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Eine lesenswerte Reportage zum Fall Görgülü...

 
(@brille007)
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...findet sich in der heutigen Online-Ausgabe des Spiegel. Link: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,391862,00.html

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Kind im Kreidekreis

Von Markus Verbeet

Seit sechs Jahren streiten zwei Männer um einen Jungen: Der eine hat ihn gezeugt, der andere hat ihn aufgezogen. Die Bundesrepublik wurde in dem Fall schon verurteilt, Gerichte und Gutachter stritten sich. Aber noch immer ist unklar, zu wem der Junge gehört.

Es geht um ein Kind. Man kann das leicht vergessen in dieser Geschichte, denn es tauchen darin so viele Erwachsene auf. Aber es geht um ein Kind.

Das Kind ist Christofer zu nennen oder auch nicht, das lässt sich nicht so einfach sagen, seit die Erwachsenen darum streiten. Das Kind soll hier leben oder dort, auch dies lässt sich nicht sicher sagen, denn auch darum streiten die Erwachsenen.

Unbestritten ist, immerhin, die Geburt des Kindes: männlichen Geschlechts, am 25. August 1999, in Leipzig. So besiegelt vom Standesamt der Stadt, Abstammungsurkunde Nummer 2437/1999, ausgestellt im fünften Monat nach der Geburt.

Als der Streit gerade begonnen hatte, aber noch zügig zu enden schien. Als das Bundesverfassungsgericht noch nicht befasst war und nicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Nicht die deutsche Regierung und nicht diverse Staatsanwälte. Als noch nicht 3 Gutachten erstellt waren, 5 Strafanzeigen erstattet, 34 Gerichtsentscheidungen gefällt.

Mehr als sechs Jahre sind seit diesem 25. August 1999 vergangen. Noch immer kämpfen alle um den Jungen; alle außer der Mutter. Sie hat ihren Sohn gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben und will jetzt, "dass endlich einmal Ruhe ist".

Doch es ist nicht Ruhe. Es streiten Richter, Rechtsanwälte und Staatsanwälte. Es streiten Psychologen und Politiker. Vor allem aber streiten, gemeinsam mit ihren Ehefrauen, zwei Männer. Zwei Männer, die dieses Kind lieben: Der eine hat es gezeugt, der andere hat es aufgezogen, und jetzt wollen beide dieses eine Kind.

Es ist ein klassischer Konflikt, ein Kind im kaukasischen Kreidekreis - doch wie ihn heute, in einem Rechtsstaat, lösen? Gehört das Kind zu dem Mann, der sein Vater ist? Oder zu dem Mann, den es seinen Vater nennt? Und müsste nicht, so oder so, längst eine Entscheidung gefällt sein?

Der Vater

Manchmal geht Kazim Görgülü in das Zimmer, das er für seinen Sohn eingerichtet hat. Er geht dann die Treppe hinauf, in den ersten Stock seines kleinen Hauses bei Leipzig, und schaut sich um.

In einer Kiste liegen Lego-Steine und Plastik-Schlümpfe für Christofer, im Regal stehen "Das große Buch der Dinosaurier" und "50 Gute-Nacht-Geschichten". Auf dem Bett sieht der Vater die Decke mit den Mäusen und den Elefanten, unter die sich Christofer kuscheln könnte. Vor dem Bett parkt das Feuerwehrauto, das Christofer über den Boden rasen lassen könnte.

Nichts fehlt in diesem Kinderzimmer. Nur das Kind.

"Vor sechs Jahren haben wir das Zimmer eingerichtet", sagt der Vater. Alles sollte vorbereitet sein, wenn Christofer hierher kommt. Doch Christofer ist nicht gekommen. Der Vater greift sich das Feuerwehrauto. "Das wollte ich ihm zu Weihnachten schenken", sagt er. Aber Weihnachten durfte er seinen Sohn nicht sehen. Der Vater blickt auf den Polizeihubschrauber. "Das war für Ostern", aber auch Ostern durfte er seinen Sohn nicht sehen. Dann geht Görgülü schnell zurück ins Wohnzimmer. Dort im Schrank sind die sechs Jahre Kampf um sein Kind dokumentiert. 13 Aktenordner.

Es ist schwierig, diese vielen Verfahren zu verstehen, und vielleicht ist es am schwierigsten für den Vater selbst. Er stammt aus Kusburun-Kuyü, einem kleinen Dorf im Osten der Türkei. Sein Urgroßvater hat das Dorf gegründet, erzählt er, noch heute leben dort nur Görgülüs, sie züchten Schafe und Ziegen. Aber jetzt muss er, der keinen Schulabschluss hat und als Verputzer arbeitet, plötzlich die deutsche Juristerei begreifen. Seine jetzige Ehefrau, eine Deutsche, die er nach der Geburt seines Kindes geheiratet hat, hilft ihm. "Aber manchmal kann ich nichts begreifen", sagt der 36-Jährige.

Das Drama beginnt, als er bereits mehrere Jahre in Deutschland lebt. 1994 kam er hierher und begehrte Asyl, rund drei Jahre später lernt er eine deutsche Frau kennen. Das Paar will heiraten, die Frau wird schwanger, aber dann sagt die Frau alles ab. Monate später erfährt Görgülü, dass seine Ex-Partnerin das Kind geboren hat. Es lebt bereits bei einer Pflegefamilie.

Kazim Görgülü beginnt, um sein Kind zu kämpfen. Er geht zum Jugendamt, doch die Mitarbeiter weisen ihn ab. Die Mutter wolle eben nicht, dass das Kind zu ihm komme, erklären sie. Und wer wisse denn, dass er überhaupt der Vater sei? Görgülü zieht vor Gericht, um die Vaterschaft feststellen zu lassen. Er gewinnt das Verfahren, aber er verliert Zeit.

