BGH: Einfluss von Tilgung und Zinsen auf Kindesunterhalt

BGH: Einfluss von Tilgung und Zinsen auf Kindesunterhalt

a) Auch beim Kindesunterhalt können grundsätzlich bis zur Höhe des Wohnvorteils neben den Zinszahlungen zusätzlich die Tilgungsleistungen berücksichtigt  werden, die der Unterhaltspflichtige auf ein Darlehen zur Finanzierung einer selbstgenutzten Immobilie erbringt (Fortführung der Senatsbeschlüsse BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 und vom 15. Dezember 2021 – XII ZB 557/20 – NZFam 2022, 208).

b) Überschreitet der Schuldendienst für die Immobilie den dadurch geschaffenen Wohnvorteil nicht, ist aber gleichwohl der Mindestunterhalt minderjähriger  Kinder gefährdet, kann dem gesteigert Unterhaltspflichtigen zwar nicht eine vollständige Aussetzung der Tilgung, wohl aber nach den Umständen des Einzelfalls  ausnahmsweise eine Tilgungsstreckung zugemutet werden. Dies kommt beispielsweise dann in Betracht, wenn eine besonders hohe Tilgung vereinbart wurde  oder die Immobilie bereits weitgehend abbezahlt ist.

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 9. März 2022 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr.  Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling für Recht erkannt:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats – 2. Senat für Familiensachen – des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 8. April 2021 wird auf  Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

A.

Der Antragsteller macht als Träger der Unterhaltsvorschusskasse in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch laufenden Kindesunterhalt aus übergegangenem Recht  für die Zeit ab März 2021 gegen den Antragsgegner geltend.

Der Antragsgegner ist Vater seines am 29. Januar 2004 geborenen Sohnes T. und seiner am 27. März 2006 geborenen Tochter L., die aus der geschiedenen Ehe  mit der Kindesmutter hervorgegangen sind. Der Antragsteller erbringt für die beiden Kinder seit 2017 Unterhaltsvorschussleistungen. Der Antragsgegner ist als  Produktionshelfer beschäftigt und bezieht aus dieser Tätigkeit ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.770,95 €. Den elf Kilometer langen Weg zur  Arbeitsstätte legt er mit dem Kraftfahrzeug zurück. Der Arbeitgeber zahlt vermögenswirksame Leistungen in Höhe von 13,29 € monatlich.

Im Jahr 2017 erwarb der Antragsgegner eine Wohnimmobilie zur Selbstnutzung, deren Wohnwert mit 350 € zu bemessen ist. Zur Finanzierung der Immobilie  nahm er einen Kredit bei der D.-Bank über 60.000 € mit einer monatlichen Darlehensrate von 215,50 € (Tilgungsanteil derzeit rund 80 €) und einen weiteren Kredit bei der H.-Bank über 12.000 € mit einer monatlichen Darlehensrate von 107 € (Tilgungsanteil derzeit rund 50 €) auf.

Der Antragsteller hat den Antragsgegner für die Zeit ab März 2021 auf Erstattung künftiger Unterhaltsvorschussleistungen für die Kinder T. und L. in Höhe von  jeweils 100 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzüglich des vollen gesetzlichen Kindergelds (im Jahr 2021 je Kind 309 €) in Anspruch genommen.

Das Amtsgericht hat dem Antrag nur teilweise stattgegeben. Es hat die Nettoerwerbseinkünfte des Antragsgegners um berufsbedingte Fahrtkosten sowie um die  vermögenswirksamen Arbeitgeberleistungen bereinigt und einen den gesamten Schuldendienst der Immobilienfinanzierung übersteigenden restlichen  Wohnwert in Höhe von 27,50 € zugerechnet. Auf dieser Berechnungsgrundlage hat das Amtsgericht bei einem unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden  Gesamteinkommen von 1.664,16 € eine Verteilungsmasse von 504 € ermittelt und den Antragsgegner unter Abweisung des weitergehenden Antrags zur Erstattung von Unterhaltsvorschuss in Höhe von jeweils 252 € für die beiden Kinder T. und L. seit dem 1. März 2021 bis zu deren Volljährigkeit verpflichtet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner zugelassenen  Rechtsbeschwerde, mit der er weiterhin erstrebt, den Antragsgegner wegen der von ihm zu erbringenden Unterhaltsvorschussleistungen für beide Kinder bis zu  deren Volljährigkeit zur Zahlung von 100 % des Mindestunterhalts abzüglich des vollen Kindergelds zu verpflichten.

