OLG Brandenburg: Kontinuitätsprinzip, Vertrauensverlust, Sorgerechtsübertragung

OLG Brandenburg: Kontinuitätsprinzip, Vertrauensverlust, Sorgerechtsübertragung

1. Der Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 2. März 2009 wird teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Das am 22. März 2001 verkündete Urteil des Amtsgerichts Oranienburg (Aktz. 34 F 9/00) wird hinsichtlich der Ziff. II. des Tenors abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die elterliche Sorge für das Kind N… T…, geboren am …. Mai 1997, wird dem Antragsteller allein übertragen.

Mit dieser Maßgabe wird die gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 2. März 2009 eingelegte befristete Beschwerde der Antragsgegnerin vom 5. April 2009 zurückgewiesen.

2. Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Beschwerdewert beträgt für die Hauptsache 3.000 € und für die Anträge auf einstweilige Anordnung weitere 500 €.

Gründe

I.

Die Kindeseltern streiten um das Sorgerecht für ihren gemeinsamen Sohn

N… T…, geboren am …. Mai 1997 .

Die Kindeseltern haben 1997 die Ehe geschlossen. Im November 1998 trennten sie sich. Mit Urteil des Amtsgerichts Oranienburg (34 F 9/00, Bl. 25) vom 22. März 2001 wurde ihre Ehe geschieden. Zugleich wurde die elterliche Sorge für den betroffenen Sohn der Antragsgegnerin allein übertragen. Seit Trennung der Kindeseltern lebte N… im Haushalt der Antragsgegnerin und wurde von dieser betreut und versorgt. Der Antragsteller erhielt aufgrund einer Vereinbarung der Eltern regelmäßigen Umgang, wobei es gleichwohl zu Störungen kam.

Die Antragsgegnerin ist von Beruf Architektin. Sie ist erneut verheiratet.

Der Antragssteller lebt in einer neuen Beziehung, gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin betreibt er eine Softwarefirma.

Das Jugendamt … führte auf Bitten des Antragsstellers seit September 2007 mit dem betroffenen Kind eine Therapie durch. Im Zusammenhang damit wurden Verhaltensauffälligkeiten bei N… festgestellt und eine psychotherapeutische Hilfe dringend angeraten.

Am 2. September 2008 fuhren N… und seine Mutter im PKW. Es kam zu einem Streit zwischen den Beiden. Die Antragsgegnerin hielt den Wagen an und forderte N… auf, auszusteigen. Dies war etwa 400 m von der Wohnung der Mutter entfernt. Die Mutter fuhr sodann mit dem PKW fort. N… rief den Antragssteller an, der daraufhin mit seinem PKW zum Ort des Geschehens fuhr, N… auffand und mit sich nahm. Der Antragssteller nahm sogleich Kontakt mit dem Jugendamt auf, das sodann Gespräche mit den Eltern führte. Weitere Einzelheiten zu diesem Vorfall sind streitig. Jedenfalls kam es nachfolgend zum Wechsel des betroffenen Kindes – insbesondere auf dessen geäußerten Wunsch hin – in den Haushalt des Antragsstellers; die Antragsgegnerin stimmte dem zu. Seither ist N… in B… beim Vater angemeldet und besucht eine Grundschule dort. Die Therapiemaßnahmen wurden auch nach dem Wechsel in den väterlichen Haushalt fortgesetzt.

Der erste Umgang mit der Mutter fand am Wochenende 26. September 2008 statt. Geplant war der Aufenthalt des Sohnes im Haushalt der Mutter über das Wochenende. Dieser wurde bereits nach wenigen Stunden durch den Sohn abgebrochen, der sodann zum Vater zurückkehrte. Nachfolgend kam es nur zu wenigen Umgangskontakten. U. a. fanden begleitete Umgangskontakte, vermittelt über das Jugendamt statt. Vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ist zum Aktenzeichen 173 F 6303/09 ein Umgangsrechtsverfahren anhängig.