Sein Sohn ist jetzt fast ein Jahr alt. "Das Kind hatte enge liebevolle Bindungen zu seinen Pflegeeltern aufgebaut", heißt es in einer Stellungnahme des Landkreises, dessen Jugendamt für Christofer zuständig ist. "Eine Trennung zu Gunsten des biologischen Vaters war dem Kind aus der Sicht des Kindeswohles nicht zuzumuten." Christofer bleibt bei den Pflegeeltern.

Die Verfahren stehen erst am Anfang, noch ist der erste Aktenordner nicht gefüllt, aber spätestens jetzt weiß Kazim Görgülü: Die Zeit arbeitet gegen ihn.

Görgülü zieht weiter vor Gericht, zunächst mit Erfolg. Das Amtsgericht ordnet an, dass er seinen Sohn sehen darf. Mehrfach trifft er die Pflegefamilie, das Amtsgericht überträgt Görgülü schließlich sogar das Sorgerecht. Doch das Jugendamt ruft das Oberlandesgericht Naumburg an. Das Amt bringt vor, was angeblich gegen den Vater vorzubringen ist. Er sei, unter anderem, "im hiesigen Sprach- und Kulturkreis nicht heimisch" und sogar "praktizierender Moslem". Die Richter des 14. Zivilsenats urteilen, wie sie noch häufiger urteilen werden: gegen den Vater. Görgülü darf sein Kind nicht mehr sehen.

Als seine Verfassungsbeschwerde nicht angenommen wird, zieht Görgülüs Anwältin vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Die sieben Richter, darunter ein Deutscher, entscheiden im Fall "Görgülü versus Germany": Deutschland hat den Vater in seinem Menschenrecht auf Achtung des Familienlebens verletzt, eine neue Regelung ist zu treffen. Görgülü gewinnt, Germany verliert.

Sein Sohn ist jetzt viereinhalb. Der Vater freut sich, ihn endlich wieder zu sehen. Aber er freut sich zu früh.

Denn das Oberlandesgericht Naumburg stellt sich stur. Ein Umgangsrecht für den Vater? Kommt nicht in Frage, urteilen die Richter des 14. Zivilsenats unbeirrt. Selbst nachdem das Bundesverfassungsgericht die Richter noch einmal belehrt hat, ändert sich nichts.

Eine Entscheidung pro Görgülü melden die Naumburger Richter umgehend nach Karlsruhe, nur um am selben Tag noch eine Entscheidung gegen Görgülü zu treffen - diesen zweiten Beschluss aber behalten sie erst einmal für sich. Die Verfassungsrichter fühlen sich ausgetrickst. Ihnen "drängt sich der Verdacht auf, dass der 14. Zivilsenat diesen Beschluss einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung entziehen wollte". Was nicht gelingt.

Görgülü legt die Entscheidung in Karlsruhe vor, das Bundesverfassungsgericht wird sie später in der Luft zerreißen. Das Oberlandesgericht habe "das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht nur nicht beachtet, sondern dessen Vorgaben in ihr Gegenteil verkehrt". Und: Das Gericht habe "außerhalb seiner Zuständigkeit unter Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht" gehandelt. Einen härteren Vorwurf kann man Richtern kaum machen. Die Staatsanwaltschaft Halle ermittelt gegen vier Richter wegen Rechtsbeugung.

In einem Eilbeschluss bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass Görgülü seinen Sohn für zwei Stunden pro Woche sehen darf. Samstags, 15 bis 17 Uhr. Auf dem Papier hat Görgülü gewonnen. Aber er hat ein weiteres Jahr verloren. Und die Probleme in der Praxis beginnen erst. Denn ein Recht auf Umgang ist oft wenig wert - und manchmal gar nichts.

Als Görgülü seinen Sohn im Januar zum ersten Mal wiedersehen will, legt das Jugendamt das Attest einer Ärztin vor, Christofer sei "fieberhaft erkrankt". Als der Vater ihn eine Woche später sehen will, beruft sich das Amt auf ein Gutachten. Eine "erhebliche Traumatisierung" befürchten zwei Sachverständige, wenn Christofer von der Pflegefamilie getrennt würde; der Besuch wird wiederum unterbunden.

Der Vater glaubt längst, dass das Jugendamt, dem das Sorgerecht für seinen Sohn übertragen worden ist, gemeinsame Sache macht mit den Pflegeeltern. Über Jahre haben die Pflegeeltern und der Amtsvormund dieselbe Anwältin. Die vermag aber keinen Interessenkonflikt zu erkennen.

Auch der verantwortliche Landrat weist alle Vorwürfe von sich - auch wenn sich die Aufsichtsbehörde gezwungen sehen wird, dem Landkreis den Fall zu entziehen, da der Umgang immer wieder verhindert werde. Die Aufsichtsbehörde konstatiert "eklatante Gesetzesverstöße".

Görgülü kann nicht fassen, wie sich alle gegen ihn zu verbünden scheinen, und dann muss er noch diesen Artikel in einer Lokalzeitung lesen: "Die wundersame Karriere des Kazim Görgülü". Der Verfasser behauptet, dass "der Türke", der jetzt "den treusorgenden Vater gibt", damals nur ein Bleiberecht begehrte, als er Christofers Mutter kennen lernte. "Eine deutsche Frau muss her", darum sei es dem "abgelehnten Asylanten" gegangen.

Er will nun endlich Christofer sehen, nachdem keine Ärztin mehr eine Erkrankung bescheinigt und das Bundesverfassungsgericht das Gutachten über die "erhebliche Traumatisierung" für irrelevant gehalten hat. Doch die nächsten Samstage sind bedrückend, zweimal nur kann er mit seinem Sohn spielen. Dann geht immer etwas schief. "Die Pflegeeltern halten Christofer fest", sagt er. "Oder die Frau vom Jugendamt fragt so oft, ob er mitkommen will, bis er nein sagt." Die Pflegeeltern und das Amt bestreiten dies.

