BGH: Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsberechtigten

  1. Die Revision gegen das Urteil des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 6. Dezember 2001 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
  2. Von Rechts wegen.


Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt.

Der Kläger hat die iranische, die Beklagte die deutsche Staatsangehörigkeit. Ihre 1988 in Deutschland geschlossene Ehe blieb kinderlos. Der Kläger absolvierte nach der Eheschließung eine Ausbildung zum Umwelttechniker, die 1994 beendet war. 1996 schloss er eine Fortbildung zum Umweltbeauftragten ab. Die Ausbildung umfasste auch verschiedene Praktika. 1997 eröffnete er ein Einzelhandelsgeschäft, in dem er Lebensmittel veräusserte. Die Parteien trennten sich im Mai 1999. Im Mai 2000 gab der Kläger den Geschäftsbetrieb auf, nachdem er während des gesamten Zeitraums seiner selbständigen Tätigkeit keinen Gewinn erwirtschaftet hatte. In der Folgezeit war er arbeitslos. Er bewarb sich auf eine Vielzahl von Arbeitsstellen, was bis einschließlich Juni 2001 ohne Erfolg blieb. Im Juli 2001 war der Kläger aushilfsweise tätig, ab Juli 2001 war er bei der D. G. eG beschäftigt.

Die Beklagte war in den letzten Jahren vor der Trennung durchgehend erwerbstätig. Seit dem 15. März 2001 ist die Ehe der Parteien rechtskräftig geschieden.

Mit seiner Klage hat der Kläger unter Berücksichtigung der seitens der Beklagten bereits erbrachten Leistungen für die Zeit bis einschließlich Dezember 2000 Trennungsunterhalt in Höhe von insgesamt 12.753,57 DM und für die Zeit ab Januar 2001 in Höhe von monatlich 279,70 DM -jeweils zuzüglich Zinsen -geltend gemacht. Das Amtsgericht hat die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 1.747,40 DM zuzüglich Zinsen für die Zeit bis einschließlich Dezember 2000 verurteilt. Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Die Berufung des Klägers führte nur für die Zeit bis Dezember 2000 teilweise zum Erfolg. Mit seiner (zugelassenen) Revision verfolgt er sein Klagebegehren für die Zeit ab Januar 2001 bis zur Rechtskraft der Scheidung weiter.

Gründe

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.

1. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in FuR 2002, 321 veröffentlicht ist, hat die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte und die Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts incidenter zu Recht bejaht. In der Sache hat es angenommen, dass ein Unterhaltsanspruch des Klägers ab Januar 2001 mangels Unterhaltsbedürftigkeit nicht mehr bestehe. Dazu hat es ausgeführt: Dem Kläger seien ab Januar 2001 fiktive Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit zuzurechnen, da er bei angemessenen Erwerbsbemühungen bereits zu diesem Zeitpunkt eine Arbeitsstelle habe finden können. Zwar sei ihm zunächst zuzubilligen gewesen, den Versuch fortzusetzen, als selbständiger Lebensmitteleinzelhändler ein Einkommen zu erzielen. Spätestens nach der Aufgabe des Geschäfts im Mai 2000 sei er jedoch gehalten gewesen, sich um eine seinen Fähigkeiten angemessene Erwerbstätigkeit zu bemühen. Die Zubilligung einer Orientierungsphase von mehr als einem halben Jahr trage bereits in großzügiger Weise dem Umstand Rechnung, dass der Kläger besondere Anstrengungen habe unternehmen müssen, um auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Ihm sei dabei aber anzusinnen gewesen, sich um eine Erwerbstätigkeit zu bemühen, die den von ihm erworbenen Fähigkeiten Rechnung trage. Er habe berücksichtigen müssen, dass er in dem erlernten Beruf nie gearbeitet habe, zuletzt in einem fachfremden Bereich selbständig tätig gewesen sei, seinerzeit bereits 46 Jahre alt gewesen sei und weder ausreichende Computerkenntnisse aufgewiesen noch die Fähigkeit besessen habe, sich in der deutschen Sprache mündlich so auszudrücken, wie es den Anforderungen an den Bewerber für eine herausgehobene Position entspreche. Diesen Umständen trügen seine Bewerbungen durchweg nicht Rechnung. Der Kläger habe sich ganz überwiegend auf Stellen als Ingenieur, Entsorgungsberater oder Abfallbeauftragter sowie daneben auch als kaufmännischer Sachbearbeiter beworben. Für derartige qualifizierte Tätigkeiten fehle ihm aber die Berufserfahrung in seinem Fachbereich; im kaufmännischen Bereich besitze er nicht die erforderlichen Kenntnisse. Realistische Einstellungsmöglichkeiten habe er dagegen im Bereich des Verkaufs gehabt, auf derartige Stellen habe er sich aber nur vereinzelt beworben. Dass er damit keinen Erfolg gehabt habe, rechtfertige deshalb nicht die Annahme, bei ausreichenden weiteren Bewerbungen hätte er ebenfalls keine solche Arbeitsstelle finden können. Dieser Einschätzung stehe auch nicht entgegen, dass es dem Kläger -aufgrund der Vermittlung einer Nachbarin -schließlich gelungen sei, eine Stelle zu erhalten, durch die er seit August 2001 ein monatliches Nettoeinkommen von rund 2.500 DM erziele. Denn diese Beschäftigung sei als “Glücksfall” für den Kläger zu bewerten. Die Bemessung des ihm deshalb ab Januar 2001 zuzurechnenden fiktiven Einkommens habe sich daran zu orientieren, was ein Verkäufer mit bestimmten Vorkenntnissen verdienen könne. Insoweit erscheine ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 2.000 DM auch unter Berücksichtigung damit verbundener Werbungskosten (Fahrtkosten etc.) als angemessen.

Dieses Einkommen sei nach der Anrechnungsmethode von dem Unterhaltsbedarf des Klägers in Abzug zu bringen. Da er in den für die Beurteilung der ehelichen Lebensverhältnisse maßgeblichen Jahren vor der Trennung aus dem von ihm geführten Lebensmittelgeschäft keine Einkünfte erzielt habe, sei allein das Erwerbseinkommen der Beklagten eheprägend gewesen. Das habe zur Folge, dass das dem Kläger zuzurechnende fiktive Einkommen für die Beurteilung der ehelichen Lebensverhältnisse außer Betracht zu bleiben habe. Zu einer anderen Beurteilung gebe auch die geänderte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Berechnung des nachehelichen Unterhalts bei einer Haushaltsführungsehe (vgl. Senatsurteil vom 13. Juni 2001 -XII ZR 343/99 -BGHZ 148, 105 ff. = FamRZ 2001, 986 ff.) keinen Anlass. Denn anders als die Haushaltsführung eines Ehegatten, durch die der Lebenszuschnitt einer Familie in vielfältiger Weise verbessert werde, sei die ertragslose Erwerbsarbeit des Klägers nicht geeignet gewesen, den ehelichen Lebensstandard zu prägen und wirtschaftlich zu verbessern. Die (fiktiven) Einkünfte könnten auch nicht als Surrogat einer schon vor der Trennung werthaltigen Leistung des Klägers für die eheliche Lebensgemeinschaft angesehen werden. Schließlich stelle die Erzielung von Einkünften aus abhängiger Beschäftigung auch keine normale Weiterentwicklung der in der Ehe angelegten Erwerbssituation dar; diese habe sich vielmehr durch den Übergang von einer selbständigen Tätigkeit des Klägers zu einer abhängigen Beschäftigung in nicht vorhersehbarer Weise geändert. Mit Rücksicht darauf errechne sich der Unterhaltsbedarf des Klägers allein nach dem von der Beklagten erzielten durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen von (bereinigt) rund 3.745 DM. Nach Abzug eines Erwerbstätigenbonus von 20 % ergebe sich ein Unterhaltsbedarf von gerundet 1.497 DM (3.745 DM abzüglich 20 % : 2). Dieser Betrag liege unter dem dem Kläger -nach Abzug eines Berufsbonus -anzurechnenden Einkommen von 1.600 DM.

