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anläßlich der Rede von H. Köhler

 
(@slave_machinery)
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Hallo,
ich weiß nicht, ob ich hier auch wirklich richtig bin - aber ich fange nun einfach mal an (könnte etwas länger werden...)

Jahrelang haben wir darauf gesetzt dass die Wirtschaft immer schön kontinuierlich weiterwachsen wird. Hinterfragt hat das niemand, denn warum auch? Bisher hat doch alles schön funktioniert. Man hat es ja geschafft dieses Land nach dem Krieg wieder aufzubauen, hat die Ölkrise überstanden, hat die 80er hindurch die steigenden Arbeitslosenzahlen ignoriert. Damals hätte man schon das System der Sozialversicherung wandeln müssen, aber keiner hat dran gedacht... dabei wäre es damals auch schon zu spät gewesen, wie Bismark sich das vorgestellt hat kann es nach 100 Jahren nicht auch noch funktionieren. Spätestens als die Arbeitslosenzahlen wirklich explodierten war es schon tausendmal zu spät und jetzt wird an den Symptomen herum gedoktort bis bald nichts mehr läuft...

Vielleicht ist es ein typisch deutsches Problem. Es geht einem gut, wieso soll man etwas ändern? Jahrzehntelang hat man so gedacht, jetzt geht es immer mehr Leuten schlecht, jetzt schlägt sich die alte Wirtschaftswachstumsgläubigkeit auf uns nieder und fordert ihren Preis. Wirkliche Lösungen hat keiner mehr parat - einerseits werden die sozialen Leistungen weiter reduziert (alles unter dem Deckmantel der Reformen) andererseits fordert jeder eine Senkung der Unternehmenssteuern (zuletzt unser Horst Köhler...). Die Unternehmen freuen sich, zahlen weniger Steuern und investieren weiterhin woanders.
Denn in Deutschland lohnt sich das Investieren ja nicht mehr. Die Menschen werden ärmer, ob mit oder ohne Arbeit, die Kaufkraft tendiert gegen Null und gespart kann auch nichts mehr werden. Wer auch nur ein wenig volkswirtschaftlich denkt, weiß dass wir uns in einen Teufelskreis hinein manövrieren.

Oder dass wir uns aufspalten: Die "Privilegierten", die noch Arbeit haben, die von Lohnkürzungen (noch) nicht betroffen sind, die weiterhin über Kaufkraft und Sparvolumen verfügen - und die auch weiterhin als Konsumenten beworben werden.

Und auf der anderen Seite der ganze Rest. Arbeitslose, Niedriglöhner, Selbständige, die sich grad mal so noch über Wasser halten können... die sind als Konsumenten uninteressant.

So oder so, wer jetzt nichts hat wird auch auf absehbare Zeit nichts haben können. Und wer noch hat denkt nicht daran, dass sich das bald ändern kann.

Wo soll das nur enden? Was kann man denn von der Politik noch erwarten?

Vertrauen wir also auf unser Land und arbeiten wir alle an dem großen Reformwerk mit. Wir haben das Zeug dazu, die Ordnung der Freiheit gemeinsam wieder aufzubauen. Wir schaffen es, wenn jeder mitmacht. Ich spüre überall: Die Menschen sind bereit mitzuziehen.

so Horst Köhler...

Aber welche Menschen sind noch zu Reformen bereit wenn Reformen wie Hartz IV enden?

Und wie viele trauen es sich überhaupt noch zu über den eigenen Tellerrand hinaus zu schauen?

Und wie lange hängen wir an einer solchen naiven Wirtschaftsgläubigkeit wenn die Wirtschaft doch nur das macht was sie schon immer gemacht hat? Wenn sie sich sogar noch eher freut, dass wir in einen neuen Manchester-Kapitalismus zurück fallen...

Wie schon gesagt, ich weiß nicht, ob der Beitrag hier angebracht ist - aber ich wollte es einfach mal loswerden...

Grüße

¡No Pasarán!

Zitat
Themenstarter Geschrieben : 16.03.2005 14:42
DeepThought
(@deepthought)
(Fast) Eigentumsrecht Moderator

Moin slave,

deine Gedanken sind sehr wohl angebracht. Reden wir hier doch von unserem Land. Dem Land, das unsere Kinder künftgi gestalten.