B.

Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers erweist sich auf der Grundlage des vom Beschwerdegericht festgestellten Sachverhalts als unbegründet. Über sie ist  daher, obwohl der Antragsgegner im Verhandlungstermin vor dem Senat nicht vertreten war, durch streitige Endentscheidung (unechter Versäumnisbeschluss)  zu entscheiden (ständige Rechtsprechung; vgl. nur Senatsbeschluss vom 18. März 2020 – XII ZB 380/19 – FamRZ 2020, 1073 Rn. 5 mwN).

I.

Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FamRZ 2021, 1705 veröffentlicht ist, hat die Unterhaltsberechnung des Amtsgerichts gebilligt und zur Begründung seiner Entscheidung das Folgende ausgeführt: Zins- und Tilgungsleistungen für eine Immobilienfinanzierung seien grundsätzlich auch dann bis zur Höhe des Wohnvorteils in voller Höhe anzurechnen, wenn der Mindestunterhalt nicht gedeckt sei. Ein Wohnvorteil würde auch in dieser Fallkonstellation nicht bestehen, wenn der Antragsgegner nicht in seinem Eigenheim, sondern zur Miete wohnen würde. In diesem Fall käme den Unterhaltsberechtigten nicht einmal  der überschießende Wohnvorteil von 27,50 € zugute. Es müsse unterschieden werden zwischen solchen Tilgungsleistungen, mit denen sonstiges Vermögen  erworben werde, und solchen Tilgungsleistungen, die der Entschuldung des selbstbewohnten Eigenheims dienten und überhaupt erst die grundsätzliche Möglichkeit dafür schafften, dem Unterhaltspflichtigen einen Wohnvorteil zuzurechnen. Gehe es um eine angemessene selbstbewohnte Immobilie, bestehe auch  kein Widerspruch darin, dass einerseits durch die unterhaltsrechtliche Anerkennung von Tilgungsleistungen Vermögen gebildet werde, andererseits im Mangelfall auch der Vermögensstamm zum Unterhalt herangezogen werden könne. Denn ein solches Eigenheim müsse in der Regel nicht verwertet werden.

II.

Dies hält rechtlicher Überprüfung stand.

1. Die Unterhaltspflicht des Antragsgegners für seine Kinder steht zwischen den Beteiligten dem Grunde nach ebenso wenig im Streit wie die Aktivlegitimation  des Antragstellers. Das gilt gleichermaßen für das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Antragsgegners aus seiner Erwerbstätigkeit, welches das  Beschwerdegericht unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Amtsgerichts rechtsbedenkenfrei mit monatlich 1.770,95 € festgestellt hat. Auch die Bemessung  des Wohnwerts des von dem Antragsgegner bewohnten Eigenheims ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Beteiligten gehen ersichtlich  übereinstimmend davon aus, dass es sich bei dem angesetzten Betrag von 350 € um die bei einer Fremdvermietung objektiv erzielbare Marktmiete handelt, auf  die es ankommt, wenn – wie hier – die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltspflichtigen gegenüber seinen minderjährigen Kindern in Rede steht (vgl.  Senatsbeschlüsse vom 19. März 2014 – XII ZB 367/12 – FamRZ 2014, 923 Rn. 19 und vom 10. Juli 2013 – XII ZB 298/12FamRZ 2013, 1563 Rn. 16).

