a) Sorgerecht und Umgang stellen unterschiedliche Verfahrensgegenstände dar, die nach der eindeutigen gesetzlichen Konzeption in eigenständigen Verfahren zu behandeln und zu entscheiden sind (Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 27. November 2019 – XII ZB 512/18 – FamRZ 2020, 255 Rn. 14 ff. und vom 19. Januar 2022 – XII ZA 12/21 – FamRZ 2022, 601 Rn. 13 mwN). Schon wegen der Verschiedenheit der Verfahrensgegenstände kann eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung einer Sorgerechtsregelung nicht entgegenstehen oder dieser vorgreiflich sein.
b) Zur (hier fehlerhaften) Würdigung von Sachverständigengutachten im Hinblick auf die Erziehungsfähigkeit eines Elternteils.
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. März 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Botur und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Recknagel beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 3 wird der Beschluss des 1. Senats für Familiensachen des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 12. Februar 2024 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 4.000 €
Gründe:
I.
Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist das Sorgerecht für das im September 2017 geborene betroffene Kind.
Die Kindesmutter, die türkische Staatsangehörige ist, und der Kindesvater, deutscher Staatsangehöriger mit türkischen Wurzeln, heirateten im September 2016. Die Ehe wurde im Dezember 2018 geschieden. Betreffend Sorgerecht und Umgang fanden mehrere Verfahren statt. Zuletzt wurden dem Kindesvater bei im Übrigen fortbestehender gemeinsamer Sorge im August 2021 mit Zustimmung der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Bestimmung des Kindergartens übertragen. Zugleich trafen die Eltern eine familiengerichtlich gebilligte Umgangsregelung, die einen wöchentlichen Umgang der Kindesmutter von Donnerstagnachmittag bis Montagvormittag vorsah.
Im vorliegenden, auf Anregung des Jugendamts eingeleiteten Verfahren hat das Amtsgericht der Kindesmutter auf deren Antrag die Teilbereiche „schulische Angelegenheiten“ und „Aufenthaltsbestimmungsrecht innerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik Deutschland“ übertragen. Auf die Beschwerde des Kindesvaters hat das Oberlandesgericht diesem auf seinen Antrag die alleinige elterliche Sorge übertragen. Dagegen hat die Kindesmutter die zugelassene Rechtsbeschwerde eingelegt, mit welcher sie die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich erstrebt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und insbesondere statthaft. Der Senat ist an die vom Beschwerdegericht ausgesprochene Zulassung gebunden. Die Zulassung ist ohne Einschränkung erfolgt. Die auf das Verhältnis von elterlicher Sorge und Umgang bezogene Begründung der Zulassung durch das Beschwerdegericht gibt ersichtlich nur die Motive für die Zulassung wieder. Eine Beschränkung der Zulassung kann sich daraus schon deswegen nicht ergeben, weil sich der Verfahrensgegenstand (Abänderung der bestehenden gerichtlichen Regelung gemäß § 1696 Abs. 1 BGB bzw. erstmalige Regelung nach § 1671 Abs. 1 BGB) auf das Sorgerecht als Ganzes bezieht und wegen der von beiden Eltern gestellten Anträge eine umfassende Übertragung auf den Kindesvater wie auf die Kindesmutter möglich ist. Aus der vom Beschwerdegericht angeführten Rechtsfrage folgt mithin keine Beschränkung der Zulassung auf einen bestimmten Teil des Verfahrensgegenstands (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Juli 2017 – XII ZB 350/16 – FamRZ 2017, 1668 Rn. 6 mwN).
Auch in der Sache hat die Rechtsbeschwerde Erfolg.
1. Nach Auffassung des Beschwerdegerichts sind die Voraussetzungen für eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf den Kindesvater nach § 1696 BGB erfüllt.
