BGH: Betreuungsunterhalt, Altersphasenmodell, kindsbezogene Gründe

a) Im Rahmen der Billigkeitsentscheidung über eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen nach § 1570 Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB ist stets zunächst der individuelle Umstand zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kindesbetreuung auf andere Weise gesichert ist oder in kindgerechten Betreuungseinrichtungen gesichert werden könnte. Denn mit der Neugestaltung des nachehelichen Betreuungsunterhalts in § 1570 BGB hat der Gesetzgeber für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres den Vorrang der persönlichen Betreuung aufgegeben (im Anschluss an die Senatsurteile vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08FamRZ 2009, 1391 und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770).

b) Ein Altersphasenmodell, das bei der Frage der Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus kindbezogenen Gründen allein oder wesentlich auf das Alter des Kindes abstellt, wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. September 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne und die Richter Dose, Dr. Klinkhammer, Schilling und Dr. Günter

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Antragsgegners wird das Urteil des 16. Senats – Senat für Familiensachen – des Kammergerichts in Berlin vom 8. Januar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Kammergericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Parteien streiten um nachehelichen Unterhalt.

Die 1971 geborene Antragstellerin und der 1970 geborene Antragsgegner hatten im September 1999 die Ehe geschlossen. Im September 2000 wurde der gemeinsame Sohn geboren. Nach der Trennung im März 2005 wurde die Ehe auf den im Dezember 2006 zugestellten Scheidungsantrag der Antragstellerin mit Urteil vom 22. Juli 2008 rechtskräftig geschieden. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für den gemeinsamen Sohn wurde der Antragstellerin übertragen.

Die Antragstellerin war wegen der Betreuung des gemeinsamen Kindes in seinen ersten drei Lebensjahren nicht erwerbstätig. In der Folgezeit arbeitete sie (zunächst) 25 Stunden wöchentlich in ihrem Beruf als Rechtsanwalts- und Notargehilfin, mit einer Arbeitszeit von montags bis mittwochs und freitags von 9.00 Uhr bis 14.00 Uhr sowie donnerstags von 13.00 Uhr bis 18.00 Uhr. Der Sohn besucht im Anschluss an die Schule bis 15.00 Uhr einen Hort; donnerstags wird er sodann vom Antragsgegner und dem Großvater väterlicherseits betreut. Aus ihrer Erwerbstätigkeit erzielt die Antragstellerin Nettoeinkünfte, die sich nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nach Abzug berufsbedingter Kosten auf monatlich 1.141,69 € belaufen.

Der Antragsgegner ist im Umfang von 36,5 Wochenstunden bei den Berliner Verkehrsbetrieben beschäftigt. Die Höhe seines Nettoeinkommens ist zwischen den Parteien streitig. Er zahlt für den gemeinsamen Sohn monatlichen Unterhalt, der sich ursprünglich auf 114 % des Regelbetrages belief und seit April 2009 110 % des Mindestunterhalts beträgt, jeweils abzüglich hälftigen Kindergeldes.

Das Amtsgericht hat die gegenwärtig ausgeübte Erwerbstätigkeit der Antragstellerin für ausreichend erachtet und ein Nettoeinkommen des Antragsgegners errechnet, das sich nach Abzug des Kindesunterhalts auf 1.641,04 € beläuft. Auf dieser Grundlage hat es einen Anspruch der Antragstellerin auf Elementarunterhalt in Höhe von 193,20 € und auf Altersvorsorgeunterhalt in Höhe von 48,54 € errechnet. Das Kammergericht hat die Berufung des Antragsgegners zurückgewiesen und die Revision zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

Mit seiner Revision verfolgt der Antragsgegner seinen Klagabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 FGG-RG noch das bis Ende August 2009 geltende Prozessrecht anwendbar, weil der Rechtsstreit vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2009 – XII ZR 50/08FamRZ 2010, 357 Rn. 7).

A.