Seit August immerhin verlaufen die Samstage besser. Meistens kann Görgülü seinen Sohn sehen, kann in den Zirkus gehen oder auf den Fußballplatz. Aber immer nur samstags, immer nur kurz; zuletzt alle zwei Wochen für vier Stunden.

Görgülü hätte Christofer so gern ganz bei sich, im nächsten Sommer oder spätestens im Sommer drauf. Nach sechs Jahren Kampf sitzt er ratlos vor den Aktenordnern und sagt: "Ich kann das alles nicht mehr verstehen." Er will nicht aufgeben, aber er sieht müde aus.

Während der Woche bleiben ihm nur die Fotos, die er auf den Wohnzimmertisch legt. Sie zeigen einen der größten Erfolge, den Görgülü in sechs Jahren errungen hat. Sie zeigen einen Fußballplatz am Samstag, dem 28. Mai 2005. Als er mit Christofer spielen durfte. Vater und Sohn sind auf diesen Fußballplatz gegangen, unter amtlicher Aufsicht, und haben aufs Tor geschossen.

In einem Protokoll wird später zu lesen sein: "Für die Beobachter stellt sich das Spiel als ein unbefangenes Fußballspiel dar, wie es zwischen einem Erwachsenen und einem 6-jährigen Jungen üblich ist."

Der Pflegevater

Der Anruf, der Heiko Bauer seinen zweiten Sohn beschert, kommt an einem Donnerstag. Schon lange will er ein zweites Kind adoptieren, aber bislang hat es nicht geklappt. "Der Anruf kam relativ überraschend", sagt Bauer. "Das Jugendamt wollte wissen, ob wir auch kurzfristig ein Kind aufnehmen könnten." Das gewünschte zweite Kind für ihre Familie. Ein kleiner Bruder für ihren ersten Adoptivsohn.

Am Freitagmorgen fahren Heiko Bauer und seine Frau zum Krankenhaus in Leipzig. Eine Mitarbeiterin des Jugendamts zeigt der Familie den Jungen. Die Mutter ist schon weg, aber das Baby liegt in seinem Bettchen. Am Sonntag holen sie das Kind heim.

Das Haus der Bauers liegt in einer ruhigen Straße einer kleinen ostdeutschen Stadt. Man kennt die Nachbarn, die Nachbarn grüßen freundlich, hinter dem Haus stehen ein Klettergerüst und eine Schaukel. Am Tisch sitzt die Familie, es gibt Kaffee für die Erwachsenen und Kekse für alle.

"Ich habe mich damals wahnsinnig gefreut", sagt Bauer. Der 43-Jährige lächelt, dann schaut er prüfend. Noch nie hat er mit einem Journalisten gesprochen, er will nicht neuen Streitstoff liefern. Aber einmal seine Sicht schildern, das will er schon - wenn Görgülü sogar auf Mahnwachen redet und sich von der Presse in einem leeren Kinderzimmer fotografieren lässt.

Für Bauer und seine Frau sieht alles so einfach aus, im August vor sechs Jahren. Sie wissen nichts von einem Vater, der Interesse an dem Kind hat. Sie beschließen, dem Jungen einen anderen Namen zu geben, wie es auch andere Eltern machen, die ein Kind adoptieren wollen. "In den Unterlagen im Krankenhaus war nicht klar zu erkennen, wie er heißt, da stand Christian und Christofer, und das auch noch in verschiedenen Schreibweisen", sagt Bauer.

Noch weiß er nicht, dass die Namensgebung einmal zu einer Strafanzeige führen wird; noch denkt Görgülü nicht daran, Anzeige zu erstatten.

Als Bauer erfährt, dass es Kazim Görgülü gibt, lernt er ihn kennen. Mehrfach treffen sich die beiden Männer, gemeinsam mit ihren Frauen und dem Kind. Das Amtsgericht hat eine Sozialpädagogin als Verfahrenspflegerin eingesetzt, die diese Treffen arrangiert. Görgülü bringt türkischen Tee mit, Bauer hat Babyfotos dabei. Man kommt sich näher, man duzt sich.

Es gibt ein Video vom ersten Treffen. Es zeigt einen aufgeweckten Einjährigen, der über den Boden tapst und Bauklötze stapelt. Links von ihm steht Kazim Görgülü, er hält sich schüchtern vor der Wand, rechts kniet Heiko Bauer. Bauer nimmt ein Plastikflugzeug und schubst es in die Richtung des fremden Mannes. Damit das Kind zu seinem Vater krabbelt.

Mehrere weitere Begegnungen finden statt, einmal schlendern alle gemeinsam über den Weihnachtsmarkt, aber die Stimmung wird schlechter. Heiko Bauer ist es leid, dass er den Jungen, der ihn seinen Papa nennt, nicht nur immer häufiger aus der Hand geben soll - sondern schließlich für immer. "Bei einem Treffen ist Herr Görgülü einfach eingeschlafen", sagt Bauer. "Und seine Frau hat gesagt: Wir wollen den Jungen in unserer Familie, egal, ob es dem Kind gut tut oder nicht." Beides bestreitet das Ehepaar Görgülü vehement.

Aktenkundig ist: Das Oberlandesgericht Naumburg will keine weiteren Treffen. Es setzt den Umgang für ein Jahr aus und verwehrt Görgülü das Sorgerecht. Die Richter stützen sich auf ein Gutachten des Landesjugendamts und verweisen auf die "enge Eltern-Kind-Bindung" zwischen Christofer und den Pflegeeltern. Das Verfassungsgericht sieht zu diesem Zeitpunkt keinen Grund, sich mit der Sache zu befassen.

Natürlich kann man die Gerichtsentscheidung kritisieren; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte wird dies fast drei Jahre später tun. Aber kann man Bauer kritisieren, dass er so lange einer rechtskräftigen Entscheidung folgt? Er freut sich einfach, dass Ruhe einkehrt. Seine Frau beendet den Erziehungsurlaub, die Lehrerin arbeitet jetzt als Steuerfachgehilfin. "Da bin ich flexibler und kann besser für die Kinder da sein", sagt sie.