Dem stehe die gerichtlich gebilligte Einigung über die Betreuung des Kindes im paritätischen Wechselmodell nicht entgegen. Zwar könne die Abänderung des in einem Umgangsverfahren vereinbarten und titulierten Wechselmodells nur in einem Umgangsverfahren erfolgen. Vorliegend seien sich jedoch alle Beteiligten einig, dass eine paritätische Betreuung nicht mehr in Betracht komme. Daher bedürfe es nicht zwingend eines Abänderungsverfahrens zum Umgang, bevor eine Sorgerechtsentscheidung ergehe. Die beabsichtigte Ausübung der elterlichen Sorge stelle denknotwendig einen maßgeblichen Gesichtspunkt dar.
Es bestünden triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe, die elterliche Sorge auf den Kindesvater allein zu übertragen. Für die Übertragung der Alleinsorge genüge es, dass die Eltern keine ausreichende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit hätten. So liege es hier, denn die Eltern verhielten sich hochkonflikthaft. Dies offenbare sich insbesondere an der Vielzahl der von ihnen in der Vergangenheit geführten Verfahren. Teilweise erzielte einvernehmliche Lösungen seien nie von Dauer gewesen. Hinzu komme, dass das Kind aufgrund von Anzeigen der Kindesmutter als Zeuge in Ermittlungsverfahren hineingezogen worden sei. Nach Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung seien Umgangskontakte des Kindesvaters unmittelbar zum Erliegen gekommen und würden Beratungsangebote trotz entsprechender gerichtlicher Auflage nicht wahrgenommen.
Eine teilweise Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge scheide vorliegend aus. Nach den bei der Kindeswohlprüfung anzuwendenden Maßstäben komme – entsprechend der Ansicht des Verfahrensbeistands – nur eine Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater in Betracht. Hierfür spreche die größere Erziehungseignung des Kindesvaters gegenüber der Kindesmutter. Zwar habe auch der Vater Defizite in der Erziehungsfähigkeit, jedoch sei davon auszugehen, dass er eher in der Lage sei, den Bedürfnissen des Kindes Rechnung zu tragen und auch dessen regelmäßigen Kontakt mit der Kindesmutter zu ermöglichen. Die Empfehlung des Sachverständigen Dr. S. aus dem Jahr 2023, dass der Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Kindesmutter sein solle, weil diese vom Kind als eindeutige und ständige Bezugsperson erlebt worden sei, stehe nicht entgegen. Denn das Kind sei über einen erheblichen Zeitraum in einem paritätischen Wechselmodell von beiden Eltern betreut worden.
Nichts anderes folge aus dem Willen des Kindes, dem bei einem Alter von sechs Jahren nur eine eingeschränkte Bedeutung zuzumessen sei. Das Kind habe sich nicht gleichbleibend geäußert und in seiner Anhörung im Beschwerdeverfahren nicht den Willen geäußert, seinen Lebensmittelpunkt künftig bei der Kindesmutter haben zu wollen.
2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.
a) Dass eine Abänderung des Beschlusses vom August 2021 nach § 1696 Abs. 1 BGB eröffnet ist, ergibt sich im vorliegenden Fall unabhängig von den weiteren Erwägungen des Beschwerdegerichts schon daraus, dass sich die Ausgangslage gegenüber der im Jahr 2021 getroffenen gerichtlichen Regelung durch die Einschulung des Kindes wesentlich verändert hat. Der seinerzeitige Beschluss regelte die Bestimmung des Kindergartens und noch nicht die nunmehr erheblich gewordene Frage der Schulwahl. Gleiches gilt für das im Zusammenhang geregelte Aufenthaltsbestimmungsrecht. Ist die Abänderung nach § 1696 Abs. 1 BGB eröffnet, hat sich die Abänderungsentscheidung abgesehen davon, dass die angefochtene Entscheidung die gemeinsame Sorge erstmals – vollständig – beendet hat (vgl. zur Abgrenzung von § 1671 BGB BeckOK BGB/Veit [Stand: 1. Januar 2023] § 1696 Rn. 52 mwN), nach § 1697 a BGB am Kindeswohl auszurichten. Die Berücksichtigung von Kontinuitätsgesichtspunkten, die sich aus der abzuändernden Entscheidung ergeben können, ist Bestandteil der vom Familiengericht anzustellenden Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Kindeswohlkriterien (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 25 mwN).