Die Revision ist, entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung, in vollem Umfang zulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann sich eine wirksame Beschränkung des Rechtsmittels bei uneingeschränkter Zulassung im Tenor der angefochtenen Entscheidung auch aus dessen Entscheidungsgründen ergeben (Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 8 mwN). Eine solche Beschränkung setzt allerdings voraus, dass das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Nachprüfung im Revisions- oder Rechtsbeschwerdeverfahren hinreichend klar auf einen abtrennbaren Teil seiner Entscheidung begrenzt hat (Senatsurteil vom 12. Juli 2000 – XII ZR 159/98 – NJW-RR 2001, 485, 486). Das ist hier nicht der Fall.

Das Berufungsgericht hat die Revision zur Auslegung der §§ 1570, 1578 b Abs. 2 BGB zugelassen, was sich im Hinblick auf die zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene gesetzliche Neuregelung hier auf die gesamte relevante Zeit auswirkt. Weil sich der Umfang der Erwerbspflicht der Antragstellerin im Rahmen des Betreuungsunterhalts zwangsläufig auf die Höhe des geschuldeten nachehelichen Unterhalts auswirkt, ergibt sich aus anderen unterhaltsrelevanten Umständen, wie dem unterhaltsrelevanten Einkommen des Antragsgegners, kein abtrennbarer Teil des Streitstoffes.

B.

Die Revision hat Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I.

Das Kammergericht, dessen Entscheidung in KGR 2009, 248 veröffentlicht ist, hat die Berufung des Antragsgegners zurückgewiesen, weil der Antragstellerin sogar ein geringfügig höherer Unterhaltsanspruch zustehe als vom Amtsgericht ausgeurteilt.

Das Amtsgericht habe der Antragstellerin zu Recht einen Anspruch auf Betreuungsunterhalt zuerkannt. Die gesetzliche Neuregelung in § 1570 BGB hebe auch den Grundsatz der nachehelichen Solidarität hervor, die wiederum an der tatsächlichen Gestaltung der Kinderbetreuung und der Erwerbstätigkeit während der Ehe sowie deren Dauer zu messen sei. Dadurch solle der besondere Schutz der Ehe zum Ausdruck gebracht werden. Aus dem Gesetz ergebe sich keine Verpflichtung der Eltern, ihr Kind von 8.00 Uhr morgens bis 18.00 Uhr abends durch dritte Personen betreuen zu lassen. Im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 bis 3 GG sei solches auch höchst bedenklich. In den Gesetzesmotiven werde auf den konkreten Einzelfall abgestellt und eine Bewertung der individuellen Umstände verlangt. Dadurch werde allein die starre, schematische Anwendung des von der Rechtsprechung entwickelten Altersphasenmodells abgelehnt.

Vor diesem Hintergrund könne von der Antragstellerin nicht erwartet werden, dass sie ihren achtjährigen Sohn ganztags in eine Fremdbetreuung gebe. Kinder dürften von ihren Eltern Liebe, Rücksicht, Wärme, Zuwendung, Geduld, Anerkennung und nicht zuletzt Förderung erwarten. Diese Leistungen könne weder ein Hort noch eine sonstige Fremdbetreuung ausreichend vermitteln, weil die persönliche, emotionale und genetisch beeinflusste Beziehung nicht die gleiche sei bzw. weil sich das Kind die Bezugsperson im Hort mit vielen anderen Kindern teilen müsse. Auch nachmittägliche Aktivitäten im Hort könnten die persönliche Anteilnahme eines Elternteils an den täglichen Erfolgs- oder Misserfolgserlebnissen des Kindes nicht ersetzen. Eine Hortbetreuung werde dem Förderungsgrundsatz nicht gerecht, weil gerade die Grundschulen in Berlin ihren Ausbildungspflichten nicht mehr in ausreichendem Maße nachkämen. Während des Zusammenlebens der Parteien sei die Antragstellerin Hauptbezugsperson für das Kind gewesen. Auch wenn der Antragsgegner jetzt bestreite, dass man sich für die Schulzeit auf eine Erwerbstätigkeit der Antragstellerin im Umfang von 25 Wochenstunden verständigt habe, sei auf das während der Ehe praktizierte Modell abzustellen.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners sei keine andere zumutbare Betreuungsmöglichkeit vorhanden. Er selbst komme dafür nicht in Betracht, weil die Zumutbarkeit an dem nicht aufgearbeiteten Elternkonflikt scheitere. Die in der rechtskräftigen Sorgerechtsentscheidung niedergelegte Wertung sei für die Unterhaltsentscheidung hinzunehmen. Im Unterhaltsverfahren finde keine Fortsetzung des Sorgerechtsstreits statt. Eine regelmäßige nachmittägliche Betreuung durch den Vater könne den Sohn in einen dauerhaften Loyalitätskonflikt bringen, der seinem Wohl widerspreche.

