Gibt es eurer Meinung nach Rabenkinder?
Ich habe leider ein schlechtes Verhältnis zu meinen Eltern. Liegt definitiv auch an mir. Kontakt ist kaum noch möglich, immer wieder sporadisch, bis es eskaliert. Das tut mir jetzt noch weh, obwohl ich längst meine eigene Familie habe. Manchmal blende ich es aus und vergesse einfach, dass es sie gibt, nur um innerliche Ruhe zu haben. Manchmal denk ich es liegt wirklich an mir. Dann denk ich mir: Kinder sind doch Produkte ihrer Eltern. Sie haben mich doch mit ihrer Unfähigkeit nach der Trennung gemeinsam als Eltern zu fungieren, verkorkst.
Gibt es hier weitere erwachsene Trennungskinder?
Moin Pusteblume.
dass Eltern und ihre Kinder sich aneinander reiben oder sich sogar fetzen, halte ich für normal, in vielen Fällen sogar für notwendig und Teil des Abnabelungsprozesses. Das kommt in den besten und "normalsten" Familien vor - inklusive des "mit Dir rede ich nicht mehr".
Der Hauptunterschied bei Scheidungsfamilien ist: Hier können Lager gebildet werden; Eltern stehen hier oft nicht wie eine Meinung oder "Wand", sondern können gegeneinander ausgespielt werden. Und ja: Viele Eltern spielen dabei mit, weil sie nicht zwischen der Paar- und der Elternebene unterscheiden können.
Aber: Dass Eltern gemeinsam funktionieren müssten, ist kein Naturgesetz; weder in Scheidungs- noch in "normalen" Familien. Allerdings ist die Scheidung der Eltern oder die "unglückliche Kindheit" (selbst wenn die Eltern zusammengeblieben sind) ein gerne gebrauchtes "Argument", mit dem manche "Ex-Kinder" auch später jeden ihrer Fehler ("...bin halt ein Scheidungskind...") zu entschuldigen versuchen. Und da hört mein Verständnis auf. Denn Teil des Abnabelungsprozesses ist es ja gerade, als eigenständige Persönlichkeit zu denken und zu agieren und nicht nur als quasi willenloses Produkt seiner Eltern. Das gilt umso mehr, wenn man selbst eine Familie gegründet hat.
Deine Überlegung sollte also nicht (nur) sein, andere Ex-Trennungskinder zu finden, denen es ähnlich geht, sondern auch zu überlegen, welche Schritte Du selbst tun kannst, um die offenbar schmerzlich empfundene Lücke zu schliessen. Eine davon kann sein, nicht die Vergangenheit mit den vermeintlich "Schuldigen" bis zum Erbrechen diskutieren zu wollen oder Entschuldigungen für ewig Vergangenes zu erwarten, sondern aus der gewachsenen Distanz aktiv auf Deine Eltern zuzugehen und vorzuschlagen "Es ist viel Zeit vergangen - wollen wir den ganzen alten Käse nicht einfach mit einem dicken Strich abhaken und neu anfangen?"
Hört sich nicht einfach an - und ist es auch nicht. Aber Deine Alternative lautet: "Ich habe nur einen Vater und eine Mutter. Irgendwann stehe ich auf einem Friedhof vor einer Holzkiste - und dann ist es zu spät, über irgendetwas zu reden und meinen Frieden zu machen."
Grüssles
Martin
When a mosquito lands on your testicles you realize that there is always a way to solve problems without using violence.
Aber Deine Alternative lautet: "Ich habe nur einen Vater und eine Mutter. Irgendwann stehe ich auf einem Friedhof vor einer Holzkiste - und dann ist es zu spät, über irgendetwas zu reden und meinen Frieden zu machen."
Dieses Szenario habe ich mir auch oft vorgestellt und habe immer wieder versucht "Frieden" zu machen. Irgendwann ist aber der Level bei mir erreicht gewesen, dass ich einen Schlußstrich ziehen musste. Aus reinem Selbstschutz.
Ich will nicht als Erwachsener Mensch um die Liebe eines Elternteils buhlen, die ich als Kind schon nicht bekommen habe.
Klingt traurig. Ist es auch.