Das Urteil des Menschenrechtsgerichtshofs trifft die Familie überraschend. Nur ein Bruchteil der Beschwerden, die in Straßburg eingehen, hat Erfolg. "Das Jugendamt und wir sind in dem Verfahren überhaupt nicht angehört worden", sagt Bauer. Die Richter in Straßburg verurteilen die Bundesrepublik, sie kritisieren das Oberlandesgericht und das Jugendamt - aber sie treffen vor allem Bauer und seine Frau.

Nachdem sich die Gerichte noch einige Scharmützel geliefert haben, hat Bauer nun am Samstag bereitzustehen. "Da ist an ein normales Familienleben nicht mehr zu denken", sagt er. Jeder Urlaub sei rechtzeitig anzumelden, sonst gebe es Ärger. "Einmal hatten wir die Koffer schon gepackt", sagt Bauer - da habe Herr Görgülü beim Landesverwaltungsamt den Urlaub noch unterbinden wollen.

Aus Kazim ist längst wieder Herr Görgülü geworden, aus einem vernünftigen Miteinander ein nervenaufreibender Kampf ums Kind. Der beginnt mit den Begriffen: Bauer bezeichnet sich als Adoptivpflegevater, da er mit seiner Frau die Adoption anstrebt. Görgülü aber bezeichnet ihn als Pflegevater, wie ihn Kinder haben, die nur vorübergehend von ihren Eltern getrennt werden. "Manchmal wird auch behauptet, wir wollten uns nur bereichern", sagt er. "Das ist völliger Quatsch." Ihm und seiner Frau gehe es allein um Christofers Wohl. Sie kassierten Kindergeld, sonst nichts.

Doch Bauer bekommt es mit vielen Vorwürfen und Verdächtigungen zu tun. Der Verein "Väteraufbruch für Kinder" ruft zu Spenden auf, "Sonderkonto Görgülü", und zu Mahnwachen. Anfang Dezember wurden in Halle, dem Sitz des Landesjugendamts, wieder Schilder in die Höhe gehalten: "Keine Zwangsadoption von Christofer durch die Pflegeeltern!" und "Stoppt die Kinderhändler in Gerichten aller Instanzen und in den Jugendämtern!"

Bauer sagt: "Wenn wir wirklich den Umgang vereiteln würden, dann hätte es doch auch am 28. Mai nicht geklappt. Es war der Tag, als Christofer mit seinem Vater aufs Tor schoss. Abends war Christofer "völlig erschöpft", berichtet Bauer. Am nächsten Morgen soll er gesagt haben: "Ich will nicht mehr mit Kazim spielen."

Das Kind

An den guten Tagen darf Christofer einfach nur Kind sein. Er kann sich, wenn gerade keiner guckt, schnell so viele Erdbeer-Bonbons in den Mund stecken, dass er kaum noch kauen kann. Und beim Kaffeetrinken kann er ein bisschen auf dem Stuhl zappeln; bis er ans Tischbein stößt und der Kaffee aus den Tassen schwappt und die Eltern ziemlich böse blicken.

Das Leben könnte sehr einfach sein, wenn man gerade sechs geworden ist.

Im Leben dieses Kindes aber ist nichts mehr einfach. Im Februar steht der nächste Gerichtstermin an, vorher soll Christofer wieder einmal begutachtet werden, von einer Psychologin des Landeskriminalamts. Dann will das Oberlandesgericht, diesmal der 8. Zivilsenat, entscheiden, was nun mit dem Umgang ist, und vielleicht auch bestimmen, wer das Sorgerecht hat. Doch der Streit könnte weitergehen.

Kein Richter Azdak, wie ihn Brecht in seinem "Kaukasischen Kreidekreis" auftreten lässt, kann ihn einfach beenden. Das deutsche Rechtssystem, das eigentlich dem einfachen Prinzip "Ober sticht Unter" folgt, wirkt wie eine Endlosschleife. Bisher sind so viele einstweilige Anordnungen und so wenige endgültige Entscheidungen getroffen worden. Der Rechtsweg scheint nie erschöpft, aber Heiko Bauer wirkt erschöpft und Kazim Görgülü auch.

Heiko Bauer sagt: "Wir haben Verständnis für die Interessen des leiblichen Vaters. Es ist schade, dass er nicht zum richtigen Zeitpunkt da war. Aber jetzt geht es nur darum, was besser ist für das Kind, und in unserer Familie ist es fest integriert."

Kazim Görgülü sagt: "Ich hab nichts gegen die Pflegeeltern. Aber ich will meinen Sohn, man kann ihn mir doch nicht wegnehmen. Das ist doch nicht gut für Christofer."

Das Kind sagt noch nicht viel. Eines Tages aber wird Christofer sein eigenes Urteil fällen, was richtig war und was falsch. Er wird dazu in seinem Leben lesen können, in mindestens 3 Gutachten, 5 Strafanzeigen, 36 Gerichtsentscheidungen.

When a mosquito lands on your testicles you realize that there is always a way to solve problems without using violence.

Zitat
Themenstarter Geschrieben : 29.12.2005 17:39
(@strike)

das macht mich sprachlos....

AntwortZitat
Geschrieben : 29.12.2005 19:44
 AJA
(@aja)
Registriert

Was für eine verfahrene Geschichte...

Wieder mal ein Fall, bei dem ich nicht Richter sein möchte ;(

Sechs Jahre, in denen ein Kind an eine Familie "gewöhnt" wurde. Was passiert, wenn es dieser Familie entrissen wird?

Sechs Jahre, während derer ein Kind seinen Vater nur sehr sporadisch gesehen hat. Weiss es überhaupt, dass dieser Mann sein Vater ist?

Er wird nachfragen, irgendwann. Aber rechtfertigt das jetzt, ein Kind aus einer intakten Familie zu reissen (ich gehe mal davon aus, dass diese intakt ist)?