Eine Befristung des Unterhaltsanspruchs sei nicht möglich, weil sich die weitere persönliche und schulische Entwicklung des Kindes noch nicht prognostizieren lasse. Unter Berücksichtigung des unterhaltsrelevanten Nettoeinkommens der Antragstellerin von 1.141,69 € und eines Einkommens des Antragsgegners, das sich nach Abzug des Kindesunterhalts auf 1.644,75 € belaufe, ergebe sich im Rahmen der gebotenen zweistufigen Berechnung sogar ein geringfügig höherer Altersvorsorge- und Elementarunterhalt als vom Amtsgericht zugesprochen.

II.

Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten den Angriffen der Revision nicht in allen Punkten stand.

1. Wie das Berufungsgericht im Ansatz zutreffend erkennt, hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 1570 BGB den nachehelichen Betreuungsunterhalt grundlegend umgestaltet. Er hat einen auf drei Jahre befristeten Basisunterhalt eingeführt, der aus Gründen der Billigkeit verlängert werden kann (BT-Drucks. 16/6980 S. 8 f.). Im Rahmen dieser Billigkeitsentscheidungen sind nach dem Willen des Gesetzgebers kind- und elternbezogene Verlängerungsgründe zu berücksichtigen (vgl. schon Senatsurteil BGHZ 177, 272, 304 ff. = FamRZ 2008, 1739, 1748 f.). Obwohl der Betreuungsunterhalt nach § 1570 BGB als Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ausgestaltet ist, wird er vor allen Dingen im Interesse des Kindes gewahrt, um dessen Betreuung und Erziehung sicherzustellen (BT-Drucks. 16/6980 S. 9; Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 19).

a) In den ersten drei Lebensjahren des Kindes kann der betreuende Elternteil frei entscheiden, ob er das Kind selbst erziehen oder eine andere Betreuungsmöglichkeit in Anspruch nehmen will. Er kann in dieser Zeit auch eine bereits begonnene Erwerbstätigkeit jederzeit wieder aufgeben. Erzielt er in dieser Zeit allerdings eigene Einkünfte, bleiben diese nicht als überobligatorisch völlig unberücksichtigt, sondern sind nach den Umständen des Einzelfalles anteilig zu berücksichtigen (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 20 f. und vom 13. April 2005 – XII ZR 273/02FamRZ 2005, 1154, 1156 f.).

b) Für die Zeit ab Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nach der gesetzlichen Neuregelung nur noch dann ein fortdauernder Anspruch auf Betreuungsunterhalt zu, wenn dies der Billigkeit entspricht (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Damit verlangt die Neuregelung allerdings regelmäßig keinen abrupten Wechsel von der elterlichen Betreuung zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit (BT-Drucks. 16/6980 S. 9). Nach Maßgabe der im Gesetz genannten kindbezogenen (§ 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB) und elternbezogenen (§ 1570 Abs. 2 BGB) Gründe ist auch nach dem neuen Unterhaltsrecht ein gestufter Übergang bis hin zu einer Vollzeiterwerbstätigkeit möglich (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 22; vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 26 und vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08FamRZ 2009, 1391 Rn. 19).

Zugleich hat der Gesetzgeber mit der gesetzlichen Neuregelung des § 1570 BGB dem unterhaltsberechtigten Elternteil die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Dauer von drei Jahren hinaus auferlegt. Kind- oder elternbezogene Gründe, die zu einer Verlängerung des Betreuungsunterhalts über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus aus Gründen der Billigkeit führen könnten, sind deswegen vom Unterhaltsberechtigten darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen (Senatsurteile BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 23 und BGHZ 177, 272 = FamRZ 2008, 1739 Rn. 97).