Die Preise der Sachen steigen, weil irgendwas teurer wird, besonders die Löhne. Dann steigen die Löhne, weil die Sachen teurer werden und sich die Leute weniger leisten können. Und darum steigen auch wieder die Preise, weil die Löhne gestiegen sind. ich frage mich schon die ganze Zeit, wie ein solches System funktionieren kann.

Der Verteilungskampf ist längst eröffnet und die am Hebel nehmen's sich. Der Pöbel rührt sich nicht in Deutschland. Hat man ihm ja auch über Jahrzehnte abdressiert.

DeepThought

Der 15. Senat des OLG Celle befindet vatersein.de
in den Verfahren 15 UF 234/06 und 15 UF 235/06
als "professionell anmutend".
Meinen aufrichtigen Dank!

AntwortZitat
Geschrieben : 16.03.2005 15:23
(@slave_machinery)
Zeigt sich öfters Registriert

Der Pöbel will sich wohl auch nicht rühren - denn warum soll man beim Regen auf die Straße gehen wenn´s daheim vor der Glotze so schön ist? Man könnte ja BigBrother oder GZSZ verpassen...
Gruß

¡No Pasarán!

AntwortZitat
Themenstarter Geschrieben : 16.03.2005 15:36
(@weisnich)
(Fast) Eigentumsrecht Registriert

Hallo Slave und Phönix,
wat iss denn hier los? Kopp innen Sand stecken? Also nich mit mir.

Ich gehe mal den Thread durch.
Gut Slave, Du fängst mit einer Grenzen-des-Wachstums-Diskussion aus den 70ern an. Tatsache ist. Es gibt Wachstum - allerdings nicht so stark in Deutschland. Warum? Wenn ich das jetzt sage, bekomme ich Haue.

Das Problem, dass Deutschland hat, kommt meiner Meinung nach nicht von Bismarck (der war eigentlich gar nicht so dumm), sondern von einem Herren Namens Adenauer. Warum hat der Mensch keinen gesellschaftswachstumsabhängigen Faktor in die Rente eingebaut? Ich gleube, er wollte einfach nur wiedergewählt werden.
Gut, dann kommen noch Ölkrise, Wiedervereinigung... dazu, aber das alles hat den Vorgang nur beschleunigt, nicht hervorgerufen. Ich könnte an dieser Stelle wieder ein Buch empfehlen: Deutschland - Untergang eines Superstars von Weisichnichtmehr

Was bleibt? Mehr arbeiten für weniger Knete. Ganz einfach, bescheidener sein. Auf allen Seiten, ob Mann oder Frau, ob alt oder jung. Aber wem erzähle ich das? Einem Slave, oder einem Phönix? Wir sind doch alle leiderprobt. Und wir wissen auch mit wenig Geld auszukommen. Was soll für uns schlimmer werden?

Was ich nur sagen will, nehmt den Kopp wieder ausm Sand und lasst eure Freude wieder aufleben. Wie ein befreiter Sklave oder Phönix aus der Asche.

Mein Gott, die Welt ist gut. Auch mit wenig Kohle. Und wenn ihr mal Urlaub braucht, kommt doch bei mir in Frankreich vorbei. Wir hatten heute 18°C und Sonnenschein. Ich musste den ganzen Tag arbeiten (hauptsächlich für meine Frau) und konnte aber manchmal rausgucken und dann war ich mir wieder sicher.

Macht es gut, Jungs,
😎

AntwortZitat
Geschrieben : 16.03.2005 21:52
(@slave_machinery)
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Hi Weisnich, hi alle anderen...
na, von Kopf-in-den-Sand-stecken war nicht wirklich die Rede. Aufgeben und Resignieren will zumindest ich noch lange nicht (auch wenn mir an manchen Tagen wirklich dir Kraft und die Mut zum Weitermachen fehlen)

Woran es unserer Gesellschaft krankt - natürlich kann man darüber streiten. Wo die Ursachen liegen, auch darüber kann man streiten. Dass es aber langsam bergab geht und die Zahl derer, die in Armut leben, stark zunimmt - darüber kann man nicht mehr streiten. Ein Indiz ist doch schon, dass immer mehr Menschen in Deutschland unverschuldet ohne Krankenversicherungsschutz leben müssen.

