BVerfG: Prüfungsmaßstab und Prüfungsintensität des Bundesverfassungsgerichts für Sorgerechtsentzug

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer macht mit seiner Verfassungsbeschwerde unter anderem geltend, dass er durch die Übertragung der elterlichen Sorge für den gemeinsamen Sohn gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB auf die Kindesmutter in seinem Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) verletzt sei. Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Weder kommt ihr grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig. Zum einen hat der Beschwerdeführer die in den Umgangsverfahren eingeholten Sachverständigengutachten nicht vorgelegt, obwohl sich das Oberlandesgericht auf diese im hiesigen Sorgerechtsverfahren bezogen hat und die Kenntnis der Gutachten für das Verständnis der der Übertragung des Sorgerechts auf die Kindesmutter zugrunde liegenden Gesamtentwicklung bis hin zum Ausschluss eines persönlichen Kontaktes des Beschwerdeführers mit seinem Sohn erforderlich gewesen wäre. Zum anderen rügt der Beschwerdeführer, dass die Gerichte maßgeblichen relevanten Vortrag übergangen hätten. Damit rügt er der Sache nach eine Verletzung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), ohne aber gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts eine Anhörungsrüge erhoben zu haben, was insoweit zur Erschöpfung des Rechtswegs erforderlich gewesen wäre (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Da auch die weiteren vom Beschwerdeführer gerügten Grundrechtsverstöße denselben Streitgegenstand betreffen, wie die der Sache nach geltend gemachten Gehörsverstöße, ist die Verfassungsbeschwerde insgesamt wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde unzulässig (vgl. BVerfGE 134, 106 <113>).

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist – soweit dies ohne die fehlenden Sachverständigengutachten beurteilt werden kann – auch unbegründet, weil die angegriffenen Entscheidungen den Beschwerdeführer nicht in seinem Elternrecht verletzen.

1. a) Die mit der Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge (§ 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) verbundene Beeinträchtigung des Elterngrundrechts desjenigen Elternteils, der von der Sorge ausgeschlossen wird, ist verfassungsrechtlich gerechtfertigt, wenn es an den tatsächlichen Voraussetzungen für die Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge, insbesondere einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Eltern und einem Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen, fehlt. Hingegen setzt die Übertragung der alleinigen Sorge auf den anderen Elternteil nicht voraus, dass eine Kindeswohlgefährdung besteht, wie sie nach ständiger Rechtsprechung bei einer Trennung des Kindes von seinen Eltern nach Art. 6 Abs. 3 GG vorliegen müsste.

Das den Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheitsrecht auf Pflege und Erziehung ihrer Kinder dient in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist (vgl. BVerfGE 61, 358 <371 f.>; 75, 201 <218>). Der Schutz des Elternrechts, das dem Vater und der Mutter gleichermaßen zukommt, erstreckt sich auf die wesentlichen Elemente des Sorgerechts (vgl. BVerfGE 84, 168 <180>; 107, 150 <173>). Die Einbeziehung beider Elternteile in den Schutzbereich des Art. 6 Abs. 2 GG bedeutet jedoch nicht, dass diesen jeweils die gleichen Rechte im Verhältnis zum Kind einzuräumen sind, vielmehr bedarf das Elternrecht der am Kindeswohl ausgerichteten Ausgestaltung durch den Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 107, 150 <169>), die von den Gerichten im Einzelfall umzusetzen ist. Dabei ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, die gemeinsame Sorge als Regelfall zu behandeln, weil sich die Trennung und die damit verbundenen Konflikte zwischen den Eltern auf deren Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit bei der Sorge für das Kind derartig auswirken können, dass eine gemeinsame Sorge den Interessen des Kindes nicht entspricht (vgl. BVerfGE 107, 150 <182>). Weil die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraussetzt und ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen erfordert, darf der Gesetzgeber einem Elternteil die Hauptverantwortung für das Kind für den Fall zuordnen, dass die Voraussetzungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung fehlen (vgl. BVerfGE 107, 150 <169>; 127, 132 <146 f.>). Der damit einhergehende Ausschluss eines Elternteils von der Sorge muss am Wohl des Kindes ausgerichtet sein (vgl. BVerfGE 55, 171 <179>), ohne dass die Übertragung der alleinigen Sorge auf den anderen Elternteil eine Kindeswohlgefährdung voraussetzte, wie sie nach ständiger Rechtsprechung bei einer Trennung des Kindes von seinen Eltern nach Art. 6 Abs. 3 GG bestehen müsste (dazu zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 -, juris, Rn. 23 m.w.N.). Demgemäß hat der Gesetzgeber in § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB in verfassungsgemäßer Weise bestimmt, dass die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil erfolgt, wenn zu erwarten ist, dass dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

b) Die Feststellung, ob die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB erfüllt sind, obliegt den Fachgerichten.