Genau SOWAS ist jedenfalls der Grund, warum ich davon abgesehen habe ein Pflegekind aufzunehmen. Es würde mir das Herz zerreissen, das Kind wieder abgeben zu müssen ;(

Gruß AJA

AntwortZitat
Geschrieben : 30.12.2005 00:34
(@eskima)
(Fast) Eigentumsrecht Registriert

Heiko Bauer sagt: "Wir haben Verständnis für die Interessen des leiblichen Vaters. Es ist schade, dass er nicht zum richtigen Zeitpunkt da war. Aber jetzt geht es nur darum, was besser ist für das Kind, und in unserer Familie ist es fest integriert."

Ich frag mich nur, wie ein nichtehelicher Vater zum "richtigen" Zeitpunkt da sein soll. Die Mutter war schon weg, das Kind war noch im Krankenhaus, der Vater war nicht informiert, die Pflegeeltern waren informiert.

Das ist Zynismus.

Gruß

eskima

Urteile nie über einen Menschen, bevor du nicht sieben Meilen in seinen Schuhen gegangen bist - Indianische Lebensweisheit

AntwortZitat
Geschrieben : 30.12.2005 01:08
(@mutti35)
Schon was gesagt Registriert

Dieser Fall beschäftigt mich schon einige Jahre, Herr Bauer vertritt eine Meinung die nur seine Vorteile betrifft " Wir wollen ein zweites Kind addoptieren"  aber die Familie hat das Kind lediglich als Pflegekind bekommen und das war der Anfang dieser Odysee 😡 ! Und unser Staat beginnt mit seiner Willkür! Das schlimmste an diesem Fall ist für mich, das Herr Bauer Lehrer ist - der Mann der lehrt Menschenrechte zu achten - dieser Mann wiedersetzt sich mit einem Grinsen im Gesicht dem Urteil der Menschenrechtsorganisation! Der Leidtragende in diesem Fall ist das Kind, welches der Sturrheit seiner "Pflege" Eltern ausgesetzt ist! Hoffe das irgendwann auch dieses Kind unbeschwert Kind sein kann!!

AntwortZitat
Geschrieben : 07.05.2007 22:57
(@brille007)
(Fast) Eigentumsrecht Registriert

Hier gibt es eine neue und offensichtlich erfreuliche Wende:

Junge soll nun doch beim Vater leben

Der Fall Görgülü ist einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte: Seit sieben Jahren kämpfen Vater und Pflegevater um ein Kind. Nun hat der Rechtsstreit eine spektakuläre Wendung genommen. Der Amtsvormund hat entschieden, dass der Junge bei seinem leiblichen Vater leben soll.

Volltext >>>HIER<<<

Vielleicht bekommt dadurch in künftigen Rechtsstreitigkeiten auch der Inhalt des letzten Absatzes ein neues Gewicht:

Mehrfach beschäftigte der Fall das Bundesverfassungsgericht. Im Jahr 2004 hatte sogar der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass die Verweigerung von Umgangs- und Sorgerecht die Rechte des leiblichen Vaters verletzt.

Grüssles
Martin

When a mosquito lands on your testicles you realize that there is always a way to solve problems without using violence.

AntwortZitat
Themenstarter Geschrieben : 22.08.2007 16:51
 Xe
(@_xe_)
Registriert

Moin,

ioch habe über den Fall mittlerweile dermaßen viel gelesen, dass ich sagen muß:

Diese Vorgänge sind eine Schande für den deutschen Rechtsstaat und zeigen, dass Bürokratie mittlerweile wichtiger ist als die Menschen. Eine Erfahrung, die mittlerweile wohl leider schon jeder machen mußte.

Gruß, Xe

AntwortZitat
Geschrieben : 22.08.2007 18:09
 AJA
(@aja)
Registriert

Bin mal gespannt, ob über den Fall weiter berichtet wird, wenn das Kind tatsächlich beim Vater lebt. Wie es ihm damit geht, wie es der Pflegefamilie einschließlich "Bruder" geht ...

Geht mir grad so durch den Kopf

Gruß AJA

AntwortZitat
Geschrieben : 22.08.2007 18:11
DeepThought
(@deepthought)
(Fast) Eigentumsrecht Moderator

...und es war alles nur ein Scherz?

Erneuter Umgangsboykott durch die Pflegeeltern. Nach den gemeinsamen Ferien mit seinen Pflegeeltern gelang es dem stellvertretenden Vormund nicht, mit Christofer ohne Beisein der Pflegeeltern zu sprechen. Die Pflegeeltern lehnen eine Motivation von Christofer für den Umgang mit seinen Vater ab. Der Amtsvormund Frau Strohmeyer konnte am 01.09.2007 nicht persönlich sein Mündel besuchen, da sie erkrankt ist.

Das Landesverwaltungsamt von Sachsen-Anhalt hat in dieser Woche die Umgangsregelung der Beauftragten des Amtsvormundes, Frau Strohmeyer, vom Freitag, 17.08.07 mit dem Ziel einer Familienzusammenführung, gesetzeswidrig wieder aufgehoben. In diesem Schreiben vom Montag, 27.08.07 heißt es, da Kazim nicht Inhaber des Sorgerechtes für seinen Sohn ist, „kommt eine Ausweitung der Umgänge mit dem ausdrücklichen Ziel, das Zusammenziehen von Herrn Görgülü und Christofer zu bewerkstelligen, nicht in Betracht“. Dieser Brief wurde zwei Tage später, nämlich am 29.08.07, per Fax vom Beauftragten der Kommunalaufsicht, Herrn Gramatke, an Kazim versandt.

Da Frau Strohmeyer, die Beauftragte des Amtsvormundes, einen Tag nach der von ihr festgelegten Umgangsregelung mit dem Ziel der Familienzusammenführung vom Freitag, 17.08.07, erkrankte und das jetzige Schreiben (also die Aufhebung dieser Anordnung) unter ihrem Namen läuft, aber eine uns völlig uns unbekannte Unterschrift enthält, kann sie diese Rücknahme nicht angeordnet haben. Daher nimmt Kazim an, dass der Präsident des Landesverwaltungsamtes, Herr Leimbach die Aufhebung der Umgangsregelung mit dem Ziel einer Familienzusammenführung persönlich angeordnet hat.