2. Das Beschwerdegericht hat gebilligt, dass von dem Nettoeinkommen des Antragsgegners berufsbedingte Aufwendungen in Höhe von 121 € für die Benutzung  des eigenen Kraftfahrzeugs für den elf Kilometer langen Weg zur Arbeitsstätte abgesetzt werden. Auch dies ist im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht zu  beanstanden. Zwar besteht gerade in Fällen der gesteigerten Unterhaltspflicht nach § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB, in denen der Mindestunterhalt für minderjährige  Kinder nicht aufgebracht werden kann, grundsätzlich Anlass zu der Prüfung, ob der Unterhaltspflichtige nach den Umständen des Einzelfalls trotz eines deutlich  höheren Zeitaufwands auf die Verwendung günstigerer öffentlicher Verkehrsmittel verwiesen oder ob ihm bei kürzeren Fahrtstrecken sogar die überwiegende  Benutzung eines Fahrrads für den Weg zur Arbeitsstätte zugemutet werden kann (vgl. Botur in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 3. Aufl. § 1603 Rn. 40 f.;  MünchKommBGB/Langeheine 8. Aufl. § 1603 Rn. 78, 163; jurisPK-BGB/Viefhues [Stand: 8. Februar 2022] § 1603 Rn. 189 ff.; Scholz/Kleffmann  Praxishandbuch Familienrecht [Stand: September 2021] Teil G Rn. 167).

Weil der Antragsteller aber die Berechtigung des Antragsgegners zur Benutzung seines Kraftfahrzeugs nicht bestritten, sondern die mit der Pkw-Nutzung  verbundenen Kosten bereits in die eigene Unterhaltsberechnung eingestellt hat, durfte auch das Beschwerdegericht im Rahmen seines tatrichterlichen  Beurteilungsspielraums (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 Rn. 16 und Senatsurteil vom 21. Januar 1998 – XII ZR 117/96 – FamRZ 1998,  1501, 1502) diese Kosten als notwendig betrachten und in rechnerisch bedenkenfrei ermittelter Höhe von 121 € als einkommensmindernde Abzugsposition  berücksichtigen.

3. Ohne Erfolg wendet sich die Rechtsbeschwerde gegen die Beurteilung des Beschwerdegerichts, dass die gesamten Zins- und Tilgungsleistungen auf die von  dem Antragsgegner bedienten Immobilienkredite (322,50 €) als dem Wohnvorteil entgegenzurechnende Abzugspositionen zu berücksichtigen sind.

Inwieweit Verbindlichkeiten des Unterhaltspflichtigen im Rahmen der Bestimmung seiner Leistungsfähigkeit allgemein einschränkend zu berücksichtigen sind,  kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung nach billigem Ermessen entschieden werden.

Insoweit sind insbesondere der Zweck der Verbindlichkeit, der Zeitpunkt und die Art ihrer Entstehung, die Dringlichkeit der beiderseitigen Bedürfnisse, die  Kenntnis des Unterhaltsschuldners von Grund und Höhe der Unterhaltsschuld und seine Möglichkeit von Bedeutung, die Leistungsfähigkeit ganz oder teilweise  wiederherzustellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Mai 2019 – XII ZB 613/16 – FamRZ 2019, 1415 Rn. 18 und vom 10. Juli 2013 – XII ZB 297/12FamRZ 2013, 1558 Rn. 19 mwN).

a) Bei der gebotenen Abwägung fällt in besonderem Maße ins Gewicht, dass es wesentliche Aufgabe des barunterhaltspflichtigen Elternteils ist, das Existenzminimum seines minderjährigen Kindes sicherzustellen. Diesem ist – im Gegensatz zu Erwachsenen – wegen seines Alters grundsätzlich die Möglichkeit verschlossen, durch eigene Anstrengungen zur Deckung seines notwendigen Lebensbedarfs beizutragen. Vermögensbildende Aufwendungen des gesteigert  unterhaltspflichtigen Elternteils, der zur Zahlung des Mindestunterhalts für sein minderjähriges Kind nicht in der Lage ist, können deshalb nicht als  Abzugspositionen anerkannt werden, weil die Interessen des Kindes gewichtiger sind als etwa diejenigen des Elternteils am Aufbau eines zusätzlichen  Altersvorsorgevermögens (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 2013 – XII ZR 158/10 – FamRZ 2013, 616 Rn. 20). Das gilt im Grundsatz auch für eine  Vermögensbildung in Form der Tilgung von Immobilienkrediten.