Gruß
Ole
***never give up***
Hi,
Auch ich habe die Scheidung meiner Eltern vor über 20 Jahren mitgemacht und ich muss sagen, dass sich meine Eltern großteils wirklich sehr gut verhalten haben.
Der Umgang lief ohne Probleme, es wurde nur selten schlecht über den anderen Elternteil geredet und auch zu den Omas und Opas und anderen Verwandten hatten wir regelmäßigen Kontakt.
Trotzdem komme ich heute mit meiner Mutter nur klar, wenn wir ausschließlich über oberflächliche Dinge reden.
Sobald das Gespräch auf wichtige Sachen kommt oder wir versuchen, über etwas persönliches zu reden, fängt der Streß an.
Warum?
Weil wir so sind, wie wir sind.
Das hat nichts direkt mit der Scheidung zu tun.
Ich habe als Erwachsene mehrmals versucht, eine Beziehung zu ihr aufzubauen - einmal sogar im Rahmen einer Familientherapie - aber es funktioniert einfach nicht.
Also finde ich mich damit ab, dass das Verhältnis zu meiner Mutter ungefähr dem zu einer Tante aus Australien entspricht... Wir reden über das Wetter und andere allgemeine Dinge.
Damit scheint alles ok zu sein.
Ich bin der Meinung, die Beziehung, die man als Erwachsener zu seinen Eltern hat, ist eine sehr persönliche Angelegenheit - die nur leider von der Umgebung immer wieder kommentiert wird und daher muss man sich scheinbar schämen, wenn man keinen Kontakt zu den Eltern hat.
Dem ist aber nicht so.
Wenn ich als erwachsener Mensch entscheide, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrechen möchte, dann habe ich das Recht, das zu tun - aber die Konsequenzen müssen mir klar sein (wie z.B. dass vielleicht einiges nicht mehr besprochen werden kann, wenn die Eltern mal sterben).
Insofern @Pusteblume:
Wenn es Dich belastet, dann versuch, etwas zu ändern.
Such das Gespräch, ev. auch mit einem Mediator oder einer anderen neutralen Person.
Vielleicht zuerst mal nur mit dem Ziel, erst mal nur eine oberflächliche, freundschaftliche Beziehung aufzubauen, d.h. dass ihr gemeinsam festlegt, dass ihr nicht über gewisse Dinge miteinander redet, weil da sonst die Emotionen zu sehr hochgehen.
Und wenn sich jeder an diese Abmachung hält, kann das die Situation sehr entspannen und es sind z.B. Telefongespräche oder Besuche ohne Streß möglich.
Freut vielleicht auch die Enkelkinder (weil Du von einer eigenen Familie gesprochen hast). 🙂
Und wenn es Dich nicht belastet, dann laß den Kontakt ruhen.
Das ist aber Deine eigene Entscheidung.
Wünsche Dir viel Kraft!
lg
vj
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm 12,21)
Ich habe zwei Halbgeschwister... zu einer hatte mein Vater die letzten Jahre keinen Kontakt mehr..
Das war die Tochter aus seiner ersten Ehe.. Meine Mutter hat mir heute noch gesagt, dass sie sich wünscht, dass es bei mir nicht so heftig wird wie bei meinem Pa damals...
Meine andere Halbschwester sagte in den letzten Jahren dann Papa zu meinem Dad, nachdem sie erfahren hatte, das ihre Mutter und deren Familie alles getan hatten um meinen Vater auszulöschen...
Nach einer Aussprache mit ihrer Mutter ging sie auf meinem Dad zu und seitedem habe ich eine Schwester dazu bekommen...
Meine DEF ist auch Scheidungskind. Sie war so alt wie mein Sohn heute als sich die Eltern getrennt haben.
Aus "neutraler" Sicht und vielen Gesprächen mit beiden Seiten habe ich mir ein Bild machen können...
Mein Schwiegervater, wie soll es anders sein... kann heut noch tun und machen was er will.. bei meiner DEf und ihrer älteren Schwester (die noch bis kurz vor ihrer Hochzeit mit ihrem Mann quasi bei Schwiegermutter gewohnt)schlecht weg. Die Mutter hat immer nur die Schuld für alles auf den Vater geschoben..
Wobei, wenn es drauf ankam.. väterlicherseits wurde alles gemacht..