2. Die Auffassung, dass dem Kläger für den noch im Streit befindlichen Zeitraum kein Anspruch auf Trennungsunterhalt gemäß § 1361 Abs. 1 BGB zustehe, hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.

a) Nach den getroffenen Feststellungen hat der Kläger ab Mai 2000 Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 1.428 DM monatlich bezogen. Ein nach bürgerlichem Recht bestehender Unterhaltsanspruch ist deshalb nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG bis zur Höhe der geleisteten Aufwendungen auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen. Diesem Umstand hat der Kläger insofern Rechnung getragen, als er für den Zeitraum des Sozialhilfebezugs lediglich in einer hierüber hinausgehenden Höhe Unterhalt verlangt und die Auffassung vertreten hat, eine Rückübertragung des geltend gemachten Unterhaltsanspruchs sei mit Rücksicht darauf nicht erforderlich. Der Kläger ist mithin selbst davon ausgegangen, dass ihm im Umfang der Sozialhilfeleistungen kein Unterhaltsanspruch mehr zusteht. Ein den Betrag von 1.428 DM übersteigender Unterhaltsanspruch besteht indessen nicht.

b) Nach § 1361 Abs. 1 BGB kann ein Ehegatte von dem anderen den nach den Lebensverhältnissen und den Erwerbs- und Vermögensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt verlangen. Dabei kann der nicht erwerbstätige Ehegatte nur dann darauf verwiesen werden, seinen Unterhalt durch eine Erwerbstätigkeit selbst zu verdienen, wenn dies von ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen, insbesondere wegen seiner früheren Erwerbstätigkeit unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe, und nach den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Ehegatten erwartet werden kann (§ 1361 Abs. 2 BGB). Dass das Berufungsgericht nach den persönlichen Verhältnissen des Klägers, der jedenfalls von der Eröffnung des Lebensmittelgeschäfts im Jahre 1997 an bis Mai 2000 durchgehend erwerbstätig war, eine Erwerbsobliegenheit angenommen hat, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Revision erhebt hiergegen keine Einwendungen.

Sie macht allerdings geltend, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Kläger sich in ausreichender Weise um eine angemessene Erwerbstätigkeit bemüht habe. Soweit es die Auffassung vertreten habe, er habe sich auf weniger qualifizierte Arbeitsstellen bewerben müssen, bleibe unberücksichtigt, dass der Kläger in der Ehe eine Ausbildung absolviert habe, die von der Beklagten finanziert worden sei, und die dabei erworbenen Kenntnisse beruflich habe nutzen können. Deshalb habe er sich um gehobene Positionen bewerben dürfen, die seiner Ausbildung entsprochen hätten. Damit vermag die Revision nicht durchzudringen.

Zwar braucht sich ein Trennungsunterhalt beanspruchender Ehegatte ebenso wie ein geschiedener Ehegatte nur darauf verweisen zu lassen, eine den ehelichen Lebensverhältnissen entsprechende, also eheangemessene Tätigkeit aufnehmen zu müssen. Als Kriterien für die Beurteilung der Angemessenheit nennt § 1574 Abs. 2 BGB neben den ehelichen Lebensverhältnissenu.a. Ausbildung, Fähigkeiten und Lebensalter eines Ehegatten. Daraus kann indessen nicht hergeleitet werden, dass allein eine der Ausbildung des Unterhaltsberechtigten entsprechende Tätigkeit als angemessen in Betracht kommt.

Die Beurteilung, welche Erwerbstätigkeit angemessen ist, hängt vielmehr von einer Gesamtwürdigung der in Betracht zu ziehenden Umstände ab, die dem Tatrichter obliegt (vgl. Senatsurteil vom 8. Februar 1984 -IVb ZR 54/82 -FamRZ 1984, 561, 562).

