OLG Thüringen: Aussetzung Sorgerechtsverfahren wegen Vorwurf sexueller Missbrauch

  1. Der Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – E. vom 11.09.2008 wird aufgehoben.
  2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
  3. Der Beschwerdewert wird auf 600,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Aus der nichtehelichen Lebensgemeinschaft der Parteien sind die minderjährigen Kinder Z., geb. am 01.02.2006, N., geb. am 22.12.2006, und J., geb. am 05.06.2008, hervorgegangen. Darüber hinaus lebte im Haushalt der Parteien noch das aus einer vorherigen Beziehung der Antragsgegnerin entstammende Kind, M., geb. am 17.01.2001.

Das Sorgerecht für die Kinder Z. und N. übten die Eltern aufgrund von Sorgeerklärungen (§ 1626a Abs. 1 Nr. 1 BGB) zunächst gemeinsam aus. Nach der Beendigung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im April 2008 streben die Parteien im vorliegenden Verfahren nunmehr wechselseitig das alleinige Sorgerecht für die beiden Kinder Z. und N. an.

Mit Beschluss vom 16.07.2008 übertrug das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die beiden Kinder auf den Antragsteller. Hiergegen wandte sich die Antragsgegnerin mit ihrem Abänderungsantrag (§ 620b Abs. 2 ZPO), den sie unter anderem mit den Verdacht des sexuellen Missbrauches von M. begründete. Gleichzeitig erstattete sie Strafanzeige gegen den Antragsteller. Der Antragsteller ist dem Vorwurf energisch entgegentreten und meint, dass die Aussage von M. fremdsuggestiv beeinflusst sei.

Nach persönlicher Anhörung der Eltern, des Jugendamtes sowie der Vernehmung der Zeugen G. und S. hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 01.09.2008 in Abänderung der bestehenden Regelung vom 16.07.2008 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder Z. und N. im Wege der einstweiligen Anordnung nunmehr auf die Antragsgegnerin übertragen und hat mit weiterem Beschluss vom 11.09.2008 das Sorgerechtsverfahren wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs nach § 149 ZPO ausgesetzt.

Gegen die Aussetzung des Verfahrens wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Er ist der Auffassung, dass die Aussetzung gegen den Amtsermittlungs- sowie gegen den Beschleunigungsgrundsatz verstoße. So sei insbesondere nicht ersichtlich, weshalb das Gericht von der Einholung eines entsprechenden Glaubwürdigkeitsgutachtens keinen Gebrauch mache.

Die Antragsgegnerin sowie die Verfahrenspflegerin verteidigen die angefochtene Entscheidung.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist als einfache Beschwerde gegen eine Zwischenentscheidung des Amtsgerichts in einer selbständigen Familiensache nach § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gemäß §§ 621a Abs. 1 ZPO, 19 FGG zulässig (vgl. OLGR Köln 2001, 275; BayObLG, FamRZ 2004, 1323).

Sie ist auch begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses.

Eine Aussetzung von Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit sieht das Gesetz nur in bestimmten Fällen ausdrücklich vor; in Sorgerechtsverfahren unter den Voraussetzungen des § 52 Abs. 2 FGG, die offensichtlich nicht gegeben sind. Danach soll das Gericht – so weit dies nicht zu einer für das Kindeswohl nachteiligen Verzögerung führt – das Verfahren aussetzen, wenn die Beteiligten bereit sind, außergerichtliche Beratung in Anspruch zu nehmen, oder nach freier Überzeugung des Gerichts Aussicht auf ein Einvernehmen der Beteiligten besteht.

Gleichwohl ist die Aussetzung nach einhelliger Meinung in Literatur und Rechtsprechung nicht auf die normierten Fälle beschränkt, sondern – beispielsweise nach dem Rechtsgedanken zivilprozessualer Vorschriften wegen gleicher Interessenlage, bei Vorgreiflichkeit eines anderen anhängigen Verfahrens (§ 148 ZPO) grundsätzlich zulässig (vgl. OLG Köln, FamRZ 2002, 1124; Jansen, FGG, 3. Aufl., Vorbm. §§ 8-18 Rdn. 39 ff m.w.N.; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl., § 12 Rdn. 98). Voraussetzung hierfür ist jedoch die Abhängigkeit der Entscheidung von jener, die in einem anderen Rechtsstreit oder einem Verwaltungsverfahren zu treffen ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn im anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis entschieden wird, dessen Bestehen für den vorliegenden Rechtsstreit präjudizielle Bedeutung hat (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 148 Rdn. 5).