Es wird in dem Schreiben der Eindruck vermittelt, dass der Vormund persönlich Kazim anschreibt, was aber nicht sein kann, da der Vormund ja krank ist.

Für Kazim wird deutlich, dass eine Familienzusammenführung mit seinem Sohn in Deutschland nie unterstützt werden wird. Das Hilfeplangespräch am 06.07.07 mit dem Vormund Frau Strohmeyer und Mitarbeiterinnen des Jugendamtes Wittenberg, in dem das Ziel „Familienzusammenführung“ und Ausweitung der Umgangsregelung festgelegt wurde, hatte offensichtlich nur das Ziel, Kazim hinzuhalten und dem Europäischen Ministerkomitee vorzugaukeln, dass Deutschland seine Verpflichtung, eine Familienzusammenführung herbeizuführen, erfüllt.

Kazim hat sich mit einer neuen Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt und erneut zum dritten Mal die Übertragung des Sorgerechtes für seinen Sohn beim Amtsgericht Wittenberg beantragt.

Kazim hat Christofer durch den stellvertretenden Vormund ausrichten lassen, dass er ihm nicht böse ist, wenn er nicht zum Umgang kommen darf und er sich auf das nächste Treffen mit seinem Sohn freut.

Kazim und seine Familie möchten sich bei allen Menschen für die vielen Grüße im Gästebuch bedanken. Ihre Anteilnahme an seinem und Christofers Schicksal, berühren Vater und Sohn sehr und geben der ganzen Familie viel Mut und Kraft.

Danke für die Solidarität.

http://www.vafk.de/themen/Tagebuch/Tagebuch/TB70902.pdf

Der 15. Senat des OLG Celle befindet vatersein.de
in den Verfahren 15 UF 234/06 und 15 UF 235/06
als "professionell anmutend".
Meinen aufrichtigen Dank!

AntwortZitat
Geschrieben : 03.09.2007 20:40
DeepThought
(@deepthought)
(Fast) Eigentumsrecht Moderator

Home » Presse / Infos » Pressemitteilungen » Pressemitteilungen aus dem Jahr 2007 » Pressemitteilung Nr. 153/07 vom 24.10.2007

Siehe auch:  Beschluss des XII. Zivilsenats vom 26.9.2007 - XII ZB 229/06 -

Bundesgerichtshof
Mitteilung der Pressestelle
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Nr. 153/2007

Sorgerechtsantrag eines Vaters für sein nichtehelich geborenes Kind (Fall Görgülü)

Der u. a. für Familiensachen zuständige XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hatte sich erstmals mit dem Sorgerechtsantrag des Vaters für sein nichtehelich geborenes Kind zu befassen. Der Fall hatte nach wiederholten Entscheidungen des Amtsgerichts, Oberlandesgerichts, Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein großes Interesse in der Öffentlichkeit ausgelöst.

I)

Der Vater ist türkischer Staatsangehöriger und lebt seit 1994 in der Bundesrepublik Deutschland. Im Mai 1999 erfuhr er, dass seine Lebensgefährtin von ihm schwanger war. Diese unterband ab Juli 1999 jeglichen Kontakt und gebar im August 1999 das gemeinsame Kind. Schon am Folgetag beauftragte die Mutter das zuständige Jugendamt, das Kind in Adoptionspflege zu geben, und stimmte der Adoption des Kindes zu. Nach vier Tagen wurde das Kind zu seinen Pflegeeltern in Adoptionspflege gegeben, wo es seitdem lebt.

Der Vater erfuhr erst im Oktober 1999 von der Geburt seines Kindes und begehrt seitdem regelmäßigen Umgang mit seinem Kind sowie das Sorgerecht für dieses. Die Anerkennung der dafür erforderlichen rechtlichen Vaterschaft scheiterte zunächst an der versagten Zustimmung des Amtsvormunds. Auf Antrag des Vaters wurde seine Vaterschaft sodann nach Einholung eines Sachverständigengutachtens gerichtlich festgestellt.

Im Januar 2001 beantragten die Pflegeeltern die Adoption des Kindes. Die dafür erforderliche Zustimmung des Vaters wurde vom Amtsgericht im Dezember 2001 ersetzt. Auf mehrere Beschwerden des Vaters wurde das Verfahren über die Ersetzung der Zustimmung bis zur Entscheidung über den Sorgerechtsantrag des Vaters ausgesetzt (FamRZ 2004, 810). Erst viel später teilte die – inzwischen nach Intervention der Aufsichtsbehörde zuständige – Amtspflegerin im Juli 2006 mit, dass der Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Vaters zurückgenommen werde.

Auf Antrag des Vaters räumte das Amtsgericht ihm im Februar 2001 ein Umgangsrecht mit seinem Kind ein und übertrug ihm in einer weiteren Entscheidung im März 2001 auch das Sorgerecht. Beide Entscheidungen wurden vom 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg aufgehoben. Auf die dagegen eingelegte Menschenrechtsbeschwerde des Vaters stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Februar 2004 fest, dass die Entscheidung des Oberlandesgerichts gegen Art. 8 der Menschenrechtskonvention verstößt (FamRZ 2004, 1456).

Auf einen erneuten Antrag des Vaters räumte ihm das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung erneut ein Umgangsrecht mit seinem Kind ein und übertrug dem Vater im März 2004 erneut auch das Sorgerecht für sein Kind. Auch diese Entscheidungen hob der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auf, nachdem er zuvor ihren Vollzug ausgesetzt hatte (FamRZ 2004, 1507 und 1510). Auf die Verfassungsbeschwerden des Vaters wurden die Entscheidungen des Oberlandesgerichts aufgehoben. Die Verfahren wurden an einen anderen Senat des Oberlandesgerichts zurückverwiesen (FamRZ 2004, 1857 und 2005, 783). Nachdem dieser Senat die Beschwerdeführer auf die Unanfechtbarkeit der einstweiligen Anordnung zum Umgangsrecht hingewiesen hatte, nahmen sie ihre Beschwerden gegen die amtsgerichtliche Entscheidung zurück.

