Unterhaltsanspruch der Beklagten als auch den seiner Ehefrau zu erfüllen, kann derzeit die Frage dahinstehen, ob – wovon das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluß vom 4. März 2009 ausgeht – die Beklagte gemäß § 1609 Nr. 2 BGB der Ehefrau des Klägers im Rang vorgeht. Dies erscheint zumindest fraglich, da nach dem bisherigen Sach- und Streitstand zweifelhaft ist, ob ehebedingte Nachteile auf seiten der Beklagten vorliegen. Die positive Feststellung des Vorliegens ehebedingter Nachteile ist aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (FamRZ 2008, 1911, 1918 = FuR 2008, 542 = EzFamR BGB § 1578 Nr. 69) auch dann, wenn (wie hier) die Ehe der Parteien von langer Dauer war, Voraussetzung dafür, daß der Aufstockungsunterhaltsanspruch der Beklagten nach § 1609 Nr. 2 BGB im zweiten Rang steht. Eine Klärung dieser Frage wird jedoch, ebenso wie es das Amtsgericht bereits hinsichtlich der Fragen einer Befristung oder Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten in Aussicht gestellt hat, im Hauptverfahren zu erfolgen haben, soweit es darauf ankommt.

OLG Bremen, Beschluss vom 15.05.2009
4 WF 50/09

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