1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
3. Der Antrag der Antragsgegnerin auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.
4.
Dem Antragsteller wird Verfahrenskosten zur Rechtsverteidigung im
Beschwerdeverfahren unter Beiordnung von Rechtsanwältin ... bewilligt.
Thüringer Oberlandesgericht
Beschluss
in der Familiensache
Gründe:
Die
Parteien sind rechtskräftig geschiedene Eheleute. Aus ihrer Ehe ist das
Kind ... hervorgegangen. Der Antragsteller ist in der vormals ehelichen
Wohnung in Erfurt verblieben. Die Antragsgegnerin ist in das 45 km
entfernte ... gezogen, zunächst zu ihren Eltern, mittlerweile in eigene
Wohnung. Bis Anfang 2011 hat der Antragsteller als ... in einer Firma
... gearbeitet. Die Antragsgegnerin ist einem Studium der
Erziehungswissenschaften an der Universität Erfurt nachgegangen. Derzeit
bezieht der Antragssteller ALG I und absolviert eine zweijährige
Ausbildung ... Die Antragsgegnerin hat ihr Studium aus finanziellen
Gründen abgebrochen und eine Tätigkeit als Personalvermittlerin bei
einer Firma ... aufgenommen. Schon während des ehelichen Zusammenlebens
wurde ... in einer Kinderkrippe betreut. Mittlerweile besucht ... die
evangelische Kindertagesstätte ...
Seit
Oktober 2009 streiten die Eltern um den dauerhaften Aufenthalt des
Kindes bei einem von ihnen. Seit dieser Zeit praktizieren die Parteien
einvernehmlich ein sogenanntes Wechselmodell dergestalt, dass sich das
Kind jeweils im Wechsel bei einem von ihnen von Montag bis zu
darauffolgenden Montag aufhält.Im einstweiligen Anordnungsverfahren vor
dem Amtsgericht Erfurt (Az.: 33 F 991/09) hatten die Parteien einen
entsprechenden Vergleich abgeschlossen. Dabei hatten sie auch
vereinbart, dass das Kind wegen der großen Entfernung von ... nach ...
während des Aufenthalts bei der Mutter nur drei tage in der Woche den
Kindergarten besuchen sollte. Das Amtsgericht hat für das Kind einen
Verfahrensbeistand bestellt, der unter dem 21.07., 15.09.2010 und
22.02.2011 ausführlich über die Situation des Kindes und der Eltern
berichtet hat. Auch das zuständige Jugendamt der Stadtverwaltung Erfurt
hat in den mündlichen Verhandlungen vom 28.05.2010 und 11.01.2011 sowie
schriftlich am 17.03.2011 Stellung genommen.
Der
Antragsgegner tritt für die Beibehaltung des Wechselmodells ein und hat
nur für den Fall, dass die Antragsgegnerin dem nicht zustimmt, die
Übertragung des Aufenthaltbestimmungsrechts für ... auf sich beantragt.
Die
Antragsgegnerin hat sich gegen die Fortsetzung des Wechselmodell
ausgesprochen mit der Begründung, es sei für das Kind förderlicher, wenn
es einen festen Lebensmittelpunkt bei einem Elternteil habe.
Gleichzeitig hat sie die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts
auf sich beantragt mit der Begründung, sie sei für ... seit ihrer Geburt
die vorrangige Bezugsperson.
Das
Amtsgericht hat mit Beschluss vom 16.05.2011 das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für ... auf den Antragsgegner übertragen und
zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Es entspreche dem
Kindeswohl am besten, wenn es weiterhin, wie in den zurückliegenden 18
Monaten, seinen jeweiligen Aufenthalt gleichberechtigt bei Vater und
mutter haben könne. Sowohl der Verfahrensbeistand als auch das Jugendamt
hätten bestätigt, dass sich ... altersentsprechend auf das
Wechselmodell eingestellt habe und gut darin zurechtkäme. Beide Eltern
seien in der Lage gewesen, verantwortungsbewusst und auch zunehmend
sachlicher mit ihrer weiterhin bestehenden gemeinsamen Verantwortung für
das Kind umzugehen. Es bestehe kein Anlass, ohne stichhaltige Gründe
vond em bisher praktizierten und bewährten Wechselmodell abzuweichen.