Der Antragssteller hat behauptet, die Antragsgegnerin sei alkoholabhängig, schlage den Sohn und bestrafe ihn unnötig hart und kindesunangemessen. Wegen der behaupteten Schläge gegenüber dem Sohn hat der Antragssteller einen Strafantrag wegen Körperverletzung gegen die Antragsgegnerin gestellt; das Strafverfahren ist mittlerweile eingestellt worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 12. Februar 2009 vor dem Amtsgericht hat die Antragsgegnerin ihr Einverständnis damit erklärt, dass der Sohn derzeit bei seinem Vater lebe. Eine Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts auf den Antragssteller hat sie jedoch abgelehnt und nur einer solchen auf das Jugendamt zugestimmt.

Der Antragssteller hat beantragt,

in Abänderung der früheren sorgerechtlichen Entscheidung ihm das alleinige Recht der elterlichen Sorge zu übertragen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin hat behauptet, der Antragssteller verdiene seinen Lebensunterhalt mit dem Betreiben eines pornografischen Internetportals. Da dies auch aus der Wohnung des Antragsstellers heraus erfolge, bestünde die Gefahr, dass das betroffene Kind hiervon Kenntnis erlange, was dem Kindeswohl widerspreche. Ferner hat sie dem Antragsteller die massive Beeinflussung seines Sohnes vorgeworfen.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Oranienburg der Antragsgegnerin die elterliche Sorge entzogen und auf den Antragssteller übertragen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die befristete Beschwerde der Antragsgegnerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft.

Sie begehrt in Abänderung der angefochtenen Entscheidung weiterhin die Zurückweisung des erstinstanzlich gestellten Antrages des Kindesvaters. Bereits kurz nach dem Aufenthaltswechsel zum Kindesvater sei N… durch deliktisches Verhalten aufgefallen, insbesondere Zündeln in der Schule und Ladendiebstähle. Ferner unterbinde der Kindesvater jeglichen Kontakt zwischen ihr und dem Sohn, nunmehr auch zwischen dem Sohn und seinen mütterlichen Großeltern. Der Kindesvater denunziere sie.

Im Sommer 2009 schlossen die Kindeseltern eine Vereinbarung darüber, dass ein begleiteter Umgang stattfinden solle. Als Umgangsbetreuer wurde Herr H… von der C… eingesetzt. Es fanden zwei Umgangstermine am 15. Oktober und 26. Oktober 2009 in Begleitung von Herrn H… statt. Dieser schilderte die Treffen als harmonisch und dass sich N… auf seine Mutter freue; gleichwohl sah der Umgangsbegleiter erheblichen Beratungsbedarf bei den Eltern. Nachfolgend fand der begleitete Umgang zunächst regelmäßig 14-tägig statt. Nach verschiedenen, im Einzelnen streitigen Vorfällen hat der Kindesvater von sich aus den vereinbarten Umgang ausgesetzt und möchte diesen Zustand für die Dauer eines halben Jahres aufrecht erhalten.

Nach einer Auseinandersetzung mit dem Vater am 24. Februar 2010, bei der N… Geld vom Vater gestohlen hatte, lief dieser vom väterlichen Haushalt weg. In einer Einkaufsstraße traf der die Großmutter mütterlicherseits, die ihm riet, zur Mutter (Antragsgegnerin) nach Bä… zu fahren. Dies tat N… sodann, die Mutter nahm ihn zunächst auf. Sie hat – wohl – davon nicht sogleich den Kindesvater informiert, nachfolgend aber schon. Nähere Einzelheiten sind streitig. Die Kindesmutter gab dazu insbesondere an, N… habe erklärt, er wolle sich umbringen bzw. sich aus dem Fenster stürzen. Im Zuge dessen hat sie nachfolgend einen Antrag auf einstweilige Anordnung nach § 1666 BGB auf Herausnahme des Kindes aus dem väterlichen Haushalt und der Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts zu Lasten des Kindesvaters gestellt.