Andererseits muss, worauf der Senat bereits im Rahmen des Elternunterhalts (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 213, 288 = FamRZ 2017, 519 Rn. 33) und des  Ehegattenunterhalts (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. Dezember 2021 – XII ZB 557/20 – juris Rn. 29, zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt und vom 4. Juli 2018  – XII ZB 448/17FamRZ 2018, 1506 Rn. 31) hingewiesen hat, auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass durch die Zins- und  Tilgungsleistungen, die der unterhaltspflichtige Selbstnutzer eines Eigenheims auf einen zu dessen Finanzierung aufgenommenen Kredit erbringt, ein  einkommenserhöhender Wohnvorteil ermöglicht wird. Bis zur Höhe des Wohnwerts können die Kreditraten deshalb nicht nur mit dem Zinsanteil, sondern auch  mit dem Tilgungsanteil berücksichtigt werden. Zwar handelt es sich bei der Tilgung des Immobilienkredits immer noch um eine Vermögensbildung, aber um  eine solche, die nicht „zu Lasten“ des Unterhaltsberechtigten geht, weil es ohne Zins und Tilgung den unterhaltsrechtlich zu seinen Gunsten berücksichtigten  Wohnvorteil in Form einer ersparten Miete nicht gäbe. Diese grundlegenden Erwägungen gelten in gleicher Weise für den Kindesunterhalt (vgl. OLG Frankfurt  NZFam 2019, 1054, 1058; Wendl/Dose/Guhling Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis* 10. Aufl. § 5 Rn. 93; Kohlenberg in Heiß/Born  Unterhaltsrecht [Stand: Januar 2021] Kap. 12 Rn. 93).

b) Aus den dargestellten Grundsätzen folgt zunächst, dass es dem gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert Unterhaltspflichtigen bei Gefährdung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder auch unter dem Gesichtspunkt sekundärer Altersvorsorge regelmäßig nicht gestattet ist, die für die Finanzierung  eines  Eigenheims aufgewendeten Kreditraten mit ihrem Tilgungsanteil von seinem Einkommen in Abzug zu bringen, wenn und soweit ihnen kein Wohnvorteil  gegengerechnet werden kann (vgl. Staudinger/Klinkhammer BGB [2018] § 1603 Rn. 206; Botur in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 3. Aufl. § 1603 BGB Rn.  54). Das gilt erst recht und selbst für wohnwertübersteigende Zinsanteile, wenn der Unterhaltspflichtige ein Eigenheim erworben hat, obwohl ihm das Bestehen  der Barunterhaltspflicht für seine minderjährigen Kinder und die mit dem Immobilienkauf verbundene Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit im  Erwerbszeitpunkt bereits bekannt waren (vgl. Kohlenberg in Heiß/Born Unterhaltsrecht [Stand: Januar 2021] Kap. 12 Rn. 93; BeckOGK/Haidl [Stand: 1.  Februar 2022] BGB § 1603 Rn. 63).

c) Übersteigen die Darlehensraten für einen Immobilienkredit demgegenüber einen unterhaltsrechtlich berücksichtigten Wohnvorteil nicht, ist es selbst bei einer  Gefährdung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder nicht interessengerecht, die Tilgungsanteile an diesen Darlehensraten gänzlich unberücksichtigt zu lassen.