Soweit in Rechtsprechung und Literatur auch zu der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung des § 1570 BGB abweichende Auffassungen vertreten wurden, die an das frühere Altersphasenmodell anknüpften und eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts allein vom Kindesalter abhängig machten, sind diese im Hinblick auf den eindeutigen Willen des Gesetzgebers nicht haltbar (Senatsurteil BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 28). Die Betreuungsbedürftigkeit ist vielmehr nach den individuellen Verhältnissen zu ermitteln. Nur wenn das betroffene Kind einen Entwicklungsstand erreicht hat, in dem es unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zeitweise sich selbst überlassen bleiben kann, kommt es aus kindbezogenen Gründen insoweit nicht mehr auf eine vorrangig zu prüfende Betreuungsmöglichkeit in einer kindgerechten Einrichtung an (Senatsurteil vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 33).

(1) Kindbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts nach Billigkeit, die ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Art. 6 Abs. 2 und 5 GG finden, entfalten im Rahmen der Billigkeitsentscheidung das stärkste Gewicht und sind deswegen stets vorrangig zu prüfen (BT-Drucks. 16/6980 S. 9; Senatsurteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 28 und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 24).

Allerdings hat der Gesetzgeber mit der Neuregelung des Betreuungsunterhalts zum 1. Januar 2008 – was das Berufungsgericht verkennt – für Kinder ab Vollendung des dritten Lebensjahres grundsätzlich den Vorrang der persönlichen Betreuung gegenüber anderen kindgerechten Betreuungsmöglichkeiten aufgegeben. In dem Umfang, in dem das Kind nach Vollendung des dritten Lebensjahres eine kindgerechte Einrichtung besucht oder unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse besuchen könnte, kann sich der betreuende Elternteil also nicht mehr auf die Notwendigkeit einer persönlichen Betreuung des Kindes und somit nicht mehr auf kindbezogene Verlängerungsgründe im Sinne von § 1570 Abs. 1 Satz 3 BGB berufen. Das gilt sowohl für den rein zeitlichen Aspekt der Betreuung als auch für den sachlichen Umfang der Betreuung in einer kindgerechten Einrichtung (Senatsurteile vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08FamRZ 2009, 1391 Rn. 22 f. und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 25; abweichend OLG Frankfurt FamRZ 2010, 1449).

(2) Die Berücksichtigung elternbezogener Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts ist Ausdruck der nachehelichen Solidarität. Maßgeblich ist dabei das in der Ehe gewachsene Vertrauen in die vereinbarte und praktizierte Rollenverteilung und die gemeinsame Ausgestaltung der Betreuung (BT-Drucks. 16/6980 S. 9). Die Umstände gewinnen durch das Vertrauen des unterhaltsberechtigten Ehegatten bei längerer Ehedauer oder bei Aufgabe der Erwerbstätigkeit zur Erziehung gemeinsamer Kinder weiter an Bedeutung (§ 1570 Abs. 2 BGB). Insoweit hat der Senat bereits ausgeführt, dass die ausgeübte oder verlangte Erwerbstätigkeit neben dem nach der Erziehung und Betreuung in einer Tageseinrichtung verbleibenden Anteil an der Betreuung nicht zu einer überobligatorischen Belastung des betreuenden Elternteils führen darf (Senatsurteile vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08FamRZ 2009, 1391 Rn. 32 und BGHZ 177, 272 = FamRZ 2009, 1739 Rn. 103). Unter Berücksichtigung des konkreten Betreuungsbedarfs ist dann eine Prüfung geboten, ob und in welchem Umfang die Erwerbsobliegenheit des unterhaltsberechtigten Elternteils über den Umfang der Betreuung des Kindes in einer kindgerechten Einrichtung hinaus noch eingeschränkt ist (Senatsurteile vom 17. Juni 2009 – XII ZR 102/08FamRZ 2009, 1391 Rn. 32; vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 37 und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 32).

2. Diesen gesetzlichen Vorgaben trägt das Berufungsurteil nicht hinreichend Rechnung.

a) Das Berufungsgericht hat eine vollzeitige Betreuung des gemeinsamen Kindes in einer kindgerechten Einrichtung allein im Hinblick auf das Alter des Kindes aus grundsätzlichen Erwägungen abgelehnt. Individuelle Umstände, die diese Entscheidung rechtfertigen könnten, lässt das Berufungsurteil vermissen. Unabhängig davon, dass – offenbar unstreitig – eine Betreuungsmöglichkeit im Hort bis 18.00 Uhr zur Verfügung steht, hat das Berufungsgericht auch die Betreuungsmöglichkeit durch den Antragsgegner mit unzutreffenden Erwägungen verneint.