Man kann sich weiterhin seinem Leben freuen - da gebe ich Weisnich voll und ganz Recht. Eines kann man einem nicht mehr nehmen, und dass ist zumindest das Geschehen zwischen den Schädeldecken. Wenn ich nur etwas optimistischer an allem ran gehen würde, dann hätte ich auch sehr viel mehr über das ich mich freuen würde: Dass ich eine gesunde Tochter habe, die über beide Backen strahlt wenn sie ihren Vater sieht, dass die Gauloises mir noch immer schmecken, dass ich über ein gesichertes Auskommen habe, ein Dach über den Kopf, dass ich bald wieder in der Stadt wohne wo ich es einfach besser aushalte als hier... usw. usf.
Und ich weiß auch, dass es noch immer Menschen gibt, denen es schlechter geht. Ein Kollege hatte vor Kurzem unverschuldet einen Autounfall, er muss jetzt erst wieder das Laufen lernen, dann war da der Obdachlose, dem ich neulich 50 cent in den Hut geworfen habe, die vielen Arbeitslosen, die hungernden Menschen sonst wo auf der Welt...

Aber auch gerade bei uns wird es bald wieder mehr Menschen geben, die überhaupt nichts mehr haben. Und es wird noch mehr Menschen geben, die gerade mit dem Nötigsten auskommen müssen.
Soll kommen was kommen soll. Ich bedaure dabei am Meisten die, die absolut unvorbereitet da hinein rutschen. Die, bei denen sich das Denken in den letzten Jahren um keinen Deut geändert hat. Bei uns hieß es vor Jahren noch: Geh zur Firma XY, dort hast Du ausgesorgt. Was ist nun? Die Firma XY ist pleite, weil in China billigere Hemden genäht werden können... die Welt hat sich geändert, und wer sich nicht mit ändern kann der wird bald dumm da stehen.
Es ist doch die absolute Weigerung nachzudenken, die mich wirklich stört. Diejenigen, die jetzt noch haben hetzen durch die Fußgängerzonen um sich wirklich geil einzukleiden und wollen das schönste Auto fahren, tiefergelegt und aufgemotzt... was aber um ihre ganze Konsumgeilheit herum vor sich geht, von dem wollen sie nicht wissen. "Mir wird das schon nicht passieren".

Weisnich, Du schwärmst ja immer von Frankreich. Ich muss vorneweg sagen: Ich liebe Frankreich und die Franzosen. Es ist ein sehr schönes Land und die Einstellung vieler Franzosen bekommt mir besser als so manch "typisch Deutsches" (z. B. in Bezug auf Autos...). Aber mir ist vor ungefähr zwei Jahren in Paris Folgendes geschehen: Ich war dort eine Woche um Urlaub zu machen. Am morgen lief ich mit dem Rest der Touristentruppe vom Hotel zur Metro und wäre fast über einen Clochard gestolpert der mitten über dem Trottoir lag. Er lag auf seiner Decke, um sich herum ein Rucksack und die restlichen Habseligkeiten - ich konnte nicht sehen, ob er schlief oder schon tot war (am Abend saß er wieder da und hatte seinen Hut vor sich liegen) - aber die Leute liefen um ihn herum, keiner schaute runter, keiner kümmerte sich darum...
In der gleichen Woche kam ein Mann in die Metro - fing an zu erzählen, redete von seinem Schicksal (wie ich später erfuhr) und bettelte dann die anderen Mitfahrer an.
Das Kontrastprogramm erlebte ich auf dem Mont Martre: Ein weißer Rolls´Royce fuhr vor, eine Gruppe Mädels stieg aus, jede ein Glas Schampus in der Hand und fotografierte sich gegenseitig, kicherte, lachte, posierte vor der Stadt und fuhr weiter.
Es war einfach dieser Kontrast, der mich schockiert hat - hier die Superreichen die mit dem Rolls durch die Stadt fahren und wirklich ohne Sorgen sind, und dort die ärmsten der Armen. Alles dicht nebeneinander. Das werden wir bald tausendfach in unseren Städten erleben. Gerade weil es bald so viele Arme mehr geben wird. Gerade auch solche, die unverschuldet in die Armutsfalle rutschen und nicht mehr aus eigener Kraft daraus hervor kommen.

Und genau das ist es, was ich aussagen wollte. Vielleicht hat weisnich Recht - wenn man selbst so tief gesunken ist, sollte man an genau das denken, was einem keiner mehr nehmen kann. Das Leben und die Freude am Leben an sich...

Grüße

¡No Pasarán!

AntwortZitat
Themenstarter Geschrieben : 20.03.2005 20:46