Auf einen neuen Antrag des Vaters erweiterte das Amtsgericht das ihm zustehende Umgangsrecht im Dezember 2004 auf vier Stunden wöchentlich. Auf die sofortige Beschwerde der Pflegeeltern setzte der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Naumburg auch den Vollzug dieser Entscheidung aus (NJ 2005, 278). Auf die Verfassungsbeschwerde des Vaters setzte das Bundesverfassungsgericht die Wirksamkeit der von ihm als "willkürlich" bezeichneten Entscheidung des Oberlandesgerichts aus (FamRZ 2005, 173) und stellte mit weiterem Beschluss im Juni 2005 die Umgangregelung des Amtsgerichts wieder her (FamRZ 2005, 1233).

Auf ein wiederholtes Ablehnungsgesuch des Vaters wurden die Richter des 14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg im Januar 2005 für befangen erklärt. Seitdem ist der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts für das Verfahren zuständig. Im August 2005 wurden auch die bislang mit der Wahrung der Aufgaben des Amtsvormunds beauftragten Personen von ihrer Funktion entbunden; deren Funktion wurde auf Weisung der Aufsichtsbehörde einer eigens dafür vom Landesverwaltungsamt abgeordneten Bediensteten übertragen.

Mit Beschluss vom 15. Dezember 2006 (FamRZ 2007, 665) hat der nunmehr zuständige Senat beim Oberlandesgericht Naumburg dem Vater ein Umgangsrecht eingeräumt, das sich zunächst auf sieben Stunden 14-tägig begrenzte und seit März 2007 14-tägig von samstags 11:00 Uhr bis sonntags 15:00 Uhr andauert und die erste Hälfte längerer Schulferien einschließt. Die gegen diese Entscheidung gerichteten Verfassungsbeschwerden des Vaters einerseits sowie der Verfahrenspflegerin andererseits wies das Bundesverfassungsgericht im Februar 2007 zurück (FamRZ 2007, 531 und FF 2007, 103).

Den Antrag auf Übertragung des Sorgerechts hat das Oberlandesgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 15. Dezember 2006 "als zurzeit unbegründet" abgewiesen, weil der Vater zurzeit noch nicht in der Lage sei, das Sorgerecht zum Wohl des Kindes auszuüben. Nur insoweit hat das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen.

II)

Der Bundesgerichtshof hat die Rechtsbeschwerde des Vaters zurückgewiesen, weil wegen der vom – früheren – Amtsvormund und dem Oberlandesgericht zu lange geduldeten Verweigerung des Umgangsrechts noch keine hinreichend tragfähige Basis zwischen Vater und Kind entstanden sei und im Falle einer gegenwärtigen Übertragung des Sorgerechts eine nicht vollständig aufzufangende Bindungslosigkeit drohe. In der Begründung hat der Senat allerdings eine strikte Einhaltung des Umgangsrechts mit dem Ziel einer Übertragung des Sorgerechts und eines Wechsels des ständigen Aufenthalts zum Vater angemahnt.

1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die gesetzliche Regelung in den §§ 1626a, 1672 Abs. 1 BGB verfassungsgemäß (FamRZ 2003, 285). Danach steht die elterliche Sorge für ein nichtehelich geborenes Kind nur dann beiden Eltern zu, wenn sie eine gemeinsame Sorgerechtserklärung abgeben oder einander heiraten. Anderenfalls übt die Mutter die elterliche Sorge allein aus. Daran ändert sich auch nichts, wenn sie – wie hier – das Kind zur Adoption freigibt und dadurch nach § 1751 Abs. 1 Satz 1 BGB ihr Sorgerecht ruht. Gerichtlich kann der Vater eine Übertragung des Sorgerechts nach § 1672 Abs.1 BGB grundsätzlich nur mit Zustimmung der Mutter erreichen. Hat diese allerdings der Adoption des Kindes zugestimmt, bedarf es ihrer Zustimmung zur Übertragung des Sorgerechts auf den Vater nicht mehr (§ 1751 Abs. 1 Satz 6 BGB); auch dann ist eine Sorgerechtsübertragung auf den Vater nach dem Wortlaut des Gesetzes aber nur möglich, wenn sie "dem Wohl des Kindes dient".

2. Ob dies der Fall ist, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unter Berücksichtigung des Elternrechts des Vaters zu ermitteln. Allein die Tatsache, dass ein Kind in seine Pflegefamilie voll integriert ist, kann deswegen einer Annäherung an den leiblichen Vater mit dem Ziel einer Übertragung des Sorgerechts nicht entgegenstehen. Das gilt insbesondere dann, wenn keine Bedenken gegen die Erziehungseignung bestehen und das Sorgerecht der Mutter ohnehin ruht. Andererseits ist aber stets das Kindeswohl als oberstes Gebot zu berücksichtigen. Dies steht der Annäherung an den leiblichen Vater grundsätzlich nicht entgegen, auch wenn eine sofortige Trennung des Kindes von seiner Pflegefamilie negative Auswirkungen auf sein Wohl haben kann. Ist ein leiblicher Vater erziehungsgeeignet und –bereit, müssen die staatlichen Behörden und Gerichte Wege finden, die eine Zusammenführung unter Umständen ermöglicht, die zwangsläufig eintretende Belastungen des Kindes möglichst vermindern und auffangen.