Grundsätzlich ist auch der barunterhaltspflichtige Elternteil als Betreuungsperson in Betracht zu ziehen, wenn er dies ernsthaft und verlässlich anbietet (vgl. Empfehlung 5 des Arbeitskreises 2 des 18. Deutschen Familiengerichtstages). Maßstab dafür ist auch im Rahmen des § 1570 BGB das Kindswohl, hinter dem rein unterhaltsrechtliche Erwägungen zurücktreten müssen. Ist bereits eine am Kindeswohl orientierte Umgangsregelung vorhanden, ist diese grundsätzlich vorgreiflich (vgl. auch NK-BGB/Schilling 2. Aufl. § 1615 l Rn. 12).

Weil hier ein regelmäßiger Umgang mit dem Vater stattfindet und dieser das Kind ohnehin nach den vom Kammergericht in Bezug genommenen Feststellung des Amtsgerichts donnerstags nachmittags betreut, ist nicht nachvollziehbar, warum sich im Falle einer darüber hinaus gehenden Betreuung durch den Antragsgegner ein Loyalitätskonflikt für das Kind ergeben könnte. Die Grenze der Betreuungsmöglichkeit des Vaters dürfte allerdings u. a. in dessen eigener Erwerbstätigkeit zu erblicken sein. Insoweit fehlt es aber an ausreichenden Feststellungen des Berufungsgerichts.

b) Elternbezogene Gründe für eine Verlängerung des Betreuungsunterhalts aus Vertrauensgesichtspunkten kommen nur in Betracht, wenn der betreuende Elternteil das Kind auch tatsächlich persönlich betreut (Senatsurteil vom 21. April 2010 – XII ZR 134/08FamRZ 2010, 1050 Rn. 32) oder soweit der betreuende Elternteil durch seine Erwerbstätigkeit und den verbleibenden Anteil der persönlichen Betreuung überobligationsmäßig belastet würde (Senatsurteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 37 und BGHZ 177, 272 = FamRZ 2008, 1739 Rn. 103 f.).

Auch solche Verlängerungsgründe hat das Kammergericht nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass die Antragstellerin ihre Erwerbstätigkeit nach der Geburt des gemeinsamen Kindes für drei Jahre aufgegeben hatte und danach lediglich im Umfang von 25 Wochenstunden erwerbstätig war, spricht nicht notwendig dafür, dass diese Ausgestaltung auch bei zunehmendem Alter des Kindes Bestand haben sollte. Nach der Rechtsprechung des Senats sieht die gesetzliche Neuregelung vielmehr eine von den individuellen Umständen abhängige Entwicklung bis zu einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit des betreuenden Elternteils vor. Umstände, die hier die Erwerbstätigkeit der Antragstellerin als ausreichend darstellen könnten, liegen zwar nicht fern, sind vom Kammergericht aber auch nicht festgestellt worden.

3. Das Berufungsurteil beruht auf dem unzutreffenden Verständnis der gesetzlichen Neuregelung in § 1570 BGB. Für den Umfang der Erwerbspflicht der Antragstellerin, die ihren Anspruch auf Betreuungsunterhalt wesentlich beeinflusst, fehlt es an ausreichenden Feststellungen. Das Berufungsurteil ist deswegen aufzuheben und das Verfahren ist zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

4. Zutreffend und im Einklang mit der Rechtsprechung des Senats hat das Kammergericht eine Befristung des Unterhaltsanspruchs abgelehnt. Eine Befristung des nachehelichen Betreuungsunterhalts nach § 1578 b Abs. 2 BGB scheidet schon deswegen aus, weil § 1570 BGB in der seit dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung insoweit eine Sonderregelung für die Billigkeitsabwägung enthält. Nach Vollendung des dritten Lebensjahres steht dem betreuenden Elternteil nur noch Betreuungsunterhalt nach Billigkeit zu (§ 1570 Abs. 1 Satz 2 BGB). Im Rahmen dieser Billigkeitsabwägung sind bereits alle kind- und elternbezogenen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Wenn sie zu dem Ergebnis führt, dass der Betreuungsunterhalt über die Vollendung des dritten Lebensjahres hinaus wenigstens teilweise fortdauert, können dieselben Gründe nicht zu einer Befristung im Rahmen der Billigkeit nach § 1578 b BGB führen (Senatsurteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 55 und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 42 mwN).

