AG Tempelhof: Aufenthaltsbestimmungsrecht an den Vater; Kontinuitätsprinzip

AG Tempelhof: Aufenthaltsbestimmungsrecht an den Vater; Kontinuitätsprinzip

Dem Vater wird das alleinige Recht zur Bestimmung des Aufenthaltes für den am …2004 geborenen S. übertragen.

Der weitergehende Antrag des Vaters wird zurückgewiesen.

Die Anträge der Mutter werden zurückgewiesen.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird festgesetzt auf 3.000 Euro.

Die gerichtlichen Verfahrenskosten tragen Vater und Mutter je zur Hälfte.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Das betroffene Kind wurde am …2004 als Sohn der unverheirateten Antragstellerin in Berlin geboren. Am 6. Dezember 2004 erkannte der Antragsgegner die Vaterschaft gegenüber dem Kind mit Zustimmung der Antragstellerin urkundlich vor dem Jugendamt Reinickendorf von Berlin an. Am Vortag hatten beide Elternteile bereits urkundlich erklärt, gemeinsam die elterliche Sorge für ihren Sohn zu übernehmen. Bis Oktober 2005 lebten die Eltern mit S. in einer gemeinsamen Wohnung. Sodann bezog der Antragsgegner mit dem gemeinsamen Sohn, jedoch ohne die Antragstellerin eine neue Wohnung. Der Grund für den Umzug und die Frage, warum die Antragstellerin nicht mit in diese neue Wohnung gezogen ist, ist zwischen den Beteiligten streitig und im vorliegenden Verfahren nicht abschließend geklärt worden. Seit November 2005 pflegt die Antragstellerin mit dem Kind einen geregelten Umgang, dessen Zeitrahmen sich nach und nach – mit regelmäß0igen Übernachtungsbesuchen – ausgeweitet hat. Die Antragstellerin, die in der Zeit unmittelbar nach Oktober 2005 wechselnde Unterkünfte bezog, lebt inzwischen mit ihrem neuen Partner und ihrer Tochter J., welche aus einer früheren Beziehung stamm, in einer gemeinsamen Wohnung. Der Umgang zwischen der Antragstellerin und S. verläuft problemlos. Sie wünscht sich, dass ihr Sohn bei ihr lebt.

Die Antragstellerin beantragt,

ihr das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie die alleinige Gesundheitsfürsorge für den am …2004 geborenen S. zu übertragen.

Der Antragsteller beantragt,

ihm die elterliche Sorge
hilfsweise
das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für den am …2004 geborenen S. zu übertragen.

Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte über die Sorgerechts- bzw. Aufenthaltsbestimmungsrechtsregelung, die wegen der Auslandsberührung durch die britische Staatsangehörigkeit des Antragsgegners vorrangig zu prüfen ist, folgt aus der EG-Verordnung vom 29. Mai 2000, denn ein betroffenes Kind hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.

Sind die deutschen Gerichte international zuständig, so ist auch materiell deutsches Recht anzuwenden.

Die Eltern von S. und das zuständige Jugendamt sind angehört worden. Von einer Anhörung des Kindes ist wegen seines Alters von – jetzt – vier Jahren abgesehen worden.

Gemäß § 1671 Abs. 1 BGB kann bei nicht nur vorübergehendem Getrenntleben elnes Elternpaares jeder Elternteil beantragen, dass ihm das Familiengericht die elterliche Sorge oder einen Teil der elterlichen Sorge (wie das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder die Gesundheitsfürsorge= allein übertrgägt. Nach Abs. 2 Nr. 2 dieser Vorschrift ist dem Antrag stattzugeben. wenn zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge oder des Aifenthaltsbestimmungsrechts und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohle des Kindes am besten entspricht.

Eine allgemeingültige abstrakte Definition des Kindeswohls, losgelöst von der konkreten Lebenssituation des Kindes, ist nicht möflich. Daher sind möglichst umfassend die zum Kindeswohl gehörenden Lebensaspekte und -bedürfnisse zu berücksichtigen. Hierzu zählenschon nach dem Gesetzeswortlauf die Bindungen des Kindes an seine Eltern und – falls vorhanden – seine Geschwister. Gewichtige Gesichtspunkte für die zu treffende Entscheidung sind auch die Prinzipien der Förderung, der Kontinuität und des Kindeswillens.