aa) Generell gilt hinsichtlich der verfassungsgerichtlichen Prüfungsintensität fachgerichtlicher Entscheidungen, dass die von den Fachgerichten getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die von ihnen im Einzelnen vorgenommene Abwägung vom Bundesverfassungsgericht nicht kontrolliert werden. Der verfassungsgerichtlichen Prüfung unterliegt jedoch, ob fachgerichtliche Entscheidungen auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>).

bb) Nichts anderes gilt in Streitigkeiten der vorliegenden Art. Die verfassungsgerichtliche Überprüfung erfolgt hier nicht etwa in der besonderen Intensität, die bei der Kontrolle von Entscheidungen über eine Trennung des Kindes von den Eltern (Art. 6 Abs. 3 GG) notwendig ist. Bei gerichtlichen Entscheidungen, mit denen Eltern zum Zweck der Trennung des Kindes von ihnen (Art. 6 Abs. 3 GG) das Sorgerecht oder Teilbereiche hiervon entzogen werden, ist es wegen des sachlichen Gewichts der Beeinträchtigung der Grundrechte von Eltern und Kindern geboten, über den eingangs beschriebenen Prüfungsumfang hinauszugehen (vgl. BVerfGE 55, 171 <181>; 72, 122 <138>; 75, 201 <221 f.>). Dabei kann sich die verfassungsgerichtliche Kontrolle wegen der besonderen Eingriffsintensität ausnahmsweise auch auf einzelne Auslegungsfehler (vgl. BVerfGE 60, 79 <91>; 75, 201 <222>) sowie auf deutliche Fehler bei der Feststellung und Würdigung des Sachverhalts erstrecken (zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. November 2014 – 1 BvR 1178/14 -, juris, Rn. 24 m.w.N.).

cc) Hingegen legt das Bundesverfassungsgericht diesen strengen Prüfungsmaßstab in ständiger Rechtsprechung nicht auch in solchen Fällen an, in denen die Fachgerichte, wie hier, nach der Trennung der Eltern auf Antrag eines Elternteils darüber zu entscheiden haben, wer von beiden die elterliche Sorge wahrnimmt (zuletzt BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. April 2014 – 1 BvR 3360/13 -, juris, Rn. 8 m.w.N.). Fehlt es an einem diesbezüglichen Einvernehmen der Eltern, bleibt es in erster Linie den Familiengerichten vorbehalten, zu beurteilen, inwieweit die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entsprechen (vgl. BVerfGE 55, 171 <179>; stRspr).

c) Prüfungsmaßstab und Prüfungsintensität des Bundesverfassungsgerichts sind damit bei der Prüfung der Vereinbarkeit des Ausschlusses eines Elternteils von der gemeinsamen Sorge mit dem Elterngrundrecht im Verhältnis zur Konstellation des Art. 6 Abs. 3 GG zurückgenommen. Dies spiegelt wider, dass der Staat bei der Entscheidung, wie die elterliche Sorge nach der Trennung der Eltern zwischen ihnen zu regeln ist, überhaupt nur auf Veranlassung mindestens eines Elternteils und lediglich vermittelnd zwischen den Eltern, nicht jedoch wie bei der Entziehung des Sorgerechts wegen einer Kindeswohlgefährdung von Amts wegen und von außen eingreifend tätig wird. Der in der vollständigen oder teilweisen Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auf der Grundlage von § 1671 BGB liegende Eingriff in das Elternrecht des einen Elternteils ist letztlich nur die Kehrseite davon, dass die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl nicht gleichermaßen entspräche und dass es sich deswegen nicht vermeiden lässt, dass nicht beide Elternteile einen gleichen Kontakt und eine gleiche Zuwendung zu ihrem Kind entfalten können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 16. April 2014 – 1 BvR 3360/13 -, juris, Rn. 8 m.w.N.).

2. Davon ausgehend sind die fachgerichtlichen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Rügen greifen nicht durch.

Indem das Oberlandesgericht eine tragfähige soziale Grundlage zwischen den Eltern für die Ausübung der elterlichen Sorge als erforderlich angesehen hat, hat es nicht etwa einen verfassungswidrigen Maßstab zugrunde gelegt.

Dass die gemeinsame Sorge hier tatsächlich nicht in Betracht kommt, weil zwischen den Eltern keine tragfähige soziale Beziehung besteht und auch kein Mindestmaß an Übereinstimmung  vorhanden ist, haben die Gerichte, soweit auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen erkennbar, im Einzelnen ohne Verkennung der Grundrechte des Beschwerdeführers in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise begründet. Beide Fachgerichte sind auf der Grundlage der Stellungnahmen des Jugendamts und des Verfahrensbeistands, des Verfahrensablaufs unter Einstellung der Ergebnisse der Umgangsverfahren sowie des persönlichen Eindrucks sowohl von den Eltern als auch vom Kind in den vom Amtsgericht durchgeführten Anhörungen nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kommunikation zwischen den Eltern derart gestört ist, dass die gemeinsame Sorge aufzuheben war. Auch die Erwägungen zur Übertragung der Alleinsorge auf die Kindesmutter begegnen dabei keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

BVerfG, Beschluss vom 04.08.2015
1 BvR 1388/15

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