Dem Elternrecht des Vaters und dem Kindeswohl kann danach nur durch eine kontinuierliche Annäherung genügt werden. Die Behörden, hier also der Amtsvormund, und die Gerichte haben deswegen alles zu unterbinden, was diese Annäherung gefährden könnte. Das schließt auch Zwangsmaßnahmen gegen die Pflegeeltern oder – als letztes Mittel – die Herausnahme des Kindes aus der Pflegefamilie ein, wenn die Pflegeeltern – wie in den bisherigen acht Lebensjahren des Kindes – nicht genügend Bindungstoleranz aufweisen, um ein kontinuierliches Umgangsrecht des Vaters zu akzeptieren.

Soweit das Oberlandesgericht den Sorgerechtsantrag nach dem gegenwärtigen Stand als "zurzeit unbegründet" abgelehnt hat, hat der Bundesgerichtshof dies im Ergebnis gebilligt. Denn in der Vergangenheit ist das Umgangsrecht immer wieder unterbunden worden, insbesondere wenn sich eine stärkere Annäherung zwischen Vater und Kind abzeichnete. Weil diese emotionale Nähe aber Voraussetzung für die Übertragung des Sorgerechts ist, um eine Bindungslosigkeit zu verhindern, muss das Umgangsrecht gestärkt werden, bevor abschließend das Sorgerecht auf den Vater übertragen werden kann.

Beschluss vom 26. September 2007  XII ZB 229/06

AG Lutherstadt Wittenberg – Entscheidung vom 19.3.2004 - 5 F 741/02 SO ./.

OLG Naumburg – Entscheidung vom 15.12.2006 - 8 UF 84/05

Karlsruhe, den 24. Oktober 2007

Pressestelle des Bundesgerichtshofs

Der 15. Senat des OLG Celle befindet vatersein.de
in den Verfahren 15 UF 234/06 und 15 UF 235/06
als "professionell anmutend".
Meinen aufrichtigen Dank!

AntwortZitat
Geschrieben : 24.10.2007 16:31




(@andreadd)
Registriert

Hallo ihr Lieben,

es gibt etwas Neues in der Tagesschau:

Quelle: http://www.tageschau.de/inland/vaeterrechte2.html

Liebe Grüße
Andrea

Die 7 Todsünden der modernen Gesellschaft? Reichtum ohne Arbeit. Genuss ohne Gewissen. Wissen ohne Charakter. Geschäft ohne Moral. Wissenschaft ohne Menschlichkeit. Religion ohne Opfer. Politik ohne Prinzipien.
Dalai Lama

AntwortZitat
Geschrieben : 24.10.2007 22:50
DeepThought
(@deepthought)
(Fast) Eigentumsrecht Moderator

Happy End nach achtjährigem Sorgerechtsstreit

Wittenberg (AP) Nach einem acht Jahre dauernden Streit mit den Pflegeeltern seines Sohns hat Kazim Görgülü das Sorgerecht erhalten. Das teilte ein Sprecher des Amtsgerichts Wittenberg am Donnerstag mit. Der Fall war bis vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegangen. Die Mutter hatte den Jungen gleich nach der Geburt zur Adoption freigegeben. Sie war mit dem Vater des Kindes nicht verheiratet und
hatte sich vor der Niederkunft von ihm getrennt.

Der heute achtjährige Christofer lebte bisher bei einer Pflegefamilie im Landkreis Wittenberg in Sachsen-Anhalt, die es auch gerne adoptieren wollte. Görgülü, der in Krostitz bei Leipzig lebt und zunächst nichts von der Adoptionsfreigabe wusste, kämpfte vor Gericht um das ihm verweigerte Umgangs- und Sorgerecht.

Zunächst gewannen die Pflegeeltern den Rechtsstreit. Dann verfügte aber der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg, dass dem leiblichen Vater auf jeden Fall das Umgangsrecht und auch das Sorgerecht zustünden. Trotzdem sprach das Oberlandesgericht Naumburg dem Vater Ende 2004 das Umgangsrecht ab. Danach ermittelte die Staatsanwaltschaft gegen die vier Richter wegen Rechtsbeugung.

Das Bundesverfassungsgericht stellte 2005 fest, dass die Entscheidung des OLG Naumburg verfassungswidrig war, weil es für die Entscheidung gar nicht zuständig war. Das Gericht habe willkürlich gehandelt. Schon im Dezember 2004 hatte das Bundesverfassungsgericht dem Vater mit einstweiliger Anordnung ein Besuchsrecht zugesprochen. Im Juni 2005 folgte die gleichlautende Entscheidung im Hauptverfahren.

Der Junge verbrachte einen dreiwöchigen Urlaub mit der Familie seines Vaters. Danach legte der Amtsvormund im August 2007 fest, dass Christofer nach den Sommerferien 2008 endgültig zur Familie seines leiblichen Vaters kommen soll.

Das Sorgerecht wurde dem Vater vorläufig zugesprochen. Eine Entwicklung der Vater-Sohn-Beziehung in den kommenden Monaten solle abgewartet werden, hieß es. Das Amtsgericht habe alle Beteiligten des Verfahrens angehört. Danach gebe es keine Bedenken, dass sich der Junge in der Familie seines Vaters integriere. Das gelte auch, weil die Pflegeeltern den Umzug des Jungen akzeptierten und ihnen auch künftig Kontakt zu ihrem Pflegekind gestattet sein werde.

Quelle: >PR-Inside<

Der 15. Senat des OLG Celle befindet vatersein.de
in den Verfahren 15 UF 234/06 und 15 UF 235/06
als "professionell anmutend".
Meinen aufrichtigen Dank!

AntwortZitat
Geschrieben : 15.02.2008 00:24
(@weisnich)
(Fast) Eigentumsrecht Registriert

Hallo Forum,
meiner Meinung nach das einzig sinnvolle Ende.

Schlimm ist dabei nur, dass Her Görgülü dafür bis zum EuGH gehen musste und alles in allem 8 Jahre kämpfen musste.

Was mag wohl in dem Kind vorgehen?

Gruß,
Michael

AntwortZitat
Geschrieben : 15.02.2008 11:16