Mit Rücksicht darauf hat das Berufungsgericht zu Recht die Berufsausbildung des Klägers nicht als allein maßgebend angesehen, sondern in seine Beurteilung einbezogen, dass es dem Kläger, der seine Ausbildung bereits 1994 abgeschlossen hatte, seitdem nicht gelungen war, in dem erlernten Beruf eine geregelte Beschäftigung zu finden. Er war mithin Anfang 2001 im Alter von 46 Jahren Berufsanfänger und verfügte zudem nicht über ausreichende EDV-Kenntnisse. Hinzu kommt, dass er sich nach den getroffenen Feststellungen in der deutschen Sprache mündlich nicht so auszudrücken vermag, wie es in einer herausgehobenen beruflichen Stellung erwartet wird. Soweit die Revision diese Feststellung als verfahrensfehlerhaft rügt, bleibt ihr Einwand ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat den Kläger in zwei Verhandlungsterminen persönlich angehört und war deshalb in der Lage, sich einen unmittelbaren Eindruck über seine Fähigkeiten, in der deutschen Sprache zu kommunizieren, zu verschaffen. Der dabei gewonnenen Erkenntnis steht nicht entgegen, dass der Kläger in Deutschland das Fachabitur abgelegt und eine Fachhochschule besucht hat.

Die zuvor genannten Umstände haben letztlich dazu geführt, dass der Kläger lange vor der Trennung der Parteien den Entschluss fasste, nicht entsprechend seiner Ausbildung tätig zu werden, sondern mit dem Betrieb eines Lebensmittelgeschäfts eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen, die er auch drei Jahre lang ausübte. Im Vordergrund seines Erwerbslebens standen deshalb nach der Aufgabe des Gewerbebetriebs die hierbei erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten. Dass das Berufungsgericht diesem Gesichtspunkt besondere Bedeutung beigemessen hat, ist rechtlich deshalb ebensowenig wie die Beurteilung zu beanstanden, dem Kläger sei eine vergleichbare abhängige Beschäftigung auch unter Berücksichtigung der ehelichen Lebensverhältnisse zuzumuten.

c) Gegen Zeitpunkt und Höhe des dem Kläger ab Januar 2001 fiktiv angerechneten Einkommens bestehen aus Rechtsgründen keine Bedenken. Auch die Revision erhebt insoweit keine Einwendungen.

d) Ausgehend von erzielbaren eigenen Einkünften des Klägers von monatlich 2.000 DM netto ergibt sich indessen kein Anspruch auf Trennungsunterhalt, der den Betrag der bezogenen Sozialhilfe von 1.428 DM monatlich übersteigt. Nach den getroffenen Feststellungen betrug das bereinigte monatliche Nettoeinkommen der Beklagten im Jahr 2001 3.745 DM. Nach Abzug des vom Oberlandesgericht angesetzten Erwerbstätigenbonus von 20 % verbleiben 2.996 DM. Selbst wenn das Einkommen des Klägers -entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts -nicht nach der Anrechnungsmethode, sondern nach der Additions- bzw. Differenzmethode berücksichtigt wird, errechnet sich ein Unterhaltsanspruch von (nur) 698 DM [2.996 DM + (2.000 DM -400 DM)

1.600 DM = 4.596 DM : 2 = 2.298 DM -1.600 DM].

Die vom Berufungsgericht bejahte Frage, ob fiktives Einkommen eines während der Ehe ertragslos erwerbstätigen Ehegatten nach der Anrechnungsmethode zu behandeln ist (a.A. mit beachtlichen Gründen: Büttner FamRZ 2003, 641, 643; ebenso: Kalthoener/Büttner/Niepmann Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl. Rdn. 442; Palandt/Brudermüller BGB 62. Aufl. § 1578 Rdn. 58), bedarf deshalb keiner Entscheidung.

BGH, Urteil vom 06.10.2004
XII ZR 319/01

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