Im vorliegenden Verfahren hat sich herausgestellt, dass zumindest das Recht zur Bestimmung des Aufenthaltes des Kindes durch beide Elternteile nicht dem Wohle S. dient. Sowohl der Vater als auch die Mutter möchten den Sohn dauerhaft bei sich haben.

Dieser hat positive Bindungen zu beiden Elternteilen, er liebt sie beide und wird von beiden Eltrenteilen gleichermaßen geliebt. Diese wird einerseits dadurch offenbar, dass sich S. unter der Pflege und Fürsorge seines Vaters physisch und psychisch gut entwickelt, er ist im Zusammenleben mit dem Vater glücklich. Die Unabhängigkeit vond er Einhaltung von Dienstzeiten ermöglicht es dem Vater, S. außerhalb der Zeit, die dieser in der Kindertagesstätte verbringt, persönlich zu betreuen und sich mit ihm zu befassen. Auch die Umgangszeiten des Kindes mit der Mutter verlaufen pronlemlos und positiv. Während seines zum Teil drei Wochen am Stück dauerndes Aufenthaltes im Haushalt der Mutter genießt das Kind das Zusammensein mit ihr und seiner inzwischen auch fest fort lebenden Stiefschwester.

Wenngleich die Gestaltung des Aufenthaltes des Kindes durch die Eltern offenbar tolerant und am Kindeswohl orientiert praktiziert wird, bedarf es einer gerichtlichen Regelung des Rechts zur Bestimmung des Aufenthaltes des Kindes, da beide Elternteile dies im vorliegenden familiengerichtlichen Verfahren für sich beanspruchen, um das Kind dauerhaft bei sich haben zu können.

Dieses Recht war dem Vater zuzusprechen. S. lebt seit der Geburt mit dem Vater gemeinsam in einem Haushalt und gedeiht prächtig. Es bestehen keinerlei Bedenken gegend ie Erziehungsfähigkeit des Vaters. Irgendeinen nachvollziehbaren Grund, diese Kontinuität im Leben des Kindes zu brechen, hat die Antragstellerin nicht vorgebracht und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die einzig behauptete Befürchtung der Antragstellerin, der Antragsgegner könnte mit S. dauerhaft die Bundesrepublik Deutschland verlassen, ist durch nicht sbelegt. Alleind ie Tatsache, dass der Antragsgegener Brite ist, reicht zur Begründung dieser Befürchtugn nicht aus.

Die in Bezug auf die Beziehungsstrukturen im Verlauf des Verfahrens evident gewordene und aufgezeigte Kooperationsfähigkeit der Eltern, sowie ein vernünftiger Kooperationswille führt indes zu der Beurteilung, dass dem Antragsteller entgegen seinem Begehr nicht mehr als das streitige Aufenthaltsbestimmungsrecht für S. zuzusprechen ist. Nach dem Akteninhalt und dem Eindruck aus dem am 26. Februar 2008 durchgeführten Anhörungstermin inst das Gericht zu der Überzeugung gekommen, dass die Eltern kleinere – hier nicht konkret benannte – Konflikte auszuhalten und im Sinne des Kindeswohls zu lösen vermögen.

Ein ausreichender Grund, der Antragstellerin die Gesundheitsfürsorge für S. – ebenfalls ein Teil der elterlichen Sorge – zu übertragen, ist nicht gegeben.

Allein die Behauptungen der Antragstellerin, der Antragsteller habe eine Windpockenerkrankung des Kindes im Alter von etwa 9 Monaten nicht sofort erkannt und einen so genannten Windelpilz nicht unverzüglich ärztlich behandeln lassen wollen, sind für eine Übertragung der Gesundheitfürsorge auf einen Elternteil, hier die Antragstellerin, nicht ausreichend. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Behauptungen zutreffen, was nicht geprüft worden ist, hat die beanstandungsfreie Entwicklung des Kindes bis zum jetzigen Alter von 4 Jahren und zwei Monaten gezeigt, dass der Vater – ebenso wie die Mutter – in der Lage ist, für die Gesundheit des Kindes Sorge zu tragen.

Die Nebenentshceidungen beruhen auf § 94 Abs. 3 KostO, 13a Abs. 1 FGG und § 30 Abs. 2 und 3 KostO.

AG Tempelhof-Kreuzberg, Beschluss vom 22.01.2009
180 F 4981/06

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