II.

Das Rechtsmittel der Antragsgegnerin ist gemäß § 621 e ZPO a.F. als befristete Beschwerde statthaft, da das Rechtsmittelverfahren vor dem Inkrafttreten des FamFG zum 01.09.2009 und damit auf der Grundlage des vor diesem Zeitpunkt geltenden Rechts eingeleitet worden ist, vgl. Art. 111 Abs. 1 FGG-RG.

Die im Übrigen zulässige befristete Beschwerde der Antragsgegnerin bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat zutreffend unter Beachtung der Voraussetzungen des § 1696 BGB in Abänderung der vormaligen, im Scheidungsverbundurteil enthaltenen Regelung zum Sorgerecht die elterliche Sorge dem Antragssteller allein übertragen. Die im Tenor durch den Senat ausgesprochene teilweise Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung dient allein der Klarstellung.

1.

Nach § 1696 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht seine Anordnungen zu ändern, wenn dies aus triftigen, das Wohl des Kindes nachhaltig berührenden Gründen angezeigt ist. Das Kindeswohl hat sich dabei wie in allen sorgerechtlichen Entscheidungen an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern und an seine Geschwister sowie am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren. § 1696 BGB verlangt jedoch eine Steigerung der auch sonst im Rahmen von § 1671 BGB maßgeblichen Kindeswohlerfordernisse, um zu vermeiden, dass bereits abgeschlossene Verfahren nach Belieben erneut aufgerollt werden. Die damit verbundene Einschränkung der Abänderungsmöglichkeit hat der Gesetzgeber vor allem deshalb vorgesehen, um die Erziehungskontinuität für Kinder zu sichern. Die Änderung muss aus Gründen des Wohls des Kindes geboten sein, dabei müssen die Gründe, die für eine Änderung sprechen, die damit verbundenen Nachteile deutlich überwiegen (OLG Zweibrücken, FamRZ 2010, 138; KG Berlin, ZKJ 2009, 211).

2.

Die erforderlichen triftigen, das Kindeswohl nachhaltig berührenden Gründe sind zunächst dem Grundsatz der Kontinuität zu entnehmen.

Bei dem Grundsatz der Kontinuität handelt es sich um ein wesentliches Kriterium für die Zuweisung des elterlichen Sorgerechtes. Hier ist zu berücksichtigen, dass seit September 2008 der betroffene Sohn sich nunmehr im väterlichen Haushalt aufhält. Die insoweit zurückgelegte Zeitspanne von etwa 1 ½ Jahren spricht jedenfalls angesichts seines fortgeschrittenen Alters auch unter Beachtung dessen, dass der Sohn zuvor etwa 10 Jahre allein bei der Antragsgegnerin gelebt hat, zugunsten eines Verbleibs des Kindes beim Antragssteller.

3.

Aus der Erziehungsgeeignetheit und –fähigkeit der Kindeseltern herrührende Gründe dergestalt, dass die Zuweisung des elterlichen Sorgerechts zugunsten eines Elternteils und hier insbesondere des Antragsstellers vorzunehmen ist, sind nicht erkennbar.

Allerdings ist nicht zu verkennen, dass beide Kindeseltern erheblichen Einschränkungen hinsichtlich der Förderungsmöglichkeiten für das Kind unterliegen.

a.

Der Antragssteller zeigt eine erheblich beeinträchtigte Bindungstoleranz, soweit dies die Förderung des Umgangs des Kindes mit der Antragsgegnerin betrifft. Er hat eigenmächtig, also ohne dazu berechtigt zu sein, die zuvor vereinbarten begleiteten Umgänge ausgesetzt. Bedenklich in diesem Zusammenhang erscheint es auch, dass er dem Kind dabei zumindest den Eindruck vermittelt hat, dass diese Aussetzung auf einer gerichtlichen Anordnung beruhe. Mag insoweit auch nicht festgestellt werden können, dass er solches tatsächlich dem Kind gesagt hat, so konnte jedenfalls die Verfahrenspflegerin bei ihrer Besprechung mit dem Kind feststellen, dass sich bei dem Kind ein derartiger Eindruck, vermittelt durch den Antragssteller, festgesetzt hatte.