Allerdings ist vorliegend schon nicht erkennbar, inwieweit der Ausgang bzw. das Ergebnis des Strafverfahrens gegen den Antragsteller für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens bindend und damit “vorgreiflich” wäre. Denn an Feststellungen in einem Strafurteil ist das Gericht nicht gebunden. Es ist vielmehr befugt, den Sachverhalt selbständig aufzuklären, und nicht gehindert, die Tatsachen, die der Strafrichter als nicht erwiesen erachtet hat, gleichwohl als wahr festzustellen oder umgekehrt (vgl. Jansen, a.a.O., § 12 Rdn. 34). Gerade im Hinblick auf die nachlassende Erinnerung der Zeugen und sonstigen Beteiligten ist die Aussetzung in der Regel untunlich, weil dadurch die spätere Feststellung des wahren Geschehensablaufs erschwert wird (OLGR Koblenz 2006, 106) und von daher auch eine Aussetzung unter dem Gesichtspunkt des § 149 ZPO eher selten in Betracht zu ziehen sein wird. Dies im vorliegenden Fall um so mehr, als es sich hierbei um ein Amtsermittlungsverfahren handelt. Nach § 12 FGG hat das Gericht von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen zu veranstalten und die geeignet erscheinenden Beweise aufzunehmen. Es ist dabei weder an Beweisanträge der Beteiligten gebunden noch verpflichtet, alle Beweisanträge zu berücksichtigen, doch es muss von Amts wegen die entscheidungserheblichen Umstände aufklären, soweit das Vorbringen der Beteiligten oder der Sachverhalt dazu Anlass bietet (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ 2006, 1857). Eine solche im Amtsverfahren vorzunehmende beschleunigte Aufklärung des Sachverhalts hat gerade angesichts der Schwere des erhobenen Vorwurfs sowie der sich daraus ergebenden Konsequenzen – allein für den Umgang des Antragstellers mit seinen Kindern – zu erfolgen. Diese verfassungsrechtliche Dimension von Art. 6 Abs. 2 GG beeinflusst auch das Prozessrecht und seine Handhabung im Sorgerechtsverfahren (vgl. BVerfGE 55, 171, 182). Das gerichtliche Verfahren muss in seiner Ausgestaltung dem Gebot effektiven Grundrechtsschutzes entsprechen, damit nicht die Gefahr einer Entwertung materieller Grundrechtspositionen entsteht (BVerfG  FamRZ 2002, 1021). Dem wird die Aussetzung des vorliegenden Verfahrens nicht gerecht.

Zwar wird eine Aussetzung auch dann für statthaft gehalten, wenn sie notwendig und sachdienlich ist, um eine Klärung des Sachverhalts herbeizuführen (vgl. Jansen, a.a.O., § 12 Rdn. 99). Soweit das Amtsgericht hier die Auffassung vertritt, dass die Strafverfolgungsbehören über bessere Erkenntnismöglichkeiten verfügen würden, kann sich der Senat dem nicht anschließen. Denn in Sorgerechtsverfahren stehen dem Familiengericht nicht minder ausreichende Aufklärungsalternativen zur Verfügung, die das Amtsgericht noch nicht ansatzweise ausgeschöpft hat. Dass es gegebenenfalls zu einer mehrfachen Begutachtung und Anhörung führen kann, ist bei keinem gerichtlichen Verfahren auszuschießen, sei es durch die Einholung eines Obergutachtens oder der Bestreitung des Instanzenweges. Darüber hinaus sind die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehören sowie des Familiengerichts  unterschiedlich ausgerichtet. Während im Strafverfahren allein die Straftat im Vordergrund steht, haben sich die Ermittlungen des Familiengerichts daneben aber auch ganz entscheidend auf die Frage des Kindeswohls zu orientieren (§ 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB). So ist allein der Ausgang des Strafverfahrens nicht geeignet, begründete Rückschlüsse über die zu treffende Sorgerechtsregelung aufzuzeigen. Denn auch ein Freispruch des Antragstellers respektive eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens beantwortet noch nicht Frage, welche Regelung dem Kindeswohl am ehesten gerecht wird. Von daher ist die Aussetzung schon nicht geeignet, eine weitere Begutachtung zu vermeiden.

Die Aussetzung des Verfahrens widerspricht im vorliegenden Fall damit nicht nur dem Interesse der Beteiligten an dem Fortgang und Abschluss des Verfahrens, sondern in aller Regel auch dem Kindeswohl, weil dadurch keine klaren, sicheren Verhältnisse geschaffen werden. Deshalb hält es der Senat nicht für sachgerecht, die Sache vorerst auf sich beruhen zu lassen, um später weitere Ermittlungen anzustellen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 131 Abs. 3 KostO, 13a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Der Geschäftswert für das Verfahren entspricht dem Interesse des Antragstellers an einer Aufhebung der Aussetzungsentscheidung, welches der Senat auf 20 % des Hauptsachestreitwertes schätzt (§§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO; BayObLG, FamRZ 2004, 1323).

OLG Thüringen, Beschluss vom 15.12.2008
1 WF 488/08

AG E., Beschluss vom 11.09.2008
35 F 614/08

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