Das Gericht habe sich dafür entschieden, das Aufenthatsbestimmungsrecht
auf den Vater zu übertragen, da dieser die größere Gewähr dafür biete,
dass das Wechselmodell auch weiterhin beibehalten werde. Sollte der v
ater wortbrüchig gegenüber der Mutter werden, würde dies ggf. eine
Abänderung der Entscheidung zum Aufenthaltsbestimmungsrechts
rechtfertigen. Ergänzend wird auf die Gründe des Beschlusses Bezug
genommen.
Mit ihrer Beschwerde mach die Antragsgegnerin geltend:
Das
Wechselmodell ließe sich nicht länger aufrecht erhalten. Nach
beendigung ihres Studiums und Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung
arbeite sie im Schichtsystem von jeweils 07:15 Uhr bis 16:00 Uhr oder
von 09:00 Uhrbis 18:00 Uhr. Damit sei es ihr nicht mehr möglich, das
Kind in den Kindergarten nach Erfurt zu bringen und von dort wieder
abzuholen. Auch die entsprechenden Kosten seien ihr nicht mehr zumutbar,
da sie lediglich ein Nettoeinkommen von 600 € monatlich erziele. Die
Entscheidung des Amtsgerichts sei auch fehlerhaft, da gegen den Willen
eines Elternteils ein Wechselmodell nicht gerichtlich angeordnet werden
könne. Die Entscheidung, das AUfenthaltsbestimmungsrechtauf den
Antragsteller zu übertragen, entspreche nicht dem Kindeswohl. Entgegen
der Anregung des Verfahrensbeistandes habe es das Amtsgericht
unterlassen, ein Sachverständigengutachten zur Erziehungsfähigkeit
inklusive Bindungstoleranz beider Elternteile einzuholen. Wie bereits
erstinstanzlich vorgetragen ergeben sich Zweifel an der
Erziehungsfähigkeit des Antragstellers aufgrund seines übermäßigen
Alkoholkonsums. Die Bindung des Kindes an sie sei stärker ausgeprägt
als diejenige an den Antragsteller, da sie die Hauptbezugsperson für das
Kind sei. Aufgrund der Äußerungen des Kindes sei davon auszugehen, dass
der Antragsteller das Kind auch schlage, was ebenfalls nicht für eine
Erziehungseignung spreche.
Der Antragsteller verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
Der Vafahrensbeistand hat am 21.07.2011 Stellung genommen.
II.
Die
Beschwerde der Antragsgegnerin ist gmäß §§ 58 ff FamFG statthaft,
insbesondere gemäß § 63 Abs. 1 FamFG fristgemäß eingelgt und gemäß § 65
FamFG begründet worden.
In der Sache
hat die Beschwerde der Antragsgegnerin keinen Erfolg. Die Entscheidung
des Amtsgerichts, das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ... auf den
Kindesvater zu übertragen, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Das
Amtsgericht hatte eine Regelung über das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu
treffen, da die Parteien - wie sie mit ihrem widerstreitenden
wechselseitigen Anträgen zur elterlichen Sorge deutlich gemacht haben -
nicht in der Lage sind, sich über einen dauerhaften Aufenthalt des
Kindes bei einem von ihnen zu einigen. Dabei hatte es gemäß § 1671 Abs. 2
Nr. 2 BGB die regelung zu treffen, die dem Wohl des Kindes am besten
entspricht. zweifel daran, dass die getroffene Entscheidung diesen
Vorgaben gerecht wird, ergeben sich weder aufgrund der vom Amtsgericht
erhobenen Feststellungen noch aufgrund des Beschwerdevorbringens.