b) Die vom Beschwerdegericht aufgeworfene Frage, ob die im Jahr 2021 vereinbarte und gerichtlich gebilligte Umgangsregelung einer Sorgerechtsentscheidung entgegenstehen könne, ist zu verneinen.
aa) Der Senat hat bereits in seiner bisherigen Rechtsprechung mehrfach darauf hingewiesen, dass Sorgerecht und Umgang unterschiedliche Verfahrensgegenstände darstellen, die nach der eindeutigen gesetzlichen Konzeption in eigenständigen Verfahren zu behandeln und zu entscheiden sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 27. November 2019 – XII ZB 512/18 – FamRZ 2020, 255 Rn. 14 ff. und vom 19. Januar 2022 – XII ZA 12/21 – FamRZ 2022, 601 Rn. 13 mwN).
Schon wegen der Verschiedenheit der Verfahrensgegenstände kann eine gerichtlich gebilligte Umgangsregelung einer Sorgerechtsregelung nicht entgegenstehen oder dieser vorgreiflich sein.
ährend die Sorgerechtsentscheidung nach § 1671 BGB eine Regelung der rechtlichen Befugnisse der Elternteile enthält, betrifft eine gerichtliche Umgangsregelung (nur) die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 20). Das spiegelt sich auch in deren Rechtsfolgen wider. Während die Sorgerechtsentscheidung rechtsgestaltend wirkt und einer Durchsetzung nicht bedarf, ist eine Umgangsregelung vollstreckbar (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 239, 316 = FamRZ 2024, 950).
bb) Eine Sorgerechtsregelung, die – wie der angefochtene Beschluss – bei gleichzeitig bestehender Umgangsregelung das Sorgerecht einem Elternteil allein überträgt, wird folglich durch die Umgangsregelung selbst dann nicht ausgeschlossen, wenn diese im Ergebnis auf eine paritätische Betreuung gerichtet ist.
Denn dies ändert nichts am unterschiedlichen Rechtscharakter der beiden Gegenstände (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 20 und vom 19. Januar 2022 – XII ZA 12/21 – FamRZ 2022, 601 Rn. 13 mwN). Dementsprechend wird umgekehrt eine Umgangsregelung auch nicht etwa dadurch ausgeschlossen, dass der umgangsberechtigte Elternteil nicht (mit-)sorgeberechtigt ist. Es widerspricht folglich nicht der Sorgerechtsentscheidung, wenn der Umgang in diesem Fall vom Familiengericht gegen den Willen des allein Sorgeberechtigten geregelt wird. Vorrangiger Maßstab der jeweiligen Entscheidung zum Sorgerecht wie zum Umgangsrecht ist das im konkreten Fall und bezogen auf den jeweiligen Verfahrensgegenstand festzustellende Kindeswohl (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 24).
cc) Auf die vom Beschwerdegericht für eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf einen Elternteil angeführte Voraussetzung, dass die Eltern das paritätische Wechselmodell einvernehmlich nicht mehr praktizieren, kommt es demnach nicht an. Ob eine auf das Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung in bestimmten Fallgestaltungen, wenn der umgangsberechtigte Elternteil nicht mitsorgeberechtigt ist, zu einer vorherigen sorgerechtlichen Regelung möglicherweise in sachlichen Widerspruch treten kann, stellt sich als eine im Einzelfall zu beantwortende Frage der inhaltlichen Folgerichtigkeit der im jeweiligen Verfahren zu treffenden Entscheidung dar (vgl. Senatsbeschlüsse BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 Rn. 21 und vom 27. November 2019 – XII ZB 512/18 – FamRZ 2020, 255 Rn. 17 mwN).
c) Der angefochtene Beschluss hält den Verfahrensrügen der Rechtsbeschwerde nicht stand.
aa) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht die Widersprüchlichkeit der vom Beschwerdegericht vorgenommenen Würdigung der entscheidungserheblichen Tatsachen.