aa) Wenn und soweit dem Schuldendienst für die Finanzierung einer selbstbewohnten Immobilie ein den unterhaltsberechtigten Kindern zugutekommender  Wohnvorteil in gleicher Höhe gegenübersteht, bestreitet der Unterhaltspflichtige in wirtschaftlicher Hinsicht die Aufwendungen für die Deckung seiner Wohnbedürfnisse aus den finanziellen Mitteln, die ihm im notwendigen Selbstbehalt zur Verfügung stehen. Denn der oberhalb des notwendigen Selbstbehalts (hier: 1.160 €) liegende Teil seines (Erwerbs-)Einkommens wird durch den vom Wohnvorteil kompensierten Schuldendienst nicht berührt und kann weiterhin in voller Höhe für den Unterhalt der minderjährigen Kinder eingesetzt werden. Die Verwendung der Geldmittel im Rahmen des notwendigen Selbstbehalts  unterliegt indessen der freien Disposition des Unterhaltspflichtigen (vgl. Senatsurteile vom 3. Dezember 2008 – XII ZR 182/06FamRZ 2009, 314 Rn. 34 und  vom 23. August 2006 – XII ZR 26/04 – FamRZ 2006, 1664, 1666). Im Rahmen seiner Lebensgestaltungsautonomie ist es dem Unterhaltspflichtigen deshalb –  selbst gegenüber den Unterhaltsansprüchen minderjähriger Kinder – nicht von vornherein verwehrt, aus den ihm im Selbstbehalt belassenen Mitteln auch  Vermögensbildung zu betreiben.

bb) Wird dem unterhaltspflichtigen Immobilieneigentümer mit dem Wohnwert in Höhe der objektiv erzielbaren Marktmiete unterhaltsrechtlich die volle  Nutzungsmöglichkeit für die darlehensfinanzierte Immobilie zugerechnet, wird er insoweit einem lastenfrei wohnenden Eigentümer gleichgestellt, obwohl er das Wohneigentum bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise mit seinen Tilgungsleistungen erst noch erwerben muss. Die unterhaltsrechtliche Zurechnung des vollen Wohnwerts kompensiert deshalb auch den Aspekt der immobilienbezogenen Vermögensbildung; sie setzt die Berücksichtigung der Ratenzahlungen auf das Finanzierungsdarlehen unter Einschluss von Tilgungsanteilen bereits voraus (vgl. Norpoth FamRZ 2008, 2245, 2247).

cc) Schließlich liegt in Bezug auf eine angemessene selbstbewohnte Immobilie entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde auch kein grundlegender Wertungswiderspruch darin, dem gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB gesteigert Unterhaltspflichtigen einerseits durch die unterhaltsrechtliche Anerkennung von Tilgungsleistungen auf den Immobilienkredit einen Vermögensaufbau zu gestatten und ihn andererseits im Mangelfall für verpflichtet zu halten, in verstärkter Weise auch seinen Vermögensstamm zur Deckung des Mindestbedarfs minderjähriger Kinder einzusetzen. Wie das Beschwerdegericht zutreffend ausgeführt hat, besteht selbst bei gesteigerter Unterhaltspflicht in der Regel keine Obliegenheit des Unterhaltspflichtigen, ein angemessenes selbstbewohntes Hausgrundstück  durch Veräußerung für den Unterhalt zu verwerten. Dies steht im Einklang mit der Wertung des § 90 Abs. 2 Nr. 8 SGB XII, der eine Deckung bescheidener Wohnbedürfnisse im eigenen Haus auch im Sozialhilferecht privilegiert. Selbst bei Überschreitung sozialhilferechtlicher Grenzwerte wird der Verwertung eines eigengenutzten Familienheims häufig die Erwägung entgegenstehen, dass ein solcher Vermögenseinsatz den Unterhaltspflichtigen von langfristigen und  bedarfsnotwendigen Einkünften in Form eines – auch den Unterhaltsberechtigten zugutekommenden – Wohnvorteils abschneiden würde (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis* 10. Aufl. § 1 Rn. 619; Botur in Büte/Poppen/Menne Unterhaltsrecht 3. Aufl. § 1603 BGB Rn. 38).

d) Mit Recht hat das Beschwerdegericht auch davon abgesehen, die unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Antragsgegners fiktiv durch eine  Tilgungsstreckung und eine damit verbundene Herabsetzung der Tilgungsleistungen zu erhöhen.