Für
die Aufhebund der gemeinsamen elterlichen Sorge, für die kein
Regel-Ausnahme-Verhältnis gesetzlich geregelt ist (vgl. BGH, NJW 2000,
203; FamRZ 2008, 582), ist im Wege der Prognoseentscheidung zu prüfen,
ob ein Wille zur Kooperation besteht und ob keine sonstigen Gründe
vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht
auf nur einen Elternteil zu übertragen. Ein Mindestmaß an
Verständigungsmöglichkeiten zwischen des Eltern ist Voraussetzunfür die
Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge (vgl. BGH, FamRZ
2008, 592).
Da eine Entscheidung über
das Sorgerecht nur in dem Umfange erforderlich ist, wie die Eltern
darüber streiten, ist hier nur die Übertragung des
Aufenthaltsbestimmungsrechts auf den Vater vonnöten. Im übrigen hat bei
der gemeinsamen elterlichen Sorge zu verbleiben (vgl.
Johannsen/Henrich/Haeger, Eherecht, 3. Auflage, § 1671, Rn. 18).
Vorliegend ist festzustellen, das die Parteien, ungeachtet der
beiderseits vorhandenen Erziehungsfähigkeit, nicht in der Lage sind, zum
Wohle von ... hinsichtlich der Bestimmung ihres dauerhaften Aufenthalts
zusammenzuwirken. In einem zweiten Schritt ist sodann zu entscheiden,
auf welchen Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu übertragen
ist. Die Übertragung auf den Kindesvater entspricht dem Kindeswohl am
besten. Diese Entscheidung des Amtsgerichts ist nicht zu beanstanden.
Nach
den eingeholten Stellungnahmen des Verfahrensbeistandes und des
Jugendamtes ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien
nicht in gleicher Weise erziehungsgeeignet für ihr Kind wären.
Vorliegend besteht die Besonderheit, dass auch nach Ansicht des Senats
eine endgültige Entscheidung, bei welchem Elternteil das Kind in Zukunft
seinen Lebensmittelpunkt haben sollte, derzeit nicht dem Mindeswohl
dient. Die Parteien habens eit nunmehr annähernd zwei Jahren erfolgreich
das Wechselmodell in der Weise praktiziert, dass ... im Wechsel jeweils
eine Woche bei dem Vater und bei der Mutter lebt. Sowohl der
Vafahrensbeistand als auch das Jugendamt haben mehrfach bestätigt, dass
diese Praxis von .. weitgehend reibungslos angenommen wird. Sie fühlt
sich sowohl bei dem Vater als auch bei der Mutter sofort zuhause und
angenommen. Trotz gelegentlicher Anpassungsschwierigkeiten des Kindes
nach der jeweiligen Woche bei dem einen Elternteil wird die Beibehaltung
des derzeitigen Wechselmodells von den Beteiligten befürwortet. Die
Eltern haben sich in der Vergangenheit an die Absprachen gehalten.
Darüber hinaus hat ... bei beiden Elternteilen nahezu identische
Tagesabläufe, Rituale und Regeln, was dem Kind Sicherheit, Halt und
Vertrauen gibt. Auch mit der Schilddrüsenerkrankung des Kindes gehen
beide Elternteile gleichermaßen verantwortungsvoll um. Das praktizierte
Wechselmodell entspricht daher derzeit dem Wohl des Kindes, da es auf
diese Weise am besten von beiden Elternteilen profitiert.
Entgegen
der bisher praktizierten Regelung begehrt die Antragsgegnerin das
Aufenthaltsbestimmungsrecht für sich mit dem Ziel, das Wechselmodell zu
beenden und den Lebensmittelpunkt des Kindes bei sich zu begründen, ohne
dass sie triftige Gründe angeführt hätte, die eindeutig für einen
dauerhaften Verbleib des Kindes bei ihr sprechen.
Soweit
sie vorträgt, nunmehr eine Arbeit ... aufgenommen zu haben, ist ihr
zwar zuzugestehen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, das Kind in den
56 km entfernten Kindergarten nach Erfurt zu bringen. Dies stellt nach
Ansicht des Senats aber keinen Grund dar, das bisher praktizierte
Wechselmodell aufzugeben. Aus der Sicht des Senats stellt es kein
grundlegendes Problem dar, wenn das Kind während des Aufenthalts bei der
Mutter entweder den Kindergarten überhaupt nicht oder aber einen am Ort
der mutter gelegenen Kindergarten besucht. Welche Lösung dem Kindeswohl
eher entspricht, sollten die Eltern im Einvernehmen klären. zwar ist es
für ein Kind einerseits förderlicher, wenn es regelmäßig in einen
Kindergarten geht. Andererseits stehen bei einem dreijährigen Kind die
Eltern und Großeltern als Hauptbezugspersonen im Vordergund.