Auch ansonsten ist feststellbar, dass in der Vergangenheit seitens des Antragsstellers jedenfalls keine konsequente Förderung der Umgänge des Sohnes mit der Antragsgegnerin erfolgt ist. Insoweit entspricht es aber gerade seiner sorgerechtlichen Verpflichtung, dem Sohn möglichst störungsfrei die Umgänge mit der Antragsgegnerin zu ermöglichen. Dies betrifft nicht allein die Organisation der Umgänge; der Antragssteller muss vielmehr dem Sohn den Eindruck vermitteln, dass er selbst den Umgang der Antragsgegnerin mit seinem Sohn wünscht und den Sohn auch darin bestärken, den Kontakt zur Mutter aufrechtzuerhalten und möglichst auszubauen.

Das zumindest feststellbare Unterlassen derartiger Förderungsmaßnahmen hat zwar auf Seiten des Antragsstellers nicht eine Qualität, die einen Sorgerechtsentzug gemäß § 1666 BGB nahelegt. Gleichwohl ist aber zu berücksichtigen, dass sich insoweit erhebliche Defizite auf Seiten des Antragsstellers feststellen lassen, die bei ihrem Fortbestand in der Zukunft möglicherweise weitere Konsequenzen – insbesondere im Hinblick auf einen Entzug des Rechts zur Umgangsanbahnung – beinhalten können.

Weitergehende Einschränkungen an der Erziehungsfähigkeit des Antragsstellers sind jedenfalls nicht dergestalt feststellbar, dass daraus Bedenken an der Ausübung des Sorgerechts durch ihn bestünden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Antragssteller den Sohn beeinflusst. Bei der Anhörung des Sohnes haben sich einige stereotype Äußerungen ergeben, die jedenfalls einen derartigen Schluss nahelegen. Andererseits hat der Senat keine Zweifel, dass der geäußerte Kindeswille (vgl. dazu nachfolgend) gleichwohl auf einem frei gebildeten Willen beruht. Im Übrigen haben sich auch sonstige Vorwürfe gegenüber dem Antragssteller (z. B. das Betreiben eines pornografischen Internetportals usw.) nicht bestätigt.

b.

Gleichermaßen sind auf Seiten der Antragsgegnerin erhebliche Einschränkungen der Förderungsmöglichkeiten für das Kind feststellbar.

Die Antragsgegnerin lässt durchgängig eine objektive Befassung mit dem hiesigen Streit und der für das Kindeswohl notwendigen Maßnahmen vermissen; dieser Eindruck hat sich auch angesichts ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat in der mündlichen Verhandlung vom 15. April 2010 verfestigt. Dass sie eigene Fehler begangen hat, die sich für den Sohn nachteilig ausgewirkt haben, streitet sie in jeglicher Hinsicht vehement ab. Sämtliche Probleme weist sie vielmehr dem Verhalten des Antragsstellers zu, dem sie eine beträchtliche Beeinflussung des Kindes vorwirft. Selbst die Umstände, die im Herbst 2008 zu dem – im Übrigen einvernehmlichen – Wechsel des Sohnes in den väterlichen Haushalt geführt haben, führt die Antragsgegnerin auf Manipulationen des Antragsstellers und dessen Beeinflussung des Sohnes – obgleich er zu damaliger Zeit nicht Sorgerechtsinhaber war – zurück. Diese einseitige Haltung der Antragsgegnerin ist aus objektiver Sichtweise nicht mehr verständlich und schädigt im gravierenden Maße das Kindeswohl. Wie der Sohn bereits mehrfach mitgeteilt hat, stört es ihn vor allem, dass die Antragsgegnerin ihm nahezu ständig das schlechte Verhältnis seiner Eltern vor Augen führt, insbesondere bei seinen Umgängen über den Vater schlecht redet .