Die Feststellungen des Beschwerdegerichts sind vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin zu überprüfen, ob die maßgebenden Rechtsbegriffe verkannt oder für die Einordnung unter diese Begriffe wesentliche Umstände unberücksichtigt gelassen worden sind. Der rechtlichen Überprüfung unterliegt insbesondere, ob der Tatrichter sich mit dem Verfahrensstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, seine Würdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (Senatsbeschluss vom 17. Mai 2017 – XII ZB 126/15 – FamRZ 2017, 1337 Rn. 15 mwN).
Dem genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Das Beschwerdegericht hat die gegenüber dem Kindesvater geringere Erziehungseignung der Kindesmutter damit begründet, aus den in Vorverfahren eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachten des Dr. S. aus den Jahren 2021 und 2023 offenbare sich, dass die Kindesmutter eine über das normale Maß hinausgehende Konfliktbereitschaft zeige, die am ehesten einer dauerhaft bestehenden emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typ zugeordnet werde. Zwar finde sich diese Diagnose im Gutachten aus dem Jahr 2023 nicht (mehr), aus dem Verhalten der Kindesmutter ergebe sich jedoch, dass die Problematik nach wie vor bestehe und sie eigene Anteile am Konflikt und die Belastungen des Kindes nicht erkenne.
Die Rechtsbeschwerde rügt mit Recht, dass die in einem zeitlichen Abstand von 20 Monaten erstatteten Gutachten desselben Sachverständigen zu unterschiedlichen Empfehlungen des Sachverständigen geführt haben, nämlich einerseits Befürwortung des Lebensmittelpunkts beim Vater im früheren, andererseits bei der Mutter im späteren Gutachten. Aufgrund des Umstandes, dass sich eine im früheren Gutachten getroffene Diagnose im aktuelleren Gutachten nicht mehr findet, konnte das Beschwerdegericht nicht ohne weitere Aufklärung zu der Annahme gelangen, dass die Problematik ihres Verhaltens mit den nachteiligen Auswirkungen auf das Kind unverändert bestehe.
Damit hat das Beschwerdegericht die herangezogenen Sachverständigengutachten nur zum Teil verwertet, nämlich soweit die Erziehungseignung der Kindesmutter in Frage gestellt worden ist.
Im Übrigen hat es die Ergebnisse aus dem späteren Gutachten hingegen nicht berücksichtigt. Es ist damit in der Sache zudem von den Erkenntnissen des Sachverständigen abgewichen, ohne hierfür eine dies rechtfertigende eigene Sachkunde darzulegen. Sollte aus der Divergenz der beiden Sachverständigengutachten eine Widersprüchlichkeit folgen, hätte das Beschwerdegericht dem durch Einholung eines ergänzenden Gutachtens oder eine Erläuterung durch den Sachverständigen nachgehen müssen.
Hinzu kommt, dass sich aus der Tatsache, dass das Kind eine erhebliche Zeit im Wechselmodell betreut worden ist, entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts noch nicht ableiten lässt, dass dieses keine engere Bindung an einen Elternteil haben kann. Das gilt schon deswegen, weil die Betreuung im Wechselmodell durch den jeweiligen Elternteil nicht notwendig in vollem Umfang persönlich erfolgen muss.
bb) Da es sich bei der von dem Verfahrensfehler betroffenen Feststellung zur Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter um eine wesentliche, die angefochtene Entscheidung tragende Feststellung handelt, kann die Beschwerdeentscheidung keinen Bestand haben.
3. Der angefochtene Beschluss ist demnach unabhängig von den weiteren von der Rechtsbeschwerde erhobenen Rügen aufzuheben. Die Sache ist an Beschwerdegericht zurückzuverweisen, weil weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind.
BGH, Beschluss vom 05.03.2025
XII ZB 88/24