Gleichaltrige Freunde gewinnen erst mit zunehmenden Alter des Kindes an
Bedeutung. Daher muss ein unregelmäßiger Kindergartenbesuch bei der
Abwägung, welche Lösung des Kindeswohl am besten entspricht, vorliegend
in Kauf genommen werden. Es obliegt den Eltern, hier für das Kind die am
wenigsten belastende Lösung zu finden.
Auch
die Behauptung der Antragsgegnerin, der Antragsteller neige zu
übermäßigem Alkoholgenuss, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Es
bestehen auch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin keine hinreichenden
Anhaltspunkte dafür, dass der Anztragsteller auch in Gegenwart des
Kindes Alkohol konsumiert und infolgedessen die Betreuung des Kindes
vernachlässigt.
Schließlich könnte
die von der Antragsgegnerin aufgestellte Behauptung, sie stelle nach wie
vor die hauptbezugsperson für das Kind dar, nur durch ein
Sachverständigengutachten verifiziert werden.
Der
Senat verkennt nicht, dass spätenstens dann, wenn für ... die Vorschule
beginnt, ein kontinuierlicher Besuch vonnöten ist mit der Folge, dass
das Wechselmodell aufgegeben werden muss. Bis dahine rscheint es
allerdings von Vorteil, wenn ... ihre Bindung an beide Eltern festigen
und vertiefen kann.Eine endgültige Entscheidung sollte daher erst zu
Beginn der Vorschule getroffen werden, ggf. mit Hilfe eines
Sachverständigengutachtens, falls sich die Eltern zum dauerhaften
Aufenthalt des Kindes bei einem von ihnen nicht einigen können. Bis
dahin sollten sie zum Wohle des Kindes das Wechselmodell weiterhin
praktizieren und dabei auftretende Fragen und Probleme einvernehmlich im
direkten Kontakt miteinander lösen. Da der Antragsteller nach den
getroffenen Feststellungen eher Gewähr dafür bietet, dass das bisher
praktizierte Wechselmodell beibehalten wird, entspricht die Übertragung
des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf ihn dem Wohl des Kindes am
besten.Der Senat versteht die Entscheidung des Amtsgerichts auch dahin,
dass damit eine Vorentscheidung, bei welchem Elternteil das Kind
zukünftih leben sollte, damit nicht getroffen worden ist. Vielmehr würde
zum Beispiel die Notwendigkeit zum Besuch der Vorschule bzw. der
Grundschule einen triftigen, das Wohl des kindes nachhaltig berührenden
Grund darstellen, der ggf. zu einer Abänderung der gestroffenen
Entscheidung gemäß § 1696 BGB nötgen würde.Der Senat konnte ohne
mündliche Verhandlung und ohne erneute Anhörung der Beteiligten im
schriftlichen Verfahren gemäß § 68 Abs. 3 FamFG entscheiden, da von
einer erneuten mündlichen Anhörung der Beteiligten keine zusätzlichen
Erkenntnisse zu erwarten waren.
Die Kostenetscheidung beruht auf § 84 FamFG.
Die festsetzung des beschwerdewerts beruht auf § 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.
Der
Antragsgenerin konnte Verfahrenskostenhilfe für ihre Beschwerde mangels
Erfolgsaussicht nicht bewilligt werden, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 ZPO.
Dem
Antragsteller war Verfahrenskostenhilfe zur rechtsverteidigung im
Bechwerdeverfahren zu bewilligen, $$ 76 Abs. 1 FamFG, 119 Abs. 1 Satz
2PO.
OLG Jena, Beschluss vom 22.08.2011
2 UF 295/11