Allerdings ist es – insbesondere bei der Gefährdung des Mindestunterhalts minderjähriger Kinder – nicht generell ausgeschlossen, dem Unterhaltspflichtigen eine  Obliegenheit zur Tilgungsstreckung aufzuerlegen. Das Argument, dass die gesamte Darlehensrate einschließlich des darin enthaltenen Tilgungsanteils durch den gegenzurechnenden Wohnvorteil kompensiert wird, zwingt lediglich dazu, dem Grunde nach neben den Zinszahlungen auch Tilgungsleistungen auf das Finanzierungsdarlehen anzuerkennen, ohne dass damit in jedem Fall etwas über die Höhe der unterhaltsrechtlich zu berücksichtigenden Tilgungsanteile  ausgesagt wäre (vgl. Norpoth FamRZ 2008, 2245, 2249). Nur eine völlige Aussetzung der Tilgungsleistungen ist dem Unterhaltspflichtigen im Rahmen der  Interessenabwägung regelmäßig unzumutbar. Wird trotz vollständiger Kompensation des Schuldendienstes durch den gegenzurechnenden Wohnvorteil die  Darlehenstilgung gestreckt und dadurch ein dem Unterhaltspflichtigen unterhaltsrechtlich zuzurechnender positiver Wohnwert erzeugt, bewirkt dies bei  wirtschaftlicher Betrachtungsweise freilich eine Herabsetzung des maßgeblichen Selbstbehalts, und zwar mit der Begründung, dass der Unterhaltspflichtige als  Darlehensnehmer – bei nunmehr herabgesetzten Tilgungsanteilen – für die Deckung der Wohnbedürfnisse im eigenen Haus weniger Mittel aufwenden muss, als  wenn er das gleiche Haus als Mieter bewohnen würde und dafür als Entgelt die objektive Marktmiete bezahlen müsste. Dies wird nur in Ausnahmefällen in  Betracht gezogen werden können, so etwa, wenn eine ungewöhnlich hohe Tilgung vereinbart oder das Eigenheim bereits weitgehend abgezahlt worden ist.

Davon kann unter den hier obwaltenden Umständen nicht ausgegangen werden. Die Rückzahlung des grundpfandrechtlich gesicherten Kredits bei der D.-Bank  ist auf 30 Jahre ausgelegt. Der in den vereinbarten Kreditraten enthaltene anfängliche Tilgungssatz liegt – bezogen auf beide von dem Antragsgegner aufgenommenen Finanzierungsdarlehen – unter 2 %. Da der Antragsgegner die Darlehen mit diesem anfänglichen Tilgungssatz erst seit dem Jahr 2017 bedient, konnte bislang auch noch kein nennenswerter Teil der gesamten Darlehensschuld zurückgezahlt werden.

4. Schließlich kann die angefochtene Entscheidung im Verfahren der Rechtsbeschwerde auch nicht für den Zeitraum ab 29. Januar 2022 im Hinblick darauf  abgeändert werden, dass der Sohn T. des Antragsgegners an diesem Tag das 18. Lebensjahr vollendet hat und die in der Beschlussformel ausgesprochene  Verpflichtung zur Erstattung von Unterhaltsvorschussleistungen für ihn dadurch in Wegfall geraten ist. Für den Unterhalt der noch minderjährigen Tochter L.  wäre der Antragsgegner ab dem 29. Januar 2022 zwar dann uneingeschränkt leistungsfähig, wenn deren Unterhaltsansprüche den Ansprüchen ihres volljährigen  Bruders im Rang vorgehen würden. Es fehlt indessen bereits an tatsächlichen Feststellungen, ob für den Sohn T. die Voraussetzungen für eine  unterhaltsrechtliche Privilegierung nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB vorliegen, so dass diese Beurteilung einem etwaigen Abänderungsverfahren vorbehalten  bleiben muss.

BGH, Beschluss vom 09.03.2022
XII ZB 233/21

AG Leer, Entscheidung vom 03.02.2021
5a F 289/20 UK

OLG Oldenburg, Entscheidung vom 08.04.2021
3 UF 29/21

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