Soweit und solange die Antragsgegnerin ein derartiges Verhalten zeigt, kommt jedenfalls entsprechend dem geäußerten kindlichen Willen – vgl. dazu nachfolgend – ein unbegleiteter Umgang (über den der Senat angesichts des vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten geführten Verfahrens nicht zu befinden hat) mit der Antragsgegnerin kaum in Betracht.

3.

Maßgebend für die hier zu treffende Entscheidung ist vor allem, dass der betroffene Sohn seit 1 ½ Jahren den bestimmten Willen äußert, beim Antragssteller leben zu wollen. Auch im Rahmen einer Sorgerechtsabänderung kommt dem Kindeswillen grundsätzlich eine doppelte Bedeutung zu. Zum einen ist er der verbale Ausdruck für die relativ stärkste Personenverbindung, zum anderen ist er mit zunehmendem Alter ein Akt der Selbstbestimmung des Kindes als einer zur Selbständigkeit erzogenen und strebenden Person. Je älter das Kind wird, desto stärker tritt die zweite Funktion in den Vordergrund (Brandenburgisches OLG, FamRZ 2008, 1471).

Das betroffene Kind ist bereits mehrfach durch staatliche Institutionen bzw. die Gerichte angehört worden; insoweit ist nicht zu verkennen, dass er bereits einen routinierten Umgang mit den ihn betreffenden Anhörungen pflegt. Gleichwohl hat das Kind im hiesigen Verfahren sowohl vor dem Jugendamt, der Verfahrenspflegerin und dem Amtsgericht wie auch vor dem Senat bei seinen persönlichen Anhörungen durchgängig den Willen geäußert, nicht zur Mutter zurück, vielmehr beim Vater in dessen Haushalt leben zu wollen.

Der Senat hat dabei die Überzeugung gewonnen, dass N… seinen Willen zumindest wesentlich selbstbestimmend entwickelt hat. So konnte der Junge auf Nachfrage seinen gegenüber dem früheren Zustand geänderten Wunsch, beim Vater leben zu wollen, nachvollziehbar begründen. Nach seinen eigenen Angaben, die auch durch die Jugendämter bestätigt werden, hat er sich beim Vater gut eingelebt und fühlt sich dort insgesamt wohl. Auch seine schulischen Leistungen haben sich zumindest gefestigt, mögen diese auch verbesserungswürdig sein. Beachtlich ist in diesem Zusammenhang, dass der Sohn Schwierigkeiten mit dem Antragssteller bereitwillig schildert und dabei auch klarstellt, dass es ihm nicht immer gefalle. Andererseits hat er den Eindruck vermittelt, dass er die durchaus strengen erzieherischen Maßnahmen des Antragsstellers auch akzeptiert, insbesondere wenn er selbst Mist gemacht habe. Obgleich es mehrfach zu Auseinandersetzungen mit dem Antragssteller gekommen ist, hat sich gleichwohl der Sohn stets für den Verbleib bei ihm ausgesprochen. Auch dies spricht deutlich für einen frei entwickelten Willen.