Selbst meine DEF hatte mehrere Jahre keine. wirklichen Kontakt zu ihrer Mutter, da sie erst zum Vater zog ( inkl böser stiefmutter, was nicht lange gut ging), mit eigener Wohnung (17) und wohnen bei den Grosseltern... bis zur Hochzeit... Erst als meine Tochter da war, hat es irgendwie einen Wendepunkt in der Beziehung von Mutter u Tochter gegenen... aber ich will dass alles nicht bewerten, sondern mach mir einfach auch nix mehr draus und schon gar keine Gedanken..:-)
Ich denke, Rabenkinder, Rabeneltern, Rabengeschwister...
wenn mir es Kopfschmerzen macht, dass ich mit Menschen keinen Kontakt habe, dann greif ich zum Telefon, schreib ne Mail und versuch Reizthemen zu vermeiden...
wobei ich mittlerweile so eingestellt bin, dass die Vergangenheit Vergangenheit ist und nicht rückgängig gemacht werden kann...
Gruss
Marko
Hallo,
erst einmal vielen Dank für eure Antworten!
@Martin:
Ich finde es gut, dass du betont hast, dass es in jeder Familie mal zu Streit kommt.
Auf gar keinen Fall möchte ich mich mit dem Etikett "Scheidungskind" rechtfertigen und habe dies auch noch nie vor meinen Eltern getan. Meine Frage sollte sich auch gar nicht nur auf Scheidungskinder beziehen, vielleicht habe ich mich nicht gut ausgedrückt. Ich habe mir selbst die Frage gestellt, wieviel Einfluss Eltern auf die Persönlichkeit und die Beziehung zu ihren Kindern haben. Sicherlich auch, weil ich selbst Mutter bin.
Leider ist das Verhältnis zu meinen Eltern schwierig und ja, es belastet mich. Trotzdem habe ich mich immer wieder aufgerafft, angerufen, Kontakt gesucht, eingeladen, bin vorbeigefahren. Doch sobald es zu einer Meinungsverschiedenheit kommt, wird alles wieder aufgerollt. A la: Du bist ein schrecklicher Mensch, aber das war ja schon immer so, Vergangenheit auf den Tisch, aber ist ja auch kein Wunder bei DER Mutter bzw. DEM Vater.
Etwas überspitzt gesagt, aber darauf läufts hinaus. Und sicher, irgendwann lässt der Einfluss der Eltern nach und Kinder werden selbstständig. Aber ich denke, dass Eltern dennoch ihre Kinder unterstützen und für sie da sein sollten, egal welche Fehler sie machen. Leider habe ich im Bekanntenkreis schon häufig miterlebt, dass Eltern sich auch nicht immer wie Erwachsene benehmen. Jeder ist halt menschlich!
@ole:
Als ich den Thread gestellt habe, war ich auch an diesem Punkt angekommen. Mittlerweile habe ich aufgegeben, denn ich habe das Gefühl, dass keinerlei Bemühungen von der anderen Seite kommen. Ich möchte nicht mehr um eine gute Beziehung kämpfen, wenn dies nicht genauso sehr von meinen Eltern gewünscht ist.
@Vj:
Vielen Dank für deinen Rat. Ein Mediator ist vielleicht eine gute Idee für die Zukunft. Einen kompletten Kontaktabbruch fände ich sehr schade. Eine oberflächliche Beziehung wäre meiner Meinung nach vollkommen ausreichend, so bliebe man wenigstens in Kontakt. Aber selbst das klingt einfacher als es ist.
@Marko:
Da gebe ich dir Recht. Vergangenheit ist Vergangenheit und sollte es auch bleiben. Genauso wie ich ihnen nicht ihre Streitereien während und nach der Scheidung vorwerfe, müssen sie mich auch als den Menschen akzeptieren, der ich nunmal war und bin.
Hallo,
ich denke, bei den Streitigkeiten und wie lange diese "nachgehalten" werden kommt es immer auf einen selbst an.
Ich habe einen 11 Jahre älteren Halbbruder. Er hat sich mit unserer Mutter und meinem Vater irgendwann mal überworfen, keine Ahnung warum. Ist dann nach der Ausbildung ausgezogen.