Auch eine Begrenzung des Betreuungsunterhalts der Antragstellerin nach § 1578 b Abs. 1 BGB scheidet hier aus. Zwar ist eine solche Begrenzung grundsätzlich auch dann möglich, wenn wegen der noch fortdauernden Kindesbetreuung eine Befristung des Betreuungsunterhalts entfällt. Insbesondere in Fällen, in denen der Unterhaltsbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB erheblich über den angemessenen Unterhalt nach der eigenen Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten hinausgeht, kommt eine Kürzung auf den eigenen angemessenen Unterhalt in Betracht (Senatsurteile vom 6. Mai 2009 – XII ZR 114/08FamRZ 2009, 1124 Rn. 57 und BGHZ 180, 170 = FamRZ 2009, 770 Rn. 44 mwN). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die Parteien bei vollzeitiger Erwerbstätigkeit etwa gleich hohe Einkommen erzielen, so dass der eigene angemessene Lebensbedarf der Antragstellerin ihrem Lebensbedarf nach den ehelichen Lebensverhältnissen gemäß § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB annähernd entspricht.

III.

Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Das Berufungsgericht hat das unterhaltsrelevante Einkommen des Antragsgegners auf der Grundlage der Jahresabrechnung für Dezember 2007 errechnet. Die Zurückverweisung des Rechtsstreits gibt ihm Gelegenheit, seiner Entscheidung das Einkommen in der hier relevanten Zeit ab Rechtskraft der Ehescheidung Ende 2008 zugrunde zu legen (vgl. Wendl/Dose Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis* 7. Aufl. § 1 Rdn. 11). Soweit der Antragsgegner auch künftig aus der Addition der monatlichen Auszahlungsbeträge zu einem deutlich geringeren Nettoeinkommen gelangt, wird das Berufungsgericht ihm Gelegenheit geben müssen, die Abweichung von dem in der Dezemberabrechnung angegebenen Jahreseinkommen konkret darzulegen und zu begründen.

Von dem unterhaltsrelevanten Einkommen des Antragsgegners hat das Berufungsgericht lediglich Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 245 € abgesetzt. Für die Zeit ab April 2009 schuldet der Antragsgegner aber monatlichen Kindesunterhalt in Höhe von 110 % des Mindestunterhalts abzüglich hälftigen Kindergelds. Dieser beläuft sich folglich für die Zeit ab April 2009 auf (322 € x 110 % – 82 € =) 273 € und für die Zeit ab dem 1. Januar 2010 auf (364 € x 110 % – 92 € =) 309 €. Auch dies wird das Berufungsgericht zu berücksichtigen haben.

2. Von dem unterhaltsrelevanten Einkommen der Antragstellerin hat das Berufungsgericht allerdings zu Recht keinen pauschalen Betreuungsbonus abgesetzt. Denn ob das Einkommen des gemäß § 1570 BGB unterhaltsberechtigten Elternteils, das dieser neben der Kindesbetreuung erzielt, nach § 1577 Abs. 2 BGB bei der Unterhaltsberechnung zu berücksichtigen ist, hängt allein davon ab, in welchem Maße er nach § 1570 BGB von der Erwerbsobliegenheit befreit ist (Senatsurteil vom 21. April 2010 – XII ZR 134/08FamRZ 2010, 1050 Rn. 37).

Sollte sich das Erwerbseinkommen der Antragstellerin im Hinblick auf einen inzwischen geringeren Umfang der persönlichen Betreuung erhöht haben, wird das Berufungsgericht dies ebenfalls berücksichtigen müssen.

BGH, Urteil vom 15.09.2010
XII ZR 20/09

AG Berlin-Tempelhof-Kreuzberg, Entscheidung vom 22.07.2008
145 F 14923/06

KG Berlin, Entscheidung vom 08.01.2009
16 UF 149/08

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