Soweit dagegen in jüngster Vergangenheit insbesondere anlässlich eines Vorfalls am 24. Februar 2010 die Besorgnis aufgekommen ist, dass der Sohn Suizidgedanken habe, hat sich dies letztendlich als unbegründet herausgestellt. Das Kind hat bei seiner Anhörung vor dem Senat wie auch bereits zuvor vor dem Jugendamt klargestellt, dass es dies nicht ernst, sondern eher in laxer Art gemeint habe. Es hat insoweit klargestellt, dass es sich um eine Art Floskel handele, zumal sein Vater ebenfalls Floskeln (z.B. den Kopf in den Sand stecken ) verwende. Einen ernsten Hintergrund habe dies für ihn in keiner Weise. Auch die Vertreterinnen des Jugendamtes, die nach den Angaben der Mitarbeiterin B… am Folgetag (dem 25. Februar 2010) den Sohn intensiv dazu angehört haben, haben übereinstimmend keinerlei Selbstmordtendenzen erkennen können. Gleichwohl ist aber nunmehr auch dem Kind ein Familienhelfer zur Seite gestellt worden, mit dem er sich nach eigenen Angaben recht gut versteht ( dieser mache einen netten Eindruck ) und der jedenfalls für N… zur Verfügung steht, um Probleme zu besprechen. Auch der Antragssteller hat insoweit geäußert, keine Ansätze für eine Selbstmordabsicht des Sohnes zu erkennen. Soweit dagegen die Antragsgegnerin derartige Bedenken weiterhin geäußert hat, konnte sie tragfähige Tatsachen dafür auch vor dem Senat nicht vorbringen. Ihre Angabe, der Sohn habe anlässlich eines Besuches im März zu dem Großvater mütterlicherseits gesagt, man könne ja von der Terrasse im fünften Stock gut herunter springen, stellt sich gleichermaßen als kindlich geäußerte Floskel dar und lässt keinen realen Hintergrund erkennen.

Da auch der Senat letztendlich den Eindruck gewonnen hat, dass der Sohn seinen Willen frei geäußert hat, ist diesem zu entsprechen und das Sorgerecht dem Antragssteller zu übertragen. Insoweit stellt es sich als erhebliche Belastung dar, dass die Antragsgegnerin nach wie vor den so geäußerten Willen ihres Sohnes nicht akzeptiert. Anhaltspunkte dafür, dass das Kind solchermaßen durch den Vater beeinflusst ist, dass von einer freien Willensbildung nicht mehr ausgegangen werden kann, können dagegen nicht festgestellt werden. Wie auch der Senat selbst haben sämtliche übrigen Beteiligten (Jugendamtsmitarbeiter, Verfahrenspflegerin) den Eindruck gewonnen, dass zwar eine gewisse Einflussnahme durch den Antragssteller nicht zu verkennen ist, letztendlich aber der Sohn selbstbestimmend seinen Willen entwickelt und geäußert hat. Solange die Antragsgegnerin dies nicht akzeptiert, bestehen die Bedenken an ihrer Erziehungsgeeignetheit fort.

Daher war auch dem ausdrücklich geäußerten Wunsch der Antragsgegnerin, ein Sachverständigengutachten hinsichtlich des kindlichen Willens und des Umfangs der Beeinflussung durch den Kindesvater einzuholen, nicht nachzukommen. Der Senat ist – wie auch die Verfahrenspflegerin – zudem der Auffassung, dass der Sohn bereits mehr als geboten durch staatliche Institutionen und insbesondere das hiesige Verfahren belastet worden ist und vielmehr dringend Ruhe benötigt, die er durch eine Begutachtung bei Fortdauer des Verfahrens kaum erfahren würde.

III.

Mit der hier getroffenen Entscheidung zur Hauptsache elterliche Sorge sind die im Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 31. März 2010 (9 UFH1/10) enthaltenen Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erledigt (vgl. auch §§ 620f Abs. 1 Satz 1, 621g Satz 2 ZPO a.F.). Einer Entscheidung des Senats darüber bedurfte es daher nicht.

IV.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 13 a Abs. 1 FGG a.F., §§ 131 Abs. 2, Abs. 3, 30 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 KostO a.F., § 24 Satz 1 RVG entsprechend. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gem. § 621e Abs. 2 ZPO a.F. war nicht geboten.

OLG Brandenburg, Beschluss vom 22.04.2010
9 UF 37/09

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