Als Erwachsene habe ich den Kontakt zu ihm gesucht, wir haben zwar kein geschwisterliches, aber doch ein ganz gutes Verhältnis. Meine Schwester hat überhaupt keinen Kontakt zu ihm. Sie hat sich damals die Meinung unserer Eltern zu eigen gemacht.
Aber: aufgrund meines Kontaktes hat meine Mutter dann vorsichtigen Kontakt wieder aufgebaut, so dass meine Nichte dann doch zwei Omas gehabt hat.
Allerdings ist mein Bruder genauso stur wie meine Mutter.
Meine Eltern hatten beide letztes Jahr größere gesundheitliche Probleme. Da hat meine Mutter meinen Bruder mit Frau zum Kaffeetrinken eingeladen (als ich da war). Er hat es abgelehnt, er wünscht keinen näheren Kontakt. Gut, war nicht toll, aber nicht zu ändern. Als Folge bin ich das Wochenende auch nicht zu ihm gefahren zum Kaffeetrinken. Einfach weil ich mich gefreut hätte, wenn er meine Eltern besucht hätte. Mehr hatte sich meine Mutter nicht gewünscht.
Allerdings telefonieren meine Mutter und meine Schwägerin ab und zu miteinander.
Insofern würde ich sagen: halt die Tür auf, aber alte Kamellen nicht aufwärmen lassen. Das ist unnötig.
Sophie
Hi,
Eine oberflächliche Beziehung wäre meiner Meinung nach vollkommen ausreichend, so bliebe man wenigstens in Kontakt. Aber selbst das klingt einfacher als es ist.
Ja, es verlangt eine ganze Menge an Disziplin und es müssen beide Seiten bereit sein, sich darauf einzulassen.
Eine solche Vereinbarung ist wie ein Waffenstillstand - so lange beide Seiten den Kontakt wollen und bereit sind, nicht zu den Waffen (Vorwürfe und alte Geschichten) zu greifen (die ja immer noch da sind), so lange funktioniert es.
Aber wenn beide Seiten sich einig sind - "Ja, wir wollen Kontakt und wir wollen, dass dieser Kontakt friedlich abläuft" - dann kann man sich darauf einigen, dass gewisse Dinge nicht angesprochen werden.
Das hat dann nichts mit "verschweigen" oder "vergraben" zu tun, sondern ist dazu da, um mal Ruhe reinzubringen und wieder erste Kontakte zu knüpfen.
Irgendwann ist dann vielleicht der Zeitpunkt da, diese Dinge wieder anzusprechen, aber dann besser bewußt und in einem kontrollierten Rahmen (Mediation oder so).
Wünsche Dir viel Kraft in dieser Situation!
lg
vj
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem. (Röm 12,21)
Moin Pusteblume,
Doch sobald es zu einer Meinungsverschiedenheit kommt, wird alles wieder aufgerollt. A la: Du bist ein schrecklicher Mensch, aber das war ja schon immer so, Vergangenheit auf den Tisch, aber ist ja auch kein Wunder bei DER Mutter bzw. DEM Vater.
das ist vermutlich ein häufiger Fehler. Auch ich habe (obwohl ich kein Scheidungskind war) jahrelang ziemlichen Stress mit meinem alten Herrn gehabt. Wir haben das dadurch gelöst, dass bestimmte Themen einfach ausgeklammert wurden; speziell Politik und Religion, weil ich wusste, das wir da nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen würden. Von da an hat das eigentlich wunderbar geklappt; die schlichte Einsicht war: Man muss auch in Familien nicht über alles reden, man muss nicht über jedes Thema einer Meinung sein, man muss niemanden von der eigenen Meinung überzeugen - und es gibt irgendwann kein Gefälle mehr von der Sorte "der Ältere hat automatisch 'mehr Wissen' und damit 'mehr Recht' als der Jüngere".
Mit dem Ausblenden dieser Problemthemen plus der Einsicht, dass es nichts bringt, die wechselseitigen Fehler der Vergangenheit immer wieder zu thematisieren, sind wir bis zu seinem Tod immer gut gefahren und hatten ein tolles Verhältnis.
Grüssles
Martin
When a mosquito lands on your testicles you realize that there is always a